Im Kampf gegen die Mafia vermeldeten die Behörden am Mittwoch einen Ermittlungserfolg im großen Stil: Es geht vor allem um Drogenhandel. Beschuldigt werden insgesamt mehr als 80 Personen, 33 Haftbefehle wurden erlassen, 80 Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. Rund 800 Ermittler aus Italien und Deutschland sind mit dem Fall vertraut. Drei Jahre lang wurde daran gearbeitet - mitgewirkt hat auch das Ulmer Finanzamt.
Polizeieinheiten beider Länder waren am Mittwochmorgen an zahlreichen Orten von Süditalien bis Norddeutschland im Einsatz. Ein Schwerpunkt lag dabei in der Bodensee-Region. Die Großrazzia, die unter der Bezeichnung "Operation Platinum" und unter der Leitung der Staatsanwaltschaften Konstanz und Turin erfolgte, richtete sich gegen das Drogenhändler-Netzwerk der 'Ndrangheta, das auch Geschäfte in Deutschland gemacht haben soll.
Wer ist die 'Ndrangheta?
Die 'Ndrangheta gehört zu den mächtigsten Mafia-Organisationen der Welt und besitzt längst auch ein Standbein in Deutschland. Beheimatet ist sie in der Region Kalabrien, der Spitze des italienischen "Stiefels". Sie dominiert den internationalen Drogenhandel, verdient ihr Geld aber auch mit Waffengeschäften, Geldwäsche, im Bausektor und in anderen Wirtschaftszweigen.
Beschlagnahmt wurden jetzt umfangreiche Beweismittel - darunter Datenträger, Mobilfunkgeräte, Geschäftsunterlagen, Betäubungsmitteln, Bargeld und Wertgegenstände. Zur Sicherung der Taterträge wurden in Deutschland Vermögensarreste in Höhe von mindestens zwei Millionen Euro, in Italien in der Größenordnung von vier Millionen Euro beantragt und erlassen. Es sollen auch Immobilien beschlagnahmt worden sein, heißt es italienischen Medienberichten zufolge.
Die Tatvorwürfe: Handel treiben mit Kokain in der Größenordnung von mehreren 100 Kilogramm und bandenmäßige Hinterziehung von Umsatzsteuer. Gegen vier Hauptbeschuldigte ermittelt die Staatsanwaltschaft Turin außerdem wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen Organisation nach Art der Mafia. Das Vorgehen der Gruppierung sei systematisch, professionell und konspirativ, so die Ermittler.
So gelang den Ermittlern der Schlag gegen das Mafia-Netzwerk
Zum einen wird Kokain in großen Mengen aus den Niederlanden nach Italien transportiert und dort in den Handel gebracht. Dabei ergaben sich Hinweise auf direkte Kontakte zu kolumbianischen Drogenhändlern in den Niederlanden und Spanien, was die große Menge des gehandelten Kokains erklären dürfte.
Ein zweites "Geschäftsmodell" der Gruppierung in Deutschland - so der Tatvorwurf - ist die Umsatzsteuerhinterziehung in großem Stil. Dazu werden Lebensmittel aus Italien eingeführt und an italienische Restaurants und Lebensmittelhändler in ganz Deutschland direkt oder über Zwischenhändler geliefert.
Dieser Handel hat einen erheblichen Umfang, heißt es. Umsatzsteuern werden nicht entrichtet und die illegalen Gewinne offenbar nach Italien transferiert. Zu dem "Geschäftsmodell" gehört auch - so sollen es die Ermittlungen nahelegen - die Ausübung von Druck, die Waren zu bestimmten Konditionen abzunehmen. Die Haupttäter sollen bei alledem konsequent eine verschlüsselte Kommunikation anwenden.
Ein Beschuldigter ist im Bodenseeraum tätig - er wurde in Italien festgenommen
Ihren räumlichen Schwerpunkt habe die Gruppierung in der italienischen Region Piemont rund um Turin und in Kalabrien. Eine Person, die dem Kernbereich zugerechnet wird, war mit weiteren Beschuldigten im Bodenseeraum tätig und ist verdächtig, von hier aus Aktionen koordiniert zu haben. Im Raum steht auch hier Drogenhandel und der Vertrieb der schwarz gehandelten Lebensmittel. Die Person konnte am Mittwoch in Italien festgenommen werden.
Bei den Festnahmen und Durchsuchungen handelte es sich um eine konzertierte Aktion der Staatsanwaltschaften Turin und Konstanz, die über drei Jahre hinweg in einer von Eurojust koordinierten gemeinsamen Ermittlungsgruppe in Italien, Deutschland, den Niederlanden und Belgien verdeckt ermittelt und zusammengearbeitet haben.
Maßgeblich beteiligt waren auf italienischer Seite die Direzione Investigativa Antimafia (DIA) Turin sowie auf deutscher Seite die Kriminalpolizeidirektion Friedrichshafen des Polizeipräsidiums Ravensburg und die in die gemeinsame Ermittlungsgruppe eingebundene Steuerfahndung des Finanzamts Ulm. Diese Kooperation habe es ermöglicht, in beiden Deliktsbereichen - Betäubungsmittelhandel und Steuerhinterziehung - wesentliche Ermittlungsergebnisse zu erzielen und Erkenntnisse über die Struktur der Tätergruppierung zu erlangen.
"Operation Platinum" erfolgte am Mittwochmorgen: 800 Beamte im Einsatz
An den Festnahmen und Durchsuchungen beteiligt waren in Deutschland rund 500 Polizeibeamte und Steuerfahnder, in Italien etwa 300 Beamte. Während deutsche Fahnder die Maßnahmen in Italien begleiteten, unterstützten italienische Polizeibeamte die hiesigen Durchsuchungen.
In Deutschland wurden drei Haftbefehle erlassen, davon einer vollstreckt, in Italien 30 Haftbefehle, nachdem sich die meisten Beschuldigten coronabedingt in Italien aufhielten.
In Deutschland wurden an 46 Orten Wohn- und Geschäftsräume durchsucht, in Italien an 41 Orten. Der Schwerpunkt der Durchsuchungen lag in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen, in Italien in den Regionen Piemont, Kalabrien und auf Sardinien. (AZ mit dpa)
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