Das war ein Riesenlob fürs Publikum: Die Zeltbesucher dieses Abends seien ihr lustigstes, intelligentestes und tolerantestes Publikum, lobten die drei Well-Brüder Karl, Christoph und Michael – das umgekehrt die drei Multi-Instrumentalisten, Nummer 12 bis 14 der 15 Kinder von Traudl und Herrmann Well, am Ende des Abends mit Standing Ovations belohnten. Der Auftritt der drei im Zelt war früh ausverkauft gewesen.
So war der Auftritt der Well-Brüder aus'm Biermoos im Ulmer Zelt
Wie viele Instrumente an diesem Abend zwischen der kleinen Okarina und dem riesigen Alphorn zu hören sind, kann man nicht mitzählen. Zumal da auch Instrumente sind wie der Brummtopf (der sich laut der Brüder auch zur Vorbeugung von Missbrauch in Priesterseminaren eigne) und das Glachter sind, ein wiederentdecktes Volksmusikinstrument, von dem die Brüder die Geschichte erzählen, die Erfinder des Instruments seien Kinder des 12. Jahrhunderts gewesen, die mit einem ausgegrabenen Knochen auf einem bei Kanalisationsarbeiten entdeckten Brustskelett herumgeklopft hatten, das sich dann als das der heiligen Algunda von Hausen (dem fiktiven Nachbarort vom fiktiven Rohrbach) herausstellte.
Ja, unglaubliche und oft unglaublich lustige Geschichten haben die drei jüngsten Well-Söhne, geboren in den späten 50er Jahren, im Gepäck. Und jede Menge neuer Volksmusik – Musik eben, die fernab von der volkstümelnden Musik ist, die in TV-Shows zu erleben ist, Musik, die die traditionelle Volksmusik experimentell weiterentwickelt und mit witzig-bissigen sozial- und gesellschaftskritischen Texten kombiniert, Tanz vom Schuhplattler über den schottischen Highland-Dance bis zum Bauchtanz-Versuch inklusive.
Über den Schwörmontag und Ulms kaputte Brücken wissen sie Bescheid
Dieses Rohrbach, ihre fiktive Heimat, von der sie erzählen, das müsste man schon einmal kennenlernen. Geweihte Wetterkerzen gibt es dort, und sogar Georg Friedrich Händel reiste mal durch auf der Fahrt von Wien nach London, stieg dort ab und habe seine berühmte Feuerwehrmusik im Ort komponiert, erzählen sie. Und dass die „Black Mary-Pipeline“ geplant ist, eine Weihwasser-Pipeline von Altötting in andere Wallfahrtsorte, wo schwarze Madonnen verehrt werden. Ach ja, und Weihwasser kommt natürlich auch aus dem obersten Rohr des Kunstwerks im Kreisverkehr von Rohrbach. Gesponsert ist das Kunstwerk vom Global Player Rupp Rohre Rohrbach.
Mit Ulm und seiner Umgebung haben sich die drei vor ihrem Auftritt im Zelt tatsächlich gründlich beschäftigt. Sie wissen vom Schwörmontag, an dem keine Züge fahren sollen, von den kaputten Brücken, vom Blautopf (der entstand, als ein Schwabe ein 50-Cent-Stück verlor, es nicht mehr fand und dann danach zu buddeln begann), und vom Aufstieg des SSV Ulm – was dem Durchschnittsulmer wichtiger sei als das Münster. Nur „Czisch“ macht es nur noch, wenn man eine Flasche Goldochsen öffnet, derblecken sie ein bisschen.
Der Abend hat Momente, die unter die Haut gehen – zum Beispiel beim „Carpe diem!“-Lied um den auf alle wartenden Sensenmann, das gerade beginnt, als nach der Pause draußen das Gewitter losgeht. Bei den neu interpretierten Bauernregeln tobt das Zelt-Publikum vor Lachen. Wer hätte auch gedacht, dass der Bauer mit Gerhard Polts Mai Ling in Thailand twittert, wenn es am Gedenktag der heiligen Genoveva gewittert? Oder dass er einen Subventionsantrag auf eine Gummipuppe stellt, wenn es an Allerheiligen schneit? Oder dass der neue Raiffeisenbank-Kalender aufgehängt wird, „liegt an Weihnachten das Kind im Stroh“.
Im Ulmer Zelt bekommen auch Söder und Aiwanger ihr Fett weg
Reimen tut sich das alles natürlich nur auf Bayrisch, aber die Schwaben verstehen das recht gut und amüsieren sich prächtig. Politisch sind die Texte manchmal nicht ganz up to date, aber die drei zeigen unter anderem mit ihren Anti-Söder, Anti-Aiwanger und Anti-Alice Weidel-Schnaderhüpferln, dass ihre Herzen links schlagen, auch wenn sie optisch und akustisch auf den ersten Blick und Ton volkstümlich-bayrisch herüberkommen. „Pfiad's eich Gott!“, sagen sie – und da macht der Himmel auch gerade eine Regenpause.