Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Neu-Ulm: "Beyond the Binary" in Burlafingen: Über Gegensätze, die keine sind

Neu-Ulm

"Beyond the Binary" in Burlafingen: Über Gegensätze, die keine sind

    • |
    Die Londoner Kunsthistorikerin und Kuratorin Tamar Garb lässt in ihrer Ausstellung die Zuordnung von Werk und Autor verschwimmen.
    Die Londoner Kunsthistorikerin und Kuratorin Tamar Garb lässt in ihrer Ausstellung die Zuordnung von Werk und Autor verschwimmen. Foto: Dagmar Hub

    Der 2018 verstorbene Fotograf David Goldblatt, Sohn jüdischer Einwanderer nach Südafrika, gilt als Mensch, der mit professionellen Mitteln soziale Verhältnisse und Kulturen des Landes mit präzisem Blick dokumentierte. Anders sein Schüler Santu Mofokeng, der als empathischer Fotograf mit poetischer Herangehensweise gilt. Diese Zuordnungen hebt eine von Tamar Garb klug kuratierte Ausstellung in der Burlafinger Walther Collection mutig auf. Sie vermengt die Arbeiten beider Fotografen – eine Zuordnung ist nicht mehr möglich. Deshalb heißt die Schau "Beyond the Binary" – Jenseits der Gegensätze. 

    David Goldblatt war weiß, europäisch, vor dem Zweiten Weltkrieg geboren. Santu Mofokeng, 1956 in einem Township geboren und damit eine Generation jünger als Goldblatt, von dunkler Hautfarbe, beleuchtete die ideologische Instrumentalisierung der Fotografiegeschichte gerade im System der Apartheid und entzog sich doch jeder Schublade: Der Einkaufswagen, den die schwarze Frau vor sich herschiebt – enthält er Konsumgüter, oder ist es ihr gesamter Besitz, der sich im Wagen befindet? Der Betrachter, die Betrachterin der Fotografie weiß es nicht. Dokumentierend ist ein solches Bild nicht, es verlangt Nachdenken, Einfühlen, Fragen. Zwei Fotografen also, deren Arbeiten gegensätzlicher nicht sein könnten? Könnte man den Biografien zufolge meinen. 

    Die Werke Goldblatts und Mofokengs ähneln sich doch

    Die Londoner Kunstgeschichte-Professorin Tamar Garb, geboren in Israel, wagt mit der riesigen Sammlung von Artur Walther Überraschendes. Walther stammt aus Burlafingen, arbeitet als Investmentbanker und hat sich als Kunstsammler und Mäzen auf afrikanische Foto- und Videokunst verlegt. Mit Werken aus dieser Sammlung schafft Garb Bild-Cluster, innerhalb derer sie Goldblatt und Mofokeng in einen thematischen Dialog setzt. Für den Betrachter wird die Zuordnung der Arbeiten zu den Künstlern völlig unwesentlich, wichtig wird allein die Bildaussage zu bestimmten Themen – und plötzlich zeigt sich: Beide Fotografen haben so gegensätzlich nicht gearbeitet, auch wenn bei Mofokeng das halb Verborgene insgesamt eine größere Rolle spielt als bei Goldblatt, und auch wenn Mofokeng das Nachdenken des Betrachters wahrscheinlich mehr fordert. Die zeitliche Fokus der Arbeiten liegt auf den 70er-Jahren. 

    "Sociality", Geselligkeit oder auch Gesellschaftlichkeit ist ein großer Bereich mit vier Untergruppen überschrieben: Bilder von Menschen, von Gruppen, in einem Bereich sogar speziell von Dreiergruppen. Da sind die beiden Männer, einer weiß, einer schwarz, vermutlich Politiker, die in ihrer Körpersprache eine abgrundtiefe Abneigung gegeneinander ausdrücken. In unmittelbarer Nähe ein Foto, auf dem eine junge schwarze Nanny liebevoll die Ferse eines weißen Jungen umfasst, der sich vertrauensvoll und zugewandt auf sie stützt. Apartheid – und Zuneigung, die von einem System auferlegte Abgrenzung ignorieren kann. 

    Privilegiertheit und Prekariat sind Themen bei der Ausstellung

    Auch der Bereich "Earthscapes" erfordert ganz genaues Hinschauen: Da ist die Straße, auf der Fahrzeuge unterwegs sind. Was daneben zunächst fast nicht auffällt und auf den ersten Blick wie Müllsäcke wirkt, sind illegale Siedlungen, von Menschen aus Abfällen gebaut. Gebäude und Natur, Spirituelles und Berührendes wie mobile "Kirchen“" für Menschen, die in der Nacht erschöpft stundenlang von ihren Arbeitsplätzen nach Hause pendeln, verödetes Land und Spuren von Menschen, die nicht mehr sind. Privilegiertheit und Prekariat – doch das wäre zu einfach. Da sind auch Bilder wie jenes des schwarzen Schuhmachers, der seine Schuhe mit Stacheldraht vor Dieben schützt, der sich vor Übergriffen anderer Menschen fürchtet. "Violence crosses boundaries", sagt Tamar Garb. Gewalt überwindet Grenzen. Hass und Misstrauen sind nicht auf Hautfarbe zu reduzieren. 

    Info: "Beyond the Binary" eröffnet am 16. April 2023 mit drei Führungen (11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr), am Vortag ist die Walther Collection von 16 Uhr bis 18 Uhr für ein Preview geöffnet. 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden