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Ulm: Warum mehr Platz für Fahrräder auch mehr Platz für Autos bedeutet

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Warum mehr Platz für Fahrräder auch mehr Platz für Autos bedeutet

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    Normalerweise ist Stephan Schwarz (im Bild rechts) nie ohne Helm mit dem Fahrrad unterwegs. Für unser Foto hat er den Schutz abgenommen.
    Normalerweise ist Stephan Schwarz (im Bild rechts) nie ohne Helm mit dem Fahrrad unterwegs. Für unser Foto hat er den Schutz abgenommen. Foto: Alexander Kaya

    Manchmal fährt Stephan Schwarz schon allein deshalb mit dem Auto, weil er sich auf dem Fahrrad nicht mit seiner Partnerin unterhalten kann. Für den Physiotherapeuten aus Ulm ist die eigene Bequemlichkeit ein Beweis dafür, dass es ganz neue Denkansätze für die Verkehrsplanung braucht. „Im

    Einmal im Monat fahren Radler als "Critical Mass" durch Ulm und Neu-Ulm

    Weil Schwarz überzeugt ist, dass sich etwas ändern muss, geht er regelmäßig auf die Straße – auf zwei Rädern. Immer am letzten Freitag im Monat fahren Radler abends als „Critical Mass“ durch Ulm und Neu-Ulm. Die „kritische Masse“ ist eine Art freie Demonstration, die auf den Radverkehr aufmerksam machen will.

    Das Ehinger Tor in Ulm und der Allgäuer Ring in Neu-Ulm sind kritische Punkte für Radfahrer

    Stephan Schwarz fährt gerne Fahrrad. Weil er sich gerne bewegt, weil er an die Umwelt denkt, weil er in der Stadt schnell vorankommt – zumindest manchmal. An bestimmten Ecken, sagt der Ulmer, fühle er sich bloß als rollendes Hindernis. Auf dem Weg von seiner Wohnung in Söflingen in die Innenstadt liegt die Kreuzung Einsteinstraße/Jägerstraße, die Radler nicht legal überqueren können. Schwarz hat sogar bei der Polizei nachgefragt, die Beamten wussten auch nicht weiter. Da ist das Ehinger Tor, wo Radler an drei Ampeln Rot haben und Autofahrer eine Grüne Welle. Und da sind die unter Radlern berüchtigten Umlaufsperren am Allgäuer Ring in Neu-Ulm. „Da fahre ich als Radfahrer einmal und dann nehme ich wieder das Auto“, sagt Schwarz.

    Dabei gebe es doch auch so gute Beispiele: Eine Ampel am Rand der Neu-Ulmer Glacis-Anlagen, deren Taster ein paar Hundert Meter früher aufgestellt ist. Wer mit dem Fahrrad an der Kreuzung ankommt, hat gleich Grün. Der neue Radweg, der parallel zur Straßenbahnlinie 2 auf den Eselsberg führt. Oder die Wörthstraße in der Ulmer Weststadt, in der Radfahrer Vorrang vor Autofahrern haben. Schwarz ist begeistert von den Ulmer Fahrradstraßen. Die brächten auch durchschnittliche Erwachsene zum Radfahren: „Sonst sind es eigentlich nur Jugendliche ohne Führerschein und die, die sportlich unterwegs sind.“

    E-Bikes können auf längeren Strecken eine Alternative sein

    Ob er auch so viel Fahrradfahren würde, wenn er weiter auf dem Land leben würde? „Wahrscheinlich würde ich häufiger das Auto nehmen“, gesteht Schwarz. Aber E-Bikes, die weiter im Trend liegen, können das Radeln aus seiner Sicht auch für längere und anstrengendere Strecken attraktiver machen. „25 Kilo und ein kleiner Motor für eine Person sind besser als 1,5 Tonnen und ein großer Motor“, sagt er.

    Der Ulmer ist niemand, der auf den einen, richtigen Weg schwört. Ihm geht es zu Fuß oder mit den Öffentlichen schlicht nicht schnell genug. Und für ihn ist klar, dass es an manchen Stellen und für manche Leute keine vernünftige Alternative zum Auto gibt. Doch Schwarz ist überzeugt: Wenn der Verkehr anders geplant wird, wenn er aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird, dann profitieren alle. Mehr Platz für Fahrradfahrer bedeute auch mehr Platz für Autofahrer.

    Angenommen, beim Bau von Straßen würde erst an Radfahrer und Fußgänger gedacht und danach an Autos. Angenommen, Radfahrer könnten sich sicherer fühlen. Dann, glaubt Schwarz, wären mehr Leute auf zwei statt auf vier Rädern unterwegs. Und dann bliebe auch mehr Raum für die Autofahrer, die anders nicht vernünftig vorankommen: Handwerker, Menschen mit Behinderungen, Leute auf dem Weg zum Einkaufen. „Wer muss, der kann“, sagt Stephan Schwarz.

    Brisante Situationen hat der Radler selbst schon erlebt

    Einmal, erzählt der Physiotherapeut, habe er sich mit zwei Frauen unterhalten: „Zwei 30-Jährige, die sagen, sie fahren nicht mit dem Fahrrad in die Stadt, weil es ihnen zu gefährlich ist.“ Wie brisant manche Situationen sind, hat Schwarz selbst erlebt: Bei den Touren der „Critical Mass“. Laut Straßenverkehrsordnung gilt ein Verband von mindestens 15 Radfahrern als ein Fahrzeug. Die Teilnehmer dürfen nebeneinander fahren und eine ganze Spur einnehmen. Und wenn der Erste über eine grüne Ampel fährt, dürfen alle hinterherkommen – auch wenn das Licht rot wird. Vielen Autofahrern, berichtet Schwarz, sei das nicht klar. „In Berlin, Hamburg oder Stuttgart müssen Autofahrer dann schon mal 20 Minuten warten“, weiß er. In Ulm seien es nie mehr als 100 Radler – und man fahre eigens am Freitagabend, wo es eigentlich niemand eilig habe.

    Manche Autofahrer reagieren "unglaublich aggressiv"

    Trotzdem sorgt sich der Ulmer bei den Rundfahrten der „Critical Mass“ um die Radler, vor allem um Kinder. „Es gibt immer wieder Konflikte mit Autofahrern, die unglaublich aggressiv reagieren“, berichtet er und gibt ein Beispiel: „Es gibt Autofahrer, die fahren einfach in die Gruppe hinein.“ Zuletzt hat die Polizei die Radler-Runden begleitet. Stephan Schwarz ist froh darüber. Denn schon ein einzelner Beamter scheine zu bewirken, dass die Autofahrer ruhig bleiben.

    Polizisten begleiten Demonstrationen, die „Critical Mass“ ist aber keine – sondern eine Art Ausflug von Gleichgesinnten: Es gibt keinen Organisator und keine einheitliche Botschaft. Nur das gemeinsame Ziel, dass das Radfahren mehr Aufmerksamkeit bekommt. Das freie Konzept hat es Stephan Schwarz angetan. Wenn er über sein Motiv spreche, gelte das wirklich nur für ihn: „Meine Grundidee ist es, öffentlichen Raum einzufordern.“

    Die „Critical Mass“ trifft sich am Freitag, 31. Juli, um 18.30 vor dem Stadthaus.

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