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Ulm: Todesengel im Wortduell

Ulm

Todesengel im Wortduell

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    Packendes Pockettheater (von links): Fabian Gröver als Robespierre, Jörg-Heinrich Benthien als Danton und Wiebke Neulist als stumme Gestalt.
    Packendes Pockettheater (von links): Fabian Gröver als Robespierre, Jörg-Heinrich Benthien als Danton und Wiebke Neulist als stumme Gestalt. Foto: Martin Kaufhold

    „Dieser Messias ist das Leichenhemd der Republik“: Dantons Zeigefinger zielt über den Tisch auf Robespierre. Doch dieser kontert cool: „Du musst weg“. Danton lässt die Hosen runter, wankt auf die Latrine, stammelt Lebensüberdruss, bäumt sich nochmals auf: „Du willst mich schrecken, du wirst es nicht wagen.“ Im Podium des Theaters Ulm konzentriert Andreas von Studnitz Georg Büchners Revolutionsdrama „

    Georges Jacques Danton und Maximilien Marie Isidore de Robespierre gehörten zu den führenden Köpfen der Französischen Revolution, die am 14. Juli 1789 mit dem Sturm auf die Bastille das Ende des Absolutismus einläutete. Danton wurde von Robespierre gestürzt, ein knappes Vierteljahr später (28. Juli 1794) auch der Jakobiner guillotiniert. Georg Büchners 1902 uraufgeführtes Geschichtsdrama, das diesen halben Monat vor der Hinrichtung Dantons in Paris schildert, beginnt in einem Spielsalon, als die Jakobiner um Robesspierre ihre Fraktionskämpfe mit den Dantonisten für sich entschieden und schließt mit der Hinrichtung Dantons. Die Büchner-Adaption der Ulmer Inszenierung endet als erloschenes Wortduell von Danton und Robespierre am langen Esstisch, der im Gegenuhrzeigersinn zum Karussell des Todes wird. Denn der Zuschauer blickt hinterm rot glühenden Bühnenbild-Rondell (Britta Lammers) eines gruseligen Puppenkabinetts von abgehackten Extremitäten und niedergeschmetterten Leibern auf den entkleidet dahin gestreckten Danton, der zum monotonen Takt der Stiefelabsätze Robespierres schließlich wie ein Fingerzeig im Zifferblatt des Jüngsten Gerichts keinen Mucks mehr von sich gibt.

    Mit Montagetechnik den Stoff verdichtet

    Büchner arbeitete historische Quellenzitate auch mit Auszügen aus den Reden der Revolutionsführer in sein Stück ein. Studnitz verdichtet per komprimierter Montagetechnik die unterschiedlichen Porträts der beiden Protagonisten, die sich im Streitgespräch an den Kopfenden Auge in Auge gegenübersitzen: Danton proklamiert Mäßigung („Wo die Notwehr aufhört, beginnt der Mord“). Robespierre vertritt weiter eine Herrschaft des Schreckens als Tugend und „Waffe der Republik“. Jörg-Heinrich Benthien spielt im Wortgefecht, das einer Verhörsituation gleicht, den von Erinnerungen an das Gemetzel der (von ihm geduldeten) „Septembermorde“ gepeinigten Genussmenschen Danton am Schicksalstisch seines großen Fressens als cholerisch aufflackernden Skeptiker und Materialisten – Austern klappernd, Rotwein schlürfend, Apfelsinen mampfend, rülpsend und schwer atmend. Fabian Grövers Robespierre gönnt sich keinen Bissen, nippt nur am Mineralwasser, ist kein derber Poltergeist, sondern ein gefährlich in sich flackernder Kontrahent, der auch dann keine Miene verzieht, wenn er allem Laster Hochverrat entgegenschleudert.

    Dritte im Bunde ist eine stumme Gestalt, die den Mund – erst summend, dann singend – nur für die Marseillaise aufmacht und Dantons Grapschen und Küsse mit kokettem Blick über sich ergehen lässt, aber nicht erwidert. Wiebke Neulist ist als stilles Luder der Todesengel, der Danton für sein allerletztes Forum präpariert. Das Ulmer Büchner-Epigramm dauert nur eine Stunde, verdient sich auf allen Ebenen jedoch das Prädikat „Ausschnitt als Ganzes“.

    Wieder am 19., 22., 23., 26. und 30. Oktober.

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