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Ulm/Vöhringen: Stoma-Träger: Vom Leben mit einem Beutel am Bauch

Ulm/Vöhringen

Stoma-Träger: Vom Leben mit einem Beutel am Bauch

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    Ein Stück Darm wird durch eine Öffnung in der Bauchhaut nach außen geführt, ein Beutel nimmt Stuhl oder Urin auf.
    Ein Stück Darm wird durch eine Öffnung in der Bauchhaut nach außen geführt, ein Beutel nimmt Stuhl oder Urin auf. Foto: Alexander Kaya

    Es ist ein Schritt, der vielen Angst macht. Manche Patienten denken vor der Operation, ihr bisheriges Leben gehe damit zu Ende: Ein Stückchen Darm wird durch eine kleine, runde Öffnung in der Bauchhaut nach außen geleitet und ein Beutel aus dünner, geruchsundurchlässiger Folie nimmt Stuhl oder Urin auf. Jutta Hertzig kennt die Angst aus Gesprächen mit Patienten. Die Frau aus dem südlichen Kreis Neu-Ulm trägt selbst ein Stoma, wie der künstliche Ausgang genannt wird. Sie sagt: „Erst nach der OP hat mein Leben angefangen.“

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    Jutta Hertzig litt an Morbus Crohn, einer chronischen Darmerkrankung. Jahrelang kundschaftete sie aus, welche Toiletten auf ihrem Weg liegen – jedes Mal, wenn sie das Haus verließ. „Dann habe ich entschieden: Das ist für mich kein Leben mehr“, erinnert sich Hertzig. Sie ließ sich operieren, 28 Jahre ist das her. Trotz anfänglicher Probleme mit einem undichten Stomabeutel betont die 58-Jährige: „Es hat die allerbeste Entwicklung genommen.“ Hertzig bekam ein Kind und ist ganz normal berufstätig. Nur einen Fehler habe sie gemacht, sagt die Frau: Sie habe sich anfangs dagegen entschieden, zu den Treffen der Ilco-Ortsgruppe zu gehen: „In jungen Jahren denkt man, man kriegt das alles selber hin.“

    Selbsthilfe: Ilco unterstützt Menschen mit Stoma

    Inzwischen geht Hertzig regelmäßig zu den Treffen und engagiert sich bei Krankenhausbesuchen, die die Gruppe anbietet. Die Ilco ist der deutsche Selbsthilfeverband von Menschen mit einem Stoma, der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der lateinischen Begriffe Ileum (Dünndarm) und Colon (Dickdarm) zusammen. Die Ilco ist aber mehr als ein Selbsthilfeverband, sie vertritt gleichzeitig die Interessen der Stomaträger gegenüber Politik und Krankenkassen. Die regionale Gruppe, Ilco-Ulm Vöhringen, ist vor etlichen Jahren aus dem Zusammenschluss zweier Ortsgruppen entstanden. Immer am zweiten Freitag eines Monats treffen sich 20 bis 30 Mitglieder und ihre Partner nachmittags in Schuberts Café in der Ulmer Friedrichsau. Und an einem Abend kommt die junge Ilco zusammen: Menschen zwischen 28 und 60 Jahren, die berufstätig sind und am Freitagnachmittag keine Zeit haben.

    Was die Treffen der Ilco-Gruppe so wichtig macht, kann Jutta Hertzig mit einem einfachen Beispiel erklären: Die Probleme mit dem undichten Beutel hätte sie schneller in den Griff bekommen. Denn in der Ilco-Gruppe kommen Leute zusammen, die ähnliche Probleme haben. Probleme, bei denen auch viele Ärzte nicht weiterwissen, weil sie sich nicht gut genug auskennen.

    Ein künstlicher Ausgang beeinflusst den Alltag vor allem am Anfang

    Auch Karl-Dieter Werkmann hatte anfangs Schwierigkeiten. Er vertrug den Kleber nicht, mit dem der Stomabeutel befestigt war. Ein weiteres Thema, zu dem Ilco-Mitglieder Tipps geben können. Werkmann, 68 Jahre alt, lebt seit sechseinhalb Jahren mit Stoma, Darmkrebs machte den Eingriff nötig. „Wenn ich zwei Jahre früher zur Darmspiegelung gegangen wäre, hätten sie mir einen Polypen rausgeknipst“, sagt er. „Es wäre so einfach gewesen.“ Im Alltag spüre er sein Stoma kaum. Unterwegs bereite er sich vorsichtshalber auf alles vor: Er sieht nach, wo es Behinderten-Toiletten gibt, da dort WC und Waschbecken in einem Raum. „Ich lebe damit“, sagt der 68-Jährige. Und er geht offen damit um. Dass andere eine Scheu haben, kann Werkmann verstehen: „Ein Stoma ist etwas, das man nicht offen trägt. Und das Thema ist keins, über das man sich auf einer Party unterhält.“

    Leiter der Ilco-Gruppe Ulm-Vöhringen ist Helmut Lerch, der im Alb-Donau-Kreis lebt. Sein Stoma trägt er seit bald vier Jahrzehnten. Lerchs Mutter starb an familiärer Polyposis, auch er selbst erkrankte daran. Sein Darm ließ sich nicht erhalten: „Jeder Polyp wäre bösartig geworden“, erinnert sich Lerch. Mit 25 ließ er sich operieren, 1980 war das. Sein Bruder lehnte den Eingriff ab – und wurde nur 46 Jahre alt.

    Selbsthilfegruppe Ilco Ulm-Vöhringen hat sich vor Jahren zusammengeschlossen

    Der Besuchsdienst der Ilco kam vor der Operation zu Helmut Lerch in die Klinik, das Gespräch nahm im Angst. „Das war ehrlich gut“, betont auch seine Ehefrau Marianne. Sie sagt: „Auch Angehörige sind betroffen, nur anders. Nichtbetroffene sind betroffen, wie sehr sie mitbetroffen sind.“ Auch für sie gibt es Treffen. „Der Partner soll nicht immer wissen, was einen belastet“, erklärt Marianne Lerch. Sie, ihr Mann, Jutta Hertzig und einige andere sind für den Ilco-Besuchsdienst unterwegs: In der Uniklinik und im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm, in der Stiftungsklinik in Weißenhorn und im Alb-Donau-Klinikum in Blaubeuren. Es gibt feste Tage, die Ärzte vermitteln Kontakte.

    Die Ilco bietet auch Hausbesuche an – alles um Patienten kurz vor oder nach der OP Angst zu nehmen und Mut zu machen. Anfangs sei es eine Umstellung des Lebens, sagt Helmut Lerch. Doch dann gehe der Alltag ganz normal weiter. Und inzwischen laufen viele Eingriffe anders: Manche Patienten bekommen nur vorübergehend für ein paar Monate ein Stoma, bis sich der Darm erholt hat. Auch für die anderen bleibt fast alles möglich – außer Boxen, Gewichtheben und körperlich schwere Arbeit. Helmut Lerch geht zum Schwimmen und in die Sauna. „Man muss sich halt manchmal anpassen“, sagt Jutta Hertzig.

    Interessierte können über die Internetseite www.ilco.de Kontakt zur Ilco-Gruppe Ulm-Vöhringen aufnehmen. Das Selbsthilfebüro Korn ist unter Telefon 0731/88034410 und E-Mail kontakt@selbsthilfebuero-korn.de erreichbar.

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