Grünen-Aschermittwoch nach Tumulten abgesagt – drei Polizisten verletzt
Wegen massiver Proteste unter anderem von Landwirten haben die Grünen in Baden-Württemberg ihre Veranstaltung zum politischen Aschermittwoch abgesagt. Schlagstöcke kamen zum Einsatz.
Der Lärm vor der Biberacher Stadthalle ist ohrenbetäubend, dutzende Traktoren hupen um die Wette, Musik schallt über den Platz – so laut, dass nicht einmal mehr zu verstehen ist, was die Hunderte Demonstrierenden eigentlich genau rufen. Vor der Treppe zur Halle haben Landwirte einen Misthaufen abgekippt, darauf Grünen-Wahlplakate, die die Demonstranten mit "leere Versprechen" gekennzeichnet haben. Immer wieder skandiert die Menge in Richtung Halle "Haut ab, haut ab." Die Stimmung ist aggressiv, Journalisten werden als "Lügenpresse" beschimpft. Wenig später wird der politische Aschermittwoch der Grünen abgesagt. Der Grund: Sicherheitsbedenken.
Wer dort genau steht, lässt sich nicht klar sagen. Die Proteste sind laut Polizei nicht angemeldet, wer dazu aufgerufen hat, können die Beamten nicht sagen. Auch zu möglichen extremistischen Kräften darunter hat ein Polizeisprecher keine Erkenntnisse. Zu sehen sind zum Beispiel auch Flaggen des Königreichs Preußen.
Politischer Aschermittwoch in Biberach: Wut der Demonstrierenden richtet sich gegen die Grünen
Die Wut der Demonstranten richtet sich gegen die Gäste des politischen Aschermittwochs, zu dem die baden-württembergischen Grünen seit Jahren traditionell nach Biberach einladen. In diesem Jahr haben sich Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Bundeschefin Ricarda Lang, Urgestein Jürgen Trittin und Ministerpräsident Winfried Kretschmann angekündigt.
Einzig zur Halle kommen sie bis auf Trittin nicht durch, auf den Zufahrtsstraßen stehen dutzende Traktoren. Kretschmann dreht etwa noch auf der Anreise wieder ab, Özdemir diskutiert bei einer nahegelegenen angemeldeten Demonstration mit Landwirtinnen und Landwirtinnen, nimmt die Stimmung dort als fair und anständig wahr. "Dass es da mal lauter wird, gehört dazu, das muss man aushalten", sagt er später.
Als eine Limousine und ein Begleitfahrzeug der Polizei vorfährt, eskaliert die Lage in Biberach
Dabei bleibt es im Umfeld der Biberacher Stadthalle aber nicht. Als eine Limousine und ein Begleitfahrzeug der Polizei von der Halle wegfahren wollen, strömen Dutzende Demonstranten aus, blockieren die Straße und werfen Pflastersteine und Sandsäcke auf die Fahrbahn. Polizeibeamte drängen die Menge zurück, werden dabei mit Gegenständen beworfen und setzen Pfefferspray und Schlagstöcke gegen die Demonstranten ein. Mindestens drei Beamte werden leicht verletzt, sagt ein Polizeisprecher später. Auch eine Scheibe des Begleitfahrzeugs geht zu Bruch. Mindestens eine Person wird festgenommen.
In der Halle selbst ist nur eine Handvoll Menschen, viele Besucher warten noch vor der von der Polizei abgeriegelten Halle. Wer zum Aschermittwoch will und wer zu den Demonstranten gehört, lässt sich nicht so einfach sagen. Etwa eine halbe Stunde nach dem eigentlich geplanten Beginn, sagt der Vorsitzende des Kreisverbands Biberach, Michael Gross, die Veranstaltung dann ab. Als Grund nennt er die aggressive Stimmung der Demonstranten. Aus der Partei heißt es, eine ordnungsgemäße Durchführung des politischen Aschermittwochs sei nicht möglich.
Grünen-Landeschefin Lena Schwelling aus Ulm kritisiert das Verhalten der Demonstranten
Die Grünen-Landeschefin Lena Schwelling aus Ulm kritisiert kurz nach der Absage das Verhalten der Demonstranten. "Vor der Halle ist niemand bereit zu einem Dialog. Da geht es nur darum, die Veranstaltung zu verhindern - mit Methoden, die jenseits der Grenze sind", sagt Schwelling. Wenn Scheiben von Autos eingeschlagen würden, sei das problematisch. Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne), der nicht in Biberach dabei ist, schreibt auf X (ehemals Twitter): "Für diese Art Protest darf es keine Toleranz geben, dafür aber rechtsstaatliche Konsequenzen."
Auch aus anderen Parteien kommt deutliche Kritik. CDU-Landeschef Manuel Hagel ruft die Landwirte etwa zu friedlichen Protesten auf. "Dass der politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach heute nicht wie geplant stattfinden konnte, ist inakzeptabel", sagt Hagel in Fellbach. Die Unzufriedenheit etwa der Landwirte, der Handwerker oder der Logistiker mit der Bundesregierung sei legitim, er schränkt aber auch ein: "Bei Protesten gilt immer Maß und Mitte. Es muss immer friedlich und gewaltfrei bleiben." SPD-Landeschef Andreas Stoch nennt die Absage in Biberach ein absolutes No-Go. "Dissens gehört zu unserer Demokratie, Diskussion auch. Nur wer keine Argumente hat, wirft mit Steinen. Das ist die Sprache derer, die unsere demokratischen Prinzipien missachten", sagt Stoch.
Aus Sicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellen die Tumulte eine Grenzüberschreitung dar. "Wenn eine politische Veranstaltung wegen Gepöbel und Gewalt abgesagt werden muss, dann ist eine rote Linie überschritten", so die Ministerin. Legitimer Protest ende dann, wenn Menschen eingeschüchtert und bedroht würden. Die Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei müsse deutliche strafrechtliche Konsequenzen für die Täter haben. Faeser warnt davor, das Geschehen zu verharmlosen und fordert: "Die zunehmende Vergiftung von Debatten und die Hetze gegenüber demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern muss ein Ende haben." Dazu gehöre zuerst, "verbal abzurüsten", denn politische Aggression komme nicht aus dem Nichts, sondern fange mit der Sprache an.
Landwirtschaftsminister Özdemir nimmt die Landwirtinnen und Landwirte in Schutz
Landwirtschaftsminister Özdemir nimmt später die Landwirtinnen und Landwirte in Schutz. "Die, die da jetzt über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne, die sich da so benommen haben", sagt der Grünen-Politiker nach einem schon vorher geplanten Gespräch mit Vertretern von Bauernverbänden. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hätten der Landwirtschaft und den Anliegen der Landwirtschaft so keinen Gefallen getan.
Auch der Bauernverbände distanzieren sich von den Protesten. Diese hätten nichts mit dem Kreisbauernverband Biberach zu tun, sagt dessen Vorsitzender Karl Endriß. Es sei schade, dass die Grünen deswegen ihre Veranstaltung hätten absagen müssen.
Andreas Wöhrle, Bauern-Obmann im Kreis Neu-Ulm, sieht Mitschuld bei der Politik
Andreas Wöhrle, Kreisobmann des Bayerischen Bauenverbandes im Landkreis Neu-Ulm und Mitglied bei den Freien Wählern, hält sich auf Nachfrage unserer Redaktion mit einer Aussage zu den Vorkommnissen in Biberach zurück. Ohne genau zu wissen, was dort konkret vorgefallen ist, traue er sich nicht, dazu etwas zu sagen. So wisse er zum Beispiel nicht, wer die Verursacher sind.
Auf die Frage, ob er sich als Vertreter der Bauernschaft nicht gezwungen fühle, sich von derartigen Tumulten zu distanzieren, sagt er: "Die Politik hat den Bogen überspannt. Die Leute sind aufgebracht, ich sehe die Verantwortung bei denen, die sie gemacht haben." Die Landwirte seien normalerweise ein friedliches Volk, die ihre Arbeit tun. Zwar sei er nicht dafür, Sachbeschädigungen zu betreiben. Doch die Emotionen seien aufgrund "der Drangsaliererei die letzten Jahren" eben schon sehr angeheizt. Und dafür habe die Politik "eine gehörige Portion Verantwortung mitzutragen".
Seitens des Bauernverbandes im Kreis Neu-Ulm sei nicht aufgerufen worden, nach Biberach zu fahren. Er stehe mit dortigen Vertretern auch nicht in Kontakt. Die Veranstaltungen in Neu-Ulm beim Muthenhölzle oder auf dem Ulmer Münsterplatz seien "friedlich und im Einvernehmen mit der Polizei" verlaufen. Insofern habe er sich auch nichts vorzuwerfen.
Biberachs OB Zeidler: Einsatzkräfte wurden an der Durchfahrt gehindert und Helfer angepöbelt
Laut Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler habe es bereits am frühen Morgen um 3.30 Uhr Hupkonzerte der Demonstranten gegeben, darunter auch viele Bauern. Immer wieder seien auch Böllerschüsse zu hören gewesen, so der parteilose OB. Die Aktionen seien immer weiter eskaliert. Die Feuerwehr sei zu zehn Brandeinsätzen gerufen worden, die Feuer seien gezielt gelegt worden, so Zeidler. Außerdem seien Einsatzkräfte an der Durchfahrt gehindert und Helfer angepöbelt worden.
Auch vor der Stadthalle seien Feuer entzündet worden, kritisierte der Oberbürgermeister. Bengalos seien abgebrannt, Pflastersteine aus dem Gehweg genommen und eine Autoscheibe eingeschlagen worden. "Die Stimmung war sehr aufgebracht, feindselig und aggressiv. Ich kann die Absage der Grünen komplett nachvollziehen", sagte Zeidler. "Da ging es nicht um Diskussion oder Protest, da ging es nur um Tumult."
Innenminister Strobl: Demonstriende haben "Bauern einen Bärendienst erwiesen"
Die Demonstranten hätten den Landwirten aus Sicht des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl geschadet. "Diese Demonstranten haben der Sache der Bauern einen Bärendienst erwiesen", so der CDU-Politiker. "Wer Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge bewirft und eine demokratische Partei in der Ausübung ihrer Grundrechte behindert, überschreitet ganz klar eine Grenze", ergänzte Strobl. Er habe angeboten, dem Innenausschuss über die Vorkommnisse in Biberach zu berichten.
Landwirte in ganz Deutschland protestieren seit Wochen gegen die Sparpläne der Bundesregierung, insbesondere gegen die geplanten Kürzungen beim Agrardiesel. Bei einer Protestaktion Anfang Januar hatten Bauern Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach seiner Rückkehr von einer Privatreise zur Hallig Hooge daran gehindert, eine Fähre zu verlassen. Nach Angaben der Reederei wäre das Schiff beinahe gestürmt worden. Hintergrund der Proteste waren geplante Streichungen von Subventionen. (mit dpa)