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Ulm: Xavier Naidoo, die Stimme der Verschwörungsgläubigen

Ulm

Xavier Naidoo, die Stimme der Verschwörungsgläubigen

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    Xavier Naidoo soll im Frühjahr 2021 in Ulm auftreten. Doch jetzt steht dieser Vertrag mit dem umstrittenen Künstler massiv in der Kritik. Das Management des Sängers äußert sich aktuell nicht zu diesem Fall.
    Xavier Naidoo soll im Frühjahr 2021 in Ulm auftreten. Doch jetzt steht dieser Vertrag mit dem umstrittenen Künstler massiv in der Kritik. Das Management des Sängers äußert sich aktuell nicht zu diesem Fall. Foto: Alexander Kaya

    Montag, 18.09 Uhr, Xavier Naidoo leitet eine Nachricht in seinem Chat-Kanal weiter: Für die Herstellung von Coca-Cola werden angeblich Körperteile und Zellen von abgetriebenen, menschlichen Föten verwendet. Dienstag, 7.37 Uhr, Naidoo schreibt: „Stefan Ratzeburg. König von Deutschland. Wir kommen um Dir zu helfen.“

    Xavier Naidoo verbreitet auf Telegram seine Thesen

    Xavier Naidoos Kanal postet fast ohne Pause. Auf Telegram – einem alternativen Chat-Programm, das besseren Datenschutz als Whatsapp verspricht – wendet sich der Sänger an seine Fans. 67.000 Menschen folgen dem Popstar auf der Plattform. Manchmal teilt er dort nur Artikel aus Zeitungen wie der Welt oder postet Wortspiele mit Politikernamen, die man bestenfalls als Satire verstehen kann. Doch dann folgen wieder härteste Verschwörungstheorien: Stichworte wie „Adrenochrom“ fallen mit Selbstverständlichkeit, und man muss erst einmal eine Suche im Internet bemühen, um zu verstehen, worum es geht. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich der Verschwörungsglaube an Machenschaften einer vernetzte Weltelite, die sich Blut von jungen Menschen spritzen lässt, um die eigne Lebenszeit zu verlängern. Oder auch „Pizzagate“: Die längst widerlegte Annahme, eine US–Elite um Hillary Clinton sei aktiv in einen Kindermissbrauchsskandal verwickelt. Selten schreibt Naidoo selbst, viele Nachrichten leitet er kommentarlos weiter. Corona ist der Zündfunke und der aktuelle Anlass. Es geht aber um mehr, um geheime Mächte und unglaubliche Mutmaßungen.

    „Freisein“, „Sie sieht mich nicht“, „Dieser Weg wird kein leichter sein“ – diese Songs machten Xavier Kurt Naidoo bekannt. Er ist einer der „Söhne Mannheims“, wurde Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“. Seine Stimme war sein stärkstes Markenzeichen. Bislang. Jetzt verschaffen ihm seine Netzaktivitäten neue Berühmtheit. Eva Herrmann, Hildmann und Naidoo, so heißen die namhaften Figuren des selbst ernannten Widerstands in der Corona-Krise. Der Kreis der Verschwörungsgläubigen wird prominenter – und mit der Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit wächst die Kritik.

    Ein geplantes Konzert von Naidoo in Wiblingen steht in der Kritik

    Gegen ein geplantes Konzert von Naidoo im Kloster Wiblingen protestiert der Ulmer Landtagsabgeordnete Martin Rivoir (SPD). Beim Finanzministerium von Baden-Württemberg, das das Kloster verwaltet, hat er eine Überprüfung des Konzertvertrags beantragt. Rivoir fordert, „staatliche Grundstücke nicht für solche politisch sehr zweifelhaften Leute zu vermieten“. Und das Ministerium lässt tatsächlich prüfen, welche rechtlichen Möglichkeiten das Land hat.

    Die Konzertagentur „Provinztour“, die das Kloster gemietet und den Vertrag mit Naidoo geschlossen hat, hält sich in der Debatte zurück. Agenturchef Rolf Weimann antwortet auf eine Anfrage schriftlich: „Da es sich hier um ein schwebendes Verfahren handelt, werde ich mich aktuell nicht äußern. Ich kann hierzu nur sagen, dass die Aussage von Herrn Rivoir, er habe sich an den Veranstalter gewandt (zu lesen in der Südwestpresse) definitiv falsch ist! Bei mir hat er sich jedenfalls nicht gemeldet…“. Zwei Wochen zuvor hatte Weimann noch seine Sicht als Veranstalter dargelegt: Naidoo sei nach wie vor ein Ausnahmesänger – trotz aller berechtigter Kritik. Er hoffe sehr, dass sich der Künstler endlich wieder nur auf seine Kunst konzentriere. Doch in der Zwischenzeit hat Naidoos Kommunikationsmaschinerie weiter Fahrt aufgenommen und Aufmerksamkeit gewonnen. Die Zahl derer, die ihm auf Telegram folgen, steigt wie die Zahl der Schlagzeilen.

    Die Verwalter des Klosters Wiblingen distanzieren sich von Naidoo

    Das Kloster Wiblingen wird von den „Staatlichen Schlösser und Gärten Baden Württemberg“ (SSG) betreut – eine Institution, die wiederum dem Finanzministerium angehört. Die SSG sieht sich aber nicht als Hausherr des geplanten Konzerts: „Gastgeber ist der Konzertveranstalter“, erklärt Pressesprecher Michael Hörmann. Und: „Wir stehen weder in Kontakt noch in einem Vertragsverhältnis mit Herrn Naidoo oder seinem Management.“ Die Institution hatte dem Veranstalter schon 2019 das Kloster für das Konzert vermietet. „Wie meist in solchen Fällen sichern sich die Veranstalter die Flächen, bevor sie mitteilen können, welche Künstlergruppen tatsächlich zu dem Termin kommen werden“, sagt Hörmann. Position bezieht er trotzdem: „Wären wir der Gastgeber, würde das Konzert mit Herrn Naidoo nicht stattfinden.“

    Die Kosten einer möglichen Vertragsauflösung spielen in dieser Gemengelage eine Rolle. Die „Schlösser und Gärten“ befürchten Regress-Ansprüche: „Wir haben die Möglichkeit einer Kündigung bereits geprüft. Es geht nicht. Wir würden sonst gerichtlich angehalten werden, dem Veranstalter den Verlust zu ersetzen“, erklärt Hörmann. Er betont zugleich: „Die Meinungsfreiheit stellt einer der höchsten Rechtsgüter unserer Demokratie dar. Als staatliche Einrichtung sind wir diesem Wert in besonderer Weise verpflichtet. Was die Meinungsfreiheit deckt und wo sie endet, entscheiden nicht wir, sondern Gerichte. Und das ist auch gut so.“ Das bedeute aber nicht, dass man alles gut finden müsse, zu dem man verpflichtet sei.

    Das Finanzministerium äußert sich zu Xavier Naidoo

    Benjamin Hechler, Sprecher des Finanzministeriums, sieht das ähnlich: „Wir haben keinen Vertrag mit Xavier Naidoo. Und wir hätten sicher auch keinen mit ihm abgeschlossen, wenn wir selbst ein Konzert organisiert hätten.“ Auf die Gestaltung der Verträge haben das Ministerium zumindest keinen direkten Einfluss. Für die „Schlösser und Gärten“ als Vertragspartner gilt, „dass sie die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu achten haben und der Neutralität verpflichtet sind.“ Liegt also bei einem Konzert zuvor kein rechtlicher Verstoß vor, kann die SSG eine solche Veranstaltung nicht einfach absagen. „Wir prüfen allerdings derzeit, inwiefern wir mehr Klarheit und Transparenz bei den Anforderungen an die Pflichten von Veranstaltern schaffen können.“ Was das Land in Verträgen regelt, müsse „rechtssicher und gerichtsfest“ sein. Einseitige nachträgliche Änderungen von bereits geschlossenen Verträgen sind nicht möglich.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Eine Gefahr für die Demokratie

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