Der Bürgerdialog als Sinnbild der vergangenen Wochen für die Menschen in Illerkirchberg: Die tödliche Messerattacke Anfang Dezember löste riesiges Entsetzen aus. Nachdem sich aber die Familie der getöteten Ece sowie der schwerverletzten 13-Jährigen zu Wort meldeten, wurde es ruhiger um den Ort.
So war es auch am Mittwochabend in der voll besetzten Gemeindehalle, als sich mehr als 250 Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde über die Geschehnisse informieren konnten. Neue Schlagzeilen um einen vermeintlich verschwundenen verurteilten Straftäter der Halloween-Vergewaltigung von 2019 ließen die Emotionen hochkochen. Als Eces Vater sich aber das Mikro nahm, wurde es ganz still. Mit seinen Worten drehte er die Stimmung der Veranstaltung, die zwischenzeitlich extrem hitzig wurde.
Es war gegen 20.20 Uhr, als sich der Mann mit schwarzem Kapuzenpulli an die Menschen im Saal wandte. Seine Frau habe nicht kommen können und eigentlich habe auch er nichts sagen wollen. "Ich wollte eigentlich nur zuhören", sagt er und muss sogleich das erste Mal tief Luft holen. "Seid mir nicht böse, wenn ich ein bisschen stottere." Doch zwei Dinge wolle er dann doch loswerden: "Die Polizei hat und macht ihre Aufgabe immer noch gut." Noch immer würden Streifen, auch in Zivil, durch den Ort ziehen. Das könne er von sich zuhause tagtäglich beobachten.
Vater von Ece bei Bürgerdialog in Illerkirchberg: "Auch ich habe Angst"
Und dann äußert er noch einen Wunsch, der den Tatort betrifft. "Das Haus muss - und ich betone - legal erworben, plattgemacht werden und es soll von mir aus eine schöne grüne Wiese entstehen, wo die Kinder spielen können. Auch meine restlichen zwei Kinder", sagt er und seine Stimme stockt erneut. Er ist den Tränen nahe. Die Menschen in der Halle klatschen - länger als für jeden anderen Redebeitrag zuvor und danach an diesem Abend.
Doch Eces Vater ist noch nicht fertig. Er habe Verständnis für die Ängste der Menschen aus Illerkirchberg: "Auch meine zwei Kinder haben Angst davor, an dem Ort vorbeizulaufen. Auch ich habe Angst." Es handle sich bei dem Stichweg der Bucher Straße, wo es passiert war, um eine "hässliche dunkle Gasse mit einem echt hässlichen Haus".
Er sei mit seinem Anliegen auch schon beim Bürgermeister gewesen. Von ihm und der Gemeinde habe er "volle Unterstützung" bekommen bei allen seinen Fragen. "Da gibt es wirklich nichts." Wie der Wunsch der Eltern verwirklicht werden könnte, ließ er offen. Es solle nur irgendwie erworben werden - sollte es nicht anders gehen, dann auch mit Spenden. "Um dann etwas Schönes daraus zu machen." Das sei keine Forderung. "Wenn es rechtlich möglich ist, gerne." Doch ihm liegt vor allem eines am Herzen - dass Kinder dort vorbeilaufen würden und sagen: "Von dem Tatort sieht man ja gar nichts mehr."
Polizei beim Bürgerdialog: Wie steht es um die Kriminalität in Illerkirchberg?
Es war der Wendepunkt des Abends. Zuvor war gut anderthalb Stunden lang informiert und zum Teil hitzig debattiert worden. Zunächst versuchten Behördenvertreter auf dem Podium die objektive Sachlage darzulegen.
Günther Becker, seit Oktober vergangenes Jahres Leiter des Polizeireviers Ulm-West, erklärte anhand von Zahlen aus der Polizeistatistik, wie sich die Kriminalität im Alb-Donau-Kreis sowie in Illerkirchberg in den Jahren zwischen 2017 und 2021 entwickelt hat. 2021 habe die Anzahl der Delikte - wohl auch aufgrund der Corona-Einschränkungen - einen Tiefstand erreicht. Der Alb-Donau-Kreis gehöre landesweit zu den Stadt- und Landkreisen mit der niedrigsten Häufigkeit von Delikten im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Sprich: Der Ort und die Gegend gelten als sicher. Schwere Straftaten seien ohnehin Ausnahmen.
Thomas Friedrich, Chef der Ulmer Kriminalpolizei, der am Tattag vor Ort war, schilderte, wie die Ermittlungen im Fall der tödlichen Messerattacke abliefen. Aufgrund des laufenden Verfahrens waren die Angaben zwar bereits weitestgehend bekannt und überwiegend allgemein gefasst. Das eine oder andere Detail schien dann aber doch neu.
So soll der Täter erst auf die schwerverletzte 13-Jährige und anschließend die 14 Jahre alte Ece eingestochen haben, die später im Krankenhaus starb. Ein Zeuge habe zudem beobachten können, wie der Mann nach der Tat zurück in die Asylbewerberunterkunft ging. Für die Ermittler sei das ein entscheidender Hinweis gewesen, um den Verdächtigen später bei einem SEK-Einsatz festnehmen zu können.
Halloween-Vergewaltigung von 2019 nimmt beim Bürgerdialog viel Raum ein
Doch die Tat an jenem Morgen des 5. Dezember 2022 nahm an diesem Mittwochabend weniger Raum ein, als die Tatsache, dass ein nach der Halloween-Vergewaltigung von 2019 verurteilter Straftäter wieder in den Ort zurückkehren konnte und jener Afghane nicht in sein Heimatland abgeschoben wurde, obwohl er weiterhin als gefährlich gilt. Es wurde zudem kritisiert, dass den Menschen in Illerkirchberg das verheimlicht wurde. Für Ärger, Verwunderung und Unverständnis sorgte auch, dass der Mann zwischenzeitlich für die Behörden als nicht auffindbar galt. Zumindest hatte der 30-Jährige die Auflage, sich regelmäßig bei den Behörden nach seiner Haftentlassung zu melden und im Landkreis zu bleiben. Weil er aber nicht mehr angetroffen werden konnte, wurde er laut Polizei zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben. Wenngleich das Landgericht Ulm am Mittwoch nun dem SWR bestätigte, dass die Bewährungshelferin mit dem Mann weiterhin in Kontakt sei.
Stefan Grauer vom Regierungspräsidium Tübingen sowie Falk Fritzsch vom Ministerium der Justiz und für Migration versuchten die rechtlichen Rahmenbedingungen zu erläutern. Sie gaben zu verstehen: Würde es nach ihnen gehen, wäre die Abschiebung des Mannes längst passiert. Doch einzig der Bund würde das verhindern. Ihre Antworten sorgten nur bedingt für Verständnis bei so manchem Anwesenden. "Komplettversagen auf ganzer Linie", war nur einer der Zwischenrufe. Und auch die letzte Frage an dem Abend "Wo ist er?" konnte nicht abschließend beantwortet werden.
Illerkirchberg in der Zukunft: Wie wird Kindern beim Umgang mit der Tat geholfen?
Eltern äußerten in den gut drei Stunden zudem zahlreiche Sorgen und Ängste. Ein Familienvater, der in der Nähe des Tatorts wohnt, wollte wissen, wer sich um die Ängste der Kinder kümmert. Seine Tochter könne seither nur noch bei eingeschaltetem Licht und mit Musik schlafen. Auch wurden den Behörden erneut Vorwürfe gemacht, man habe doch von Problemen gewusst. Dass beispielsweise am Spielplatz um die Ecke mit Drogen gedealt werde. Die Polizei sei mehrmals an der Flüchtlingsunterkunft gesichtet worden - und dennoch würde behauptet, man habe nichts gewusst. Die Polizeivertreter wie auch Bürgermeister Markus Häußler (parteilos) bekräftigten aber erneut, dass keinerlei konkrete Vorkommnisse oder gar Straftaten registriert worden seien.
Doch so viel in die Vergangenheit geblickt und geschimpft wurde, wagten Anwesende "bei allem Mist, der passiert ist" auch den Blick in die Zukunft. "Was können wir tun, damit wir den Menschen helfen, die hier herkommen, sich in unsere Gesellschaft einzugliedern, die Frauen zu verstehen? Wie können wir Kinder begleiten, um Ängste abzubauen?", fragt ein Mann. Er hoffe auf Hilfe und klare Anweisungen seitens der Gemeinde. Und so bat eine jüngere Teilnehmerin auch darum, die Kinder und Jugendlichen bei der Aufarbeitung der schrecklichen Tat nicht zu vergessen. Diesen Wunsch scheint ganz offensichtlich auch Eces Familie zu haben.