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Ulm: Vergiftete Babys: Ermittlungen im Ulmer Morphin-Fall abgeschlossen

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Vergiftete Babys: Ermittlungen im Ulmer Morphin-Fall abgeschlossen

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    In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin auf dem Ulmer Michelsberg schwebten am 20. Dezember 2019 drei Babys in Lebensgefahr, nachdem ihnen das Schmerzmittel Morphin verabreicht worden war.
    In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin auf dem Ulmer Michelsberg schwebten am 20. Dezember 2019 drei Babys in Lebensgefahr, nachdem ihnen das Schmerzmittel Morphin verabreicht worden war. Foto: Alexander Kaya (Archivfoto)

    Es ist der 17. Januar 2020, als das Universitätsklinikum Ulm bei der Polizei Strafanzeige gegen unbekannt stellt: Die Rechtsmedizin des Klinikums hat Morphin im Urin von fünf Säuglingen gefunden. Die Staatsanwaltschaft Ulm nimmt Ermittlungen wegen des Verdachts des versuchten Totschlags auf. Ein Jahr später sind die Ermittlungen der Kriminalpolizei abgeschlossen, wie Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt.

    Die zentrale Frage ist allerdings weiter offen: Wer hat den Babys das schwere Schmerzmittel verabreicht?

    Drei der fünf Kinder schwebten in den frühen Morgenstunden des 20. Dezember 2019 in Lebensgefahr: Ihre Atmung setzte aus, die Herzfrequenz veränderte sich, die Säuglinge mussten künstlich beatmet werden. Drei bis vier Stunden habe es gedauert, bis die Kinder in Sicherheit waren, berichtete Dr. Ortraud Beringer Ende Januar 2020.

    Erst 48 Stunden nach dem Vorfall sei der Zustand der Babys wieder stabil gewesen. Die Oberärztin gehörte zu dem Team, das den Säuglingen auf der Überwachungsstation das Leben rettete. Später findet die Rechtsmedizin im Urin dieser und zweier weiterer Kinder Morphin. Einen medizinischen Grund dafür, ihnen das Schmerzmittel zu verabreichen, gab es nicht.

    Fünf Säuglinge wurden in der Kinderklinik Ulm mit Morphin vergiftet

    Ein sogenannter „frischer Tatort“ zum Sichern von Spuren fehlte den Ermittlern von Beginn an. Erst Wochen nach der Tat konnten sie mit ihren Nachforschungen beginnen. Die Corona-Pandemie mit den begleitenden Einschränkungen erschwerte die Arbeit zusätzlich und verursachte nach Angaben von Oberstaatsanwalt Bischofberger geringe zeitliche Verzögerungen.

    Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft und des Polizeipräsidiums Ulm gaben die Ermittler die Ermittlungsergebnisse zum Morphin-Fall damals bekannt.
    Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft und des Polizeipräsidiums Ulm gaben die Ermittler die Ermittlungsergebnisse zum Morphin-Fall damals bekannt. Foto: Alexander Kaya (Archivbild)

    Inzwischen sind die kriminalpolizeilichen Ermittlungen nach seinen Angaben abgeschlossen, die abschließenden Stellungnahmen der Sachverständigen stünden allerdings noch aus. Eine verlässliche Prognose darüber, ob und bis wann der Fall geklärt werden könne, sei erst möglich, wenn die Gutachten vorliegen. Die Datengrundlage für die Sachverständigen sei aber eher dürftig.

    Das Universitätsklinikum, so Bischofberger weiter, habe die Ermittlungen unterstützt und die dortigen Datenbestände nach ähnlichen Vorkommnissen wie die Giftattacke auf die Säuglinge überprüft. Auffälligkeiten seien aber nicht gefunden worden. Eine Sprecherin des Uniklinikums geht auf die Zusammenarbeit mit den Ermittlern nicht näher ein. Nur so viel: „Das Universitätsklinikum Ulm unterstützt die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ulm vollumfänglich und vertraut weiterhin in die Arbeit der Ermittlungsbehörden.“

    Moprhin-Fall: Vermeintlicher Ermittlungserfolg entpuppt sich als Labor-Panne

    Ein vermeintlicher schneller Ermittlungserfolg im Januar 2020 hatte sich schon bald als krasse Panne entpuppt: Im Spint einer Krankenschwester der entsprechenden Schicht war vermeintlich eine Muttermilch-Spritze mit Morphin gefunden worden. Die Frau wurde verhaftet – und nach vier Tagen wieder freigelassen. Weitere Tests hatten gezeigt, dass die Spritze kein Morphin enthielt. Das Lösungsmittel, das die Experten im Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts Baden-Württemberg verwendeten, war verunreinigt.

    Der Schicht, in der den fünf Neu- und Frühgeborenen Morphin verabreicht worden war, gehörten insgesamt vier Pflegerinnen und zwei Assistenzärztinnen an. Keine dieser sechs Frauen darf heute Patienten in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin auf dem Michelsberg betreuen.

    Eine der Ärztinnen habe zwischenzeitlich den Arbeitgeber gewechselt, teilt die Kliniksprecherin auf Anfrage mit. Die andere sei derzeit nicht in ihrem früheren Bereich in der stationären Krankenversorgung eingesetzt. Die vier Pflegekräfte seien weiterhin bei vollen Bezügen freigestellt. Die Freistellung der Ärztinnen hatte das Uniklinikum nach sechs Wochen in Absprache mit der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Andernfalls wäre die Facharztausbildung der beiden Frauen gefährdet gewesen. Das Ermittlungsverfahren, berichtet Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger, werde weiterhin gegen alle sechs Frauen geführt.

    Die Kinderklinik hat nach dem Vorfall ihre Arbeitsweise verändert und etliche neue Sicherheitsmaßnahmen eingeführt. Hat sich auch die Stimmung in der Belegschaft verändert? Der Betriebsrat will diese Frage nicht kommentieren. Eine Sprecherin des Klinikums betont, trotz der Geschehnisse sei eine positive Arbeitsatmosphäre geblieben – dank der auch mit den Beschäftigten abgestimmten neuen Sicherheitsvorkehrungen, aber auch dank Krisenbewältigungsangeboten, Supervision, Einzelgesprächen und mehr.

    In der Kinderklinik in Ulm gelten inzwischen neue Sicherheitsstandards

    Inzwischen werden Urinproben aller Patientinnen und Patienten der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin mit ungewöhnlichem Krankheitsverlauf routinemäßig analysiert. Die Kontrolle des Zugangs zu Betäubungsmitteln ist verschärft worden, über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Wer die Intensivstation und die Neugeborenenstation der Klinik betreten will, benötigt eine individuelle Identifikation.

    Alle Milchfläschchen und -spritzen sind nun verplombt oder vakuumiert, um Kontaminationen zu vermeiden – diese Sicherheitsvorkehrung hat das Universitätsklinikum nach eigenen Angaben als eine der ersten Kliniken in Deutschland eingeführt. Der Zugang zu den Milchküchen ist beschränkt worden. Unterstützende Maßnahmen wie Gespräche und Supervision sind in den Teams ausgebaut worden.

    Ein Sicherheitsdienst verhindert, dass Fremde die Klinik betreten. All diese Maßnahmen, betont eine Kliniksprecherin, seien mittlerweile als Standards in die klinischen Abläufe integriert und würden von den Beschäftigten vollumfänglich akzeptiert und für sinnvoll erachtet.

    Professor Udo X. Kaisers, der Leitende Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Ulm, hatte vor einem Jahr betont, man werde alles tun, verloren gegangenes Vertrauen wieder zu erarbeiten. Und Professor Klaus-Michael Debatin, der Ärztliche Direktor der Kinderklinik, hatte hervorgehoben: „Wir haben eine sehr gute Universitätsklinik hier.“

    Auch ein Jahr später bekennt die Klinikumssprecherin: „Die Sorge der Eltern um die Gesundheit ihrer Kinder konnten und können wir alle nach wie vor sehr gut nachempfinden.“ Die Klinik stehe den Eltern weiterhin jederzeit für Fragen zur Verfügung. Alle Kinder hätten den Vorfall ohne gesundheitliche Folgen überstanden. Patienten und Bevölkerung brächten der Kinderklinik trotz allem weiterhin großes Vertrauen entgegen: „Wir sind sehr dankbar“, betont die Sprecherin.

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