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Ulm: Wenn Papa und Sohn getrennt werden: Wie Väter um Nähe zu ihren Kindern kämpfen

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Wenn Papa und Sohn getrennt werden: Wie Väter um Nähe zu ihren Kindern kämpfen

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    Vater-Sohn-Zeit gibt es für einige getrennte Väter nur selten. Oder nur dann, wenn die Mutter es möchte. Gerichtlich dagegen vorzugehen, sei in vielen Fällen schwer, wie es der Verein Väteraufbruch erklärt.
    Vater-Sohn-Zeit gibt es für einige getrennte Väter nur selten. Oder nur dann, wenn die Mutter es möchte. Gerichtlich dagegen vorzugehen, sei in vielen Fällen schwer, wie es der Verein Väteraufbruch erklärt.

    Markus Oswald (Name wurde geändert) hat zwei Kinder. Sonntagnachmittag und Dienstagabend muss er immer eines von beiden abgeben. Dann fährt er seinen siebenjährigen Sohn Lukas zu dessen Mutter. Die Fahrt von Papa zu Mama dauert für Lukas etwa fünfeinhalb Lieder. An manchen Tagen bleiben die beiden noch sitzen und hören das sechste Lied zu Ende. Doch irgendwann ist der Moment gekommen, der mindestens fünfeinhalb Lieder lang in der Luft lag. Lukas fragt seinen Vater nicht, ob er mit reinkommen kann. Er versteht, dass Mama und Papa nicht gerne miteinander sprechen.

    Der Verein Väteraufbruch kann sich gerade nicht treffen

    Das vermutet zumindest sein Papa. Als er diese Szenen, die sich schon Hunderte Male in seinem Leben abgespielt haben, schildert, sitzt Markus Oswald in einer Kneipe in Ulm. Es ist kurz vor dem zweiten Corona-Lockdown. Capo’s Größenwahn, 80er Jahre Rockkneipe, laute AC/DC-Musik. Für diesen Abend ist die Kneipe der Ort für den „Vätertreff“. Väteraufbruch für Kinder nennt sich der Verein, in dem Oswald seit etwa sechs Jahren aktiv ist. „Eigentlich ein total dummer Name“, sagt er. Normalerweise findet immer am ersten Mittwochabend im Monat das Vätertreffen im Vereinsraum in

    An diesem Abend kommt nur noch ein zweiter Vater, Sven K., Mitte 40, hat einen achtjährigen Sohn. Auch er will gerne anonym bleiben. In seiner Hand hält er eine Mappe, darin liegt ein Schreiben seiner Anwältin, das er mit Oswald besprechen will. Die beiden setzen sich auf eine rote Ledereckbank im Capo’s, Oswald bestellt ein kleines Bier, Sven K. einen Minztee. „Obwohl wir unterschiedlich sind, sind unsere Geschichten ähnlich“, sagt Oswald irgendwann am Abend.

    Er ist es gewohnt, sich von seinem Sohn zu verabschieden. Er tut es seit etwa sieben Jahren mehrmals die Woche. Der 50-Jährige aus der Region Ulm möchte seinen echten Namen und den seines Sohnes zum Schutz der Familie nicht veröffentlichen. Dass Lukas einmal unter der Woche und jedes zweite Wochenende bei ihm sein darf, ist für Oswald nicht selbstverständlich.

    Die Ex-Frau nahm den Sohn mit, als sie wegzog

    Ungezählte Akten, Gerichtstermine, Telefonate und schier niemals endende Diskussionen später, hat er das erreicht, was andere betroffene Väter sich sehnlichst wünschen: das eigene Kind regelmäßig zu sehen. Der 50-jährige Vater nimmt einen Schluck, lehnt sich zurück und fängt an zu erzählen. Er berichtet von der Geburt seines Sohnes, damals war er etwa zwei Jahre mit der Kindesmutter, wie er sie nennt, zusammen. „Ich wollte immer spät Kinder haben“, sagt er. Wenige Wochen danach ging die Beziehung in die Brüche, seine Ex-Freundin nahm Lukas mit zu sich und zog weg.

    An manchen Tagen hat Markus Oswald 500 Kinder gesehen, sagt er, aber sein eigenes nicht. Er ist Lehrer. Als Lukas etwa ein Jahr alt war, wollte der 50-Jährige gegen die Willkür seiner Ex-Freundin vorgehen. „Sie hat bestimmt, wann ich mein Kind sehen darf“, sagt Oswald. Man spürt, dass es ihn immer noch stört, er aber gelassen bleibt. Zweimal in der Woche durfte er Lukas für zwei Stunden sehen. „Wir hatten viel Spaß, aber die Zeit war einfach zu wenig.“ Wegen der Unterhaltszahlungen musste er irgendwann einen Rechtsbeistand aufsuchen. „Ich habe dem Anwalt erzählt, dass ich meinen Sohn nur zweimal die Woche sehe. Er meinte, ich könne froh sein.“

    Den Vater aus dem Leben zu streichen ist "falsch verstandener Feminismus"

    Oswald glaubt, wie viele betroffene Väter, dass ein altes Familienbild und eine Solidarität zwischen Frauen und Müttern dafür sorgen, dass viele Mütter nach der Trennung automatisch davon ausgehen, das Kind müsse bei ihnen aufwachsen. „Frauen brauchen auch heutzutage keinen Mann mehr“, sagt der 50-Jährige, der mittlerweile in einer neuen Beziehung lebt. Den Vater allerdings aus dem Leben des Kindes zu streichen, sei falsch verstandener Feminismus, findet er.

    Lukas war etwa eineinhalb Jahre alt, als seine Eltern Anwälte einschalteten. Sein Vater wollte mehr Zeit als die vier Stunden pro Woche mit ihm verbringen. Oswald stellte sich vor, wie es wäre, wenn Lukas bei ihm übernachten könnte. Doch seine Ex-Freundin wollte das nicht. „Warum, kann ich nicht erklären“, sagt er heute. Die Anwältin seiner Ex schrieb in der Ablehnung des Antrags: Nach der Rückkehr verhalte sich Lukas auffällig. „Da standen die absurdesten Geschichten drin“, sagt der 50-Jährige und schüttelt den Kopf.

    Lukas’ Stuhlgang sei nicht gut, wenn er beim Papa sei. Sein Mittagsschlaf sei zu unregelmäßig, weil der Papa nicht darauf achte. „Ich wollte wissen, worin sich Lukas auffällig zeigt und habe ein klärendes Gespräch vorgeschlagen“, berichtet Oswald. Doch darauf seien die Mutter und deren Anwältin nicht eingegangen. Es war vor fünf Jahren, als sich Oswald und seine Frau schließlich vor Gericht trafen. Er wollte einen der Weihnachtsfeiertage mit Lukas und dessen Großeltern verbringen.

    Doch die Mutter wies den Antrag zurück. Darin stand, es wäre für ihre Planung zu unflexibel. Der Familienrichter stimmte Oswald jedoch zu: Es sprach nichts dagegen, den Umgang nicht auszudehnen. Auch im weiteren Schriftverkehr zwischen den Parteien zeigte sich, dass es keinen Grund gab, warum Oswald seinen Sohn nicht öfters hätte sehen können. Der Ulmer Familienrichter erkannte die verzwickte Situation der getrennten Eltern. „Er verdonnerte uns zu einer Mediation beim Kinderschutzbund“, erzählt Oswald. „Von da an ging es bergauf“. Er ist froh, dass das Familiengericht so entschieden hat. Denn mittlerweile darf Lukas bei ihm auch über Nacht bleiben.

    „Natürlich gibt es Arschlochväter“, sagt Oswald. Auch solche Fälle sind ihm bekannt. Erst kürzlich wurde ein Vater vom Oberlandesgericht Frankfurt zum Umgang verurteilt. Der Angeklagte pflegte keinen Kontakt zum eigenen Kind, da er beruflich sehr eingespannt gewesen sei. „Aber wir wollen aktiv Verantwortung für unser Kind übernehmen“, sagt Oswald weiter. Nach Meinung von Väteraufbruch – 150 Kreisvereine gibt es in Deutschland – hat ein Kind das Recht auf beide Elternteile.

    Sein Sohn lebt hauptsächlich bei der psychisch labilen Oma

    Sven K. erzählt eine ähnliche Geschichte: Er kämpft aktuell um mehr Umgang. Sein Sohn lebt nach der Trennung der Eltern bei der Mutter, sagt er. Seine Ex-Frau habe ihn für einen anderen verlassen und den Sohn mitgenommen. Der achtjährige Bub des Ulmers sei oft bei der Oma, seine Ex oft bei ihrem Neuen. Sven K. will sein Kind bei sich haben, denn die Schwiegermutter habe psychische Probleme. Die Sommerferien durften Vater und Sohn miteinander verbringen, das hat das Familiengericht so entschieden. „Wir waren Wandern im Allgäu“, erzählt Sven K. Er lächelt. Als er seinen Achtjährigen wieder zurückbringen wollte, klammerte der sich am Autogriff fest: Er will lieber beim Papa als bei der Oma wohnen, habe er gesagt. So erzählt es Sven, während er in seinem Minztee rührt. Er wünscht sich, dass der Familienrichter sich bald die Sicht seines Sohnes anhört.

    Lukas war drei, als sein Vater mit ihm durch die Ulmer Fußgängerzone schlenderte und ein Eis schleckte. Es kam der Moment, den Oswald heute als den Schmerzhaftesten bezeichnet. „Papa, warum kannst du nicht mit nach Hause kommen?“, habe Lukas ihn gefragt. Beim Nachbarsfreund sei der Papa ja auch immer da. Markus Oswald schaut auf die Tischplatte. „Was sagt man da?“, fragt er, er erwartet keine Antwort. Er habe damals versucht, das Thema zu wechseln.

    Innerlich sei ihm das Herz zerbrochen, als er so was sagte, wie: „Aber schau’, wir machen das eben auf unsere Art.“ Er wolle Lukas’ Mutter nicht schlecht reden, sagt er. „Das bringt auch gar nix. Da bin ich am Ende nur der Blöde. Sie schadet mit ihrem Verhalten nicht mir, sondern Lukas.“ Und: „Man will sein Kind ja nicht in einen Loyalitätskonflikt bringen.“ Mit seiner Ex hat er nur über SMS oder per E-Mail Kontakt. „Organisatorisches halt.“

    Oswald tippt auf seinem Handy herum. „Hier“, sagt er und zeigt ein Foto. Auf einem grünen Fahrrad sitzt ein blonder Junge und grinst. „Das ist Lukas“, sagt er. Daneben steht ein Mädchen mit breitem Grinsen und zwei Zöpfen. Emma, seine Tochter, drei Jahre alt. Mit Emmas Mutter lebt Markus Oswald zusammen. Wenn Lukas zu Besuch kommt, spielen die beiden zusammen. „Mal schauen, wie lange das noch gut geht“, sagt er und lacht. Lukas würde Emma gerne mal mit zum Spielen nach Hause nehmen, oder ihr sein anderes Kinderzimmer zeigen, erzählt sein Papa. Doch das geht nicht. Zumindest noch nicht.

    Sorgerecht in Deutschland: Das wird diskutiert

    Weil in Deutschland mittlerweile fast jedes dritte Kind nichtehelich geboren wird, müssen Väter immer häufiger um das Sorgerecht kämpfen. Der nicht mit der Mutter verheiratete Vater kann gemeinsam mit der Mutter vor dem zuständigen Jugendamt die Vaterschaft anerkennen und eine sogenannte Sorgerechtserklärung abgeben.

    • Unverheiratete Eltern: Hier liegt das Sorgerecht zunächst allein bei der Mutter. Wollen Mutter und Vater das ändern, müssen sie eine Sorgeerklärung abgeben. Wichtig ist, dass die Erklärungen nur persönlich abgegeben werden können und öffentlich beurkundet werden müssen, etwa vom Jugendamt oder einem Notar. Die Erklärung kann auch schon vor der Geburt des Kindes unterschrieben werden. So hat es auch Markus Oswald getan.
    • Neuregelung zugunsten der Väter: Dass unverheiratete Eltern für ihre Kinder ein gemeinsames Sorgerecht haben, ist seit der Reform des Kindschaftsrechts 1998 möglich. Seitdem unterscheidet der Gesetzgeber nicht mehr zwischen ehelichen und unehelichen Kindern. Und seit 2013 haben Väter mehr Rechte: Sie können nun ohne die Zustimmung der Mutter die Mitsorge beim Familiengericht beantragen und erhalten sie dann, wenn dabei dem Kindeswohl nichts entgegensteht.
    • Sorgerecht in der Politik: Nach den Plänen von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sollte der Weg zum gemeinsamen Sorgerecht Ende 2019 vereinfacht werden. Die Ministerin hat jedoch den Gegnern eines automatischen Sorgerechts nachgegeben. Ihr Argument: In schwierigen Beziehungen mit Alkohol- oder Gewaltproblemen sei es zu riskant, wenn der Mann auch gegen den Willen der Frau sorgeberechtigt werde und die Frau deswegen vor Gericht ziehen müsse. Daraufhin gab es viel Kritik, vor allem von Väterverbänden.
    • Recht auf Umgang: Die Elternteile haben grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit dem Kind, um durch regelmäßigen Kontakt einer Entfremdung mit einem der Elternteile vorzubeugen. Das gilt insbesondere, wenn das Kind nur bei einem Elternteil wohnt. Dafür muss der Elternteil, bei dem das Kind lebt, Raum und Zeit schaffen. Eine böswillige Verhinderung des Umgangsrechts kann ein gerichtliches Umgangsverfahren nach sich ziehen. Ist der Umgang gerichtlich beschlossen worden und lässt der betreuende Elternteil den Umgang trotz des Beschlusses nicht zu, kann dies empfindliche Ordnungsstrafen (bis zu 25.000 Euro oder Ordnungshaft) mit sich bringen. In der Praxis kommt das aber so gut wie nie vor. Das bestätigte unter anderem die Tübinger Familienrichterin Dagmar Röhm im Oktober gegenüber dem Schwäbischen Tagblatt. Für die Väter heißt das umgekehrt: Keine Folgen für die Mutter, wenn sie abgemachte Zeiten nicht einhält.

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