Professor Dr. Thomas Stamminger ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie am Ulmer Uniklinikum. Wir haben mit dem Forscher über den Hoffnungsträger mit dem sperrigen Namen: BNT162b2 gesprochen. So heißt der Corona-Impfstoff des deutschen Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Pfizer. Seit zwei Jahren leitet Stamminger das Institut für Virologie am Universitätsklinikum Ulm und trat damit die Nachfolge von Professor Dr. Thomas Mertens an, der nun Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut ist. Stammingers Aussagen machen Hoffnung.
Hat Sie die Nachricht, dass wohl ein Impfstoff vor der Zulassung steht, überrascht?
Thomas Stamminger: Überrascht nicht wirklich. Ich habe damit gerechnet. Vielleicht nur nicht in dieser Geschwindigkeit. Die Ergebnisse scheinen sehr ermutigend zu sein.
Warum ging die Entwicklung so schnell?
Stamminger: Es steckt unglaublich viel Manpower und auch Geld in dem Thema. Außerdem wurden die Zulassungsverfahren beschleunigt. Die europäische Arzneimittelbehörde prüft fortlaufend klinische Daten im sogenannten Rolling-Review-Verfahren. Das heißt, die Bewertung von Daten wird bereits begonnen, bevor alle erforderlichen Studienergebnisse für einen Zulassungsantrag erhoben und gesammelt eingereicht wurden.
Geht das auf Kosten der Sicherheit?
Stamminger: Das glaube ich nicht. Es wurden lediglich Prozesse, die sonst nacheinander ablaufen, parallel durchgeführt.
Bringt der Impfstoff wirklich die große Erlösung?
Stamminger: Es gibt bisher nur die Pressemitteilung. Wissenschaftliche Daten konnte ich bisher nicht einsehen. Aber eine Effektivität von 90 Prozent, die bei 40.000 Probanden ermittelt wurde, ist schon sehr hoch. Die besten Impfstoffe, die über Jahrzehnte entwickelt wurden, erreichen eine Immunisierung von etwa 95 Prozent. Sollte sich die Wirksamkeit von 90 Prozent bestätigen, wäre dies eine unerwartet hohe Impfeffizienz. Deswegen glaube ich schon, dass der Impfstoffkandidat ein „Game Changer“, also eine Zäsur, im Kampf gegen das Virus sein kann.
Zum Vergleich: Wie wirksam ist eine Grippeschutzimpfung?
Stamminger: So um die 60 Prozent.
Wie lange wird es noch dauern, bis wir zum normalen Leben zurückkehren können?
Stamminger: Schwer zu sagen. Es wird aber nicht sehr schnell gehen. Experten haben durchgespielt, dass im kommenden Jahr etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland geimpft werden könnten. Wenn man davon ausgeht, dass bei steigenden Temperaturen im Frühjahr das Infektionsgeschehen wieder zurückgehen wird, könnte im Winter 2021/2022 schon eine Entspannung einsetzen. Das Jahr 2022 könnte wieder als ganz normal gelten.
Ganz ohne Abstandsregeln und Masken?
Stamminger: Ja, das hoffe ich sehr.
Was sind die Hürden einer groß angelegten Impfung?
Stamminger: Der Impfstoff muss bei minus 80 Grad gelagert werden. Solche Möglichkeiten haben die meisten Hausärzte nicht. Deswegen wird es Impfzentren geben müssen. Mein Vorgänger als Leiter des Instituts für Virologie am Uni-Klinikum Ulm, Professor Thomas Mertens, ist als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut hier bereits mit Planungen beschäftigt. Insbesondere geht es darum, welche Bevölkerungsgruppen als Erstes geimpft werden sollen. Wir stehen in ständigem Austausch.
Wie funktioniert der Impfstoff?
Stamminger: Das Biontech-Präparat ist ein sogenannter RNA-Impfstoff und nimmt das Oberflächenprotein ins Visier. Diese als „Spike“ bezeichneten Spitzen, die unter dem Mikroskop an eine Krone erinnern. Im Grunde wird der Impfstoff erst im Körper des Patienten von dessen eigenen Zellen hergestellt. Das Immunsystem „denkt“, da ist eine Infektion im Anmarsch und bildet Antikörper gegen das Oberflächenprotein, die den echten Erreger abfangen können.
Was gibt es noch für Impfstoffkandidaten?
Stamminger: Ich setze auch große Hoffnung auf den Ansatz von Astra-Zeneca und der Universität Oxford. Das sind „Vektor“-Impfstoffe. Dabei werden für den Menschen harmlose Viren mithilfe von Gentechnik als das neuartige Coronavirus „verkleidet“.
Wird es so kommen, dass die Menschen mit mehreren Impfstoffen immunisiert werden?
Stamminger: Das ist durchaus vorstellbar.
Forschen Sie auch an Covid-19 auslösenden Viren?
Stamminger: Ja, wir bearbeiten ein Projekt zu neuen Medikamenten gegen Covid-19. Aber mein eigentlicher Forschungsschwerpunkt ist das Zytomegalievirus, ein spezielles Herpes-Virus. Dieses Virus tragen ungefähr 50 Prozent der Menschen in sich. Meist ist es ungefährlich, doch für Menschen mit geschwächtem Immunsystem kann es tödlich sein. Etwa für Patienten nach einer Knochenmarkstransplantation.
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