Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Wullenstetten/Thalfingen: Angehörige loben umstrittene Pflege-WG

Wullenstetten/Thalfingen

Angehörige loben umstrittene Pflege-WG

    • |
    Angehörige von Intensiv-Patienten wehren sich gegen die Vorwürfe, die Wullenstetter Bürger gegenüber Pflege-WGs in der Region haben.
    Angehörige von Intensiv-Patienten wehren sich gegen die Vorwürfe, die Wullenstetter Bürger gegenüber Pflege-WGs in der Region haben.

    Es ist eine furchtbare Situation: Drei Tage vor Weihnachten bricht die Mutter von Simone Müller (Name von der Redaktion geändert) plötzlich zu Hause zusammen. Die 49-Jährige reagiert nicht auf Ansprache und zeigt kein Lebenszeichen mehr. Ihr Ehemann und der jüngste Sohn beginnen sofort mit der Reanimation, ihnen kommt es ewig vor, bis der Rettungsdienst eintrifft.

    Die Ungewissheit begleitet die Angehörigen bis ins Krankenhaus, dort wird die Diagnose ziemlich schnell gestellt – „und sie war sehr schlecht“, sagt Müller. Ihre Mutter erlitt einen Herzinfarkt, nur wenige Tage nach ihrem 49. Geburtstag, und leidet bis heute unter den Folgen: Sie liegt im Wachkoma. Seitdem lebt sie in einer Pflege-WG in Thalfingen – eben so einer, wie sie eventuell in Wullenstetten kommen soll. Simone Müller erzählt die Geschichte ihrer Familie, weil sie nach eigener Aussage „mit großem Entsetzen“ den Bericht am Dienstag in unserer Zeitung gelesen hat, in dem sich einige Wullenstetter Bürger gegen die Pflege-WG wehren.

    „Wir standen damals vor der schwierigen Entscheidung, was wir tun sollen“, sagt Müller. Es gab zwei Möglichkeiten: die Maschinen abschalten oder einen Luftröhrenschnitt machen. Nach langem Hin und Her und diversen rechtlichen Voraussetzungen entschied die Familie sich für Letzteres. Die nächste Herausforderung kam nach der Reha: „Eine Frau mit 49 Jahren gehört in kein Seniorenheim – aber wo soll sie sonst hin?“, schildert die Tochter die schwierige Situation. Mit einer Trachealkanüle im Hals, Blasenkatheter und Pflegebett könne man schließlich nicht mehr einfach nach Hause zurück. Die Mutter atme zwar selbstständig, brauche aber dennoch intensive fachliche Pflege. Diese sei in Seniorenheimen aber eher auf ältere Menschen abgestimmt.

    Niemand will in einem Krankenhaus leben

    Nach langer Suche haben die Müllers die Intensiv-Pflege-WG in Thalfingen gefunden. Von außen sei diese völlig unscheinbar, und was der Familie wichtig war: „Es ist ein Wohnhaus und keine Klinik – denn wer will schon in einem Krankenhaus leben?“ Ihre Mutter habe ein helles Zimmer im Obergeschoss, für die Bewohner gebe es auf jeder Etage ein Badezimmer und für die Angehörigen einen Aufenthaltsbereich. Es sei keineswegs so, dass täglich Krankenwagen und andere Autos das Haus ansteuern und alles vollparken. „Ich glaube, die Nachbarn wissen gar nicht, wer in dem Haus wohnt. Es schreit niemand rum, es finden keine Partys statt, es herrscht kein reger Verkehr. Alles ist ordentlich. Man hält sich an alle Regeln, die es für eine gute Nachbarschaft braucht“, sagt Müller.

    Sie versteht nicht, wie derartige Vermutungen wie in der Wullenstetter Nachbarschaft zustandekommen (Lesen Sie dazu: Wullenstetter wehren sich gegen Pflege-WG im Wohngebiet) . „Wer sich mit Wachkoma- oder Intensiv-Patienten jemals beschäftigt hat, weiß, dass diese Menschen Ruhe brauchen.“ Natürlich bekommen sie Besuch. Doch Transporte mit dem Krankenwagen werden nach Möglichkeit verhindert, da sie Gefahren bergen und Patienten stressen, so Müller. „Der wöchentliche Hausarztbesuch fällt auch nicht weiter auf“, ist die Tochter überzeugt. Ihr und ihrer Familie wurde vom Leiter versichert, dass in der Pflege-WG nur Fachpersonal arbeitet. „Und die Pfleger machen ihre Sache sehr gut“, sagt Müller.

    Es ist schwer, die Mutter in fremde Hände zu geben

    Dieser Meinung ist auch Heinz Czechowsky. Er war etwas über ein Jahr Patient in der Bellenberger Pflege-WG, die wie Thalfingen zur „Frei Atmen Ulm (FAU) GmbH“ gehört. Mittlerweile ist er wieder daheim, „und da kommen mehr Autos zu uns als dort“, sagt seine Frau. Die beiden sind über die Aussagen in Wullenstetten ebenso entsetzt wie die Müllers. In Bellenberg sei der Mann bestens betreut worden, „es gab nichts auszusetzen“. Dort lebten sechs Menschen, die von zwei bis drei Pflegern fachmännisch betreut worden seien, so Czechowsky. Und: „Es gibt nichts Besseres als diese Einrichtung.“

    Simone Müller erzählt, wie schwer es der Familie gefallen ist, eine gute Lösung zu finden. Sie wünsche diese Situation niemandem. „Man gibt die eigene Mutter, die geliebte Frau, die kleine Schwester in die Hände fremder Personen. Sie ist ihnen völlig schutzlos ausgeliefert und als Angehöriger kann man nur hoffen, dass es das Richtige ist.“ Und dann lese man in der Zeitung davon, dass Menschen sich gegen eine Intensiv-WG wehren. „Menschen, denen es scheinbar momentan gut geht und die ihre Nächstenliebe vergessen haben“, sagt sie. Diese Worte rückten die gute Einrichtung in ein schlechtes Licht. Doch gerade solche Einrichtungen werden gebraucht, ist sich die Tochter sicher. Und es sei nicht selbstverständlich, dass man einen guten Pflegeplatz bekomme. „Das Haus hat nichts mit einer Intensiv-Station zu tun, die Leute leben da.“

    Simone Müller fragt am Ende: „Wenn der eigene ältere Nachbar nun intensive Unterstützung braucht und der Sozialdienst mindestens zweimal täglich vorbeikommt – muss er dann auch mit einer Unterschriftensammlung gegen ihn rechnen?“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden