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Ulm: Strategien von AfD, Pegida und Co.: Wie der Begriff „Widerstand“ instrumentalisiert wird

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Strategien von AfD, Pegida und Co.: Wie der Begriff „Widerstand“ instrumentalisiert wird

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    Strategien von AfD, Pegida und Co.: Wie der Begriff „Widerstand“ instrumentalisiert wird
    Strategien von AfD, Pegida und Co.: Wie der Begriff „Widerstand“ instrumentalisiert wird

    Am Dienstag, 29. September, hält der TV-Journalist und Theologe Arnd Henze im Ulmer Münster einen Vortrag zum Thema „Das giftige Erbe der Vergangenheit. Kirche und Rechtspopulismus“.

    Kirchlich gesehen ist der 29. September der „Michaelistag“ – und mit der martialischen Figur des Erzengels Michael, 1934 nach langem Streit und gegen den Willen vieler in der Kirchengemeinde im spitzbogigen Durchgang von der Turmhalle zum Hauptschiff angebracht, hat der nun zum vierten Mal mit einem politischen Referat begangene Tag viel zu tun: Der 59-jährige Arnd Henze ist Autor des viel diskutierten Buches „Kann Kirche Demokratie“, hat sich als Moderator kontroverser gesellschaftlicher Debatten einen Namen gemacht und sich intensiv mit dem Missbrauch des NS-Widerstands durch rechte und andere Gruppierungen beschäftigt.

    Arnd Henze bei einer Veranstaltung 2011 in Köln-Gürzenich.
    Arnd Henze bei einer Veranstaltung 2011 in Köln-Gürzenich. Foto: Raimond Spekking

    So komplex die Fragen nach dem Erbe einer giftigen Vergangenheit sind, die Folgen einer in den 90er Jahren beendeten lebendigen Erinnerungskultur bringt Arnd Henze in einem klaren Satz zum Ausdruck, der aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen verstehbar macht: „Wer es geschafft hat, sich als wahren Erben des nationalsozialistischen Widerstands zu inszenieren und eine Kontinuitätslinie zwischen dem damaligen Widerstand und seinem Thema herzustellen, der kann den Widerstand praktisch mit jedem Inhalt füllen. Der Boden dafür ist lange bereitet worden.“ Es sei denn, ein selbstbewusstes, lebendiges Erinnerungsverständnis träte dem entgegen, so der Autor. Eine offene Debatte also, auf Argumente gestützt. „Denn niemand hat die Wahrheit für sich gepachtet.“

    Arnd Henze: AfD, Pegida und Corona-Gegner instrumentalisieren den Begriff "Widerstand"

    Wer sich also in eine gerade Linie stellt vom zivilen oder militärischen Widerstand im Nationalsozialismus zu welchem aktuellen Thema auch immer der Gegenwart, hat quasi die Deutungshoheit: „Was in den Köpfen einmal als ‘Widerstand’ verankert ist, funktioniert praktisch als Selbstläufer. Die mit Pathos angereicherte Instrumentalisierung des ‘Widerstandes’ reicht von der AfD über Pegida bis zu den Corona-Demos – in Verschwörungsmythen ging es erst um den Euro, später um die angebliche Bedrohung durch ’Umvolkung’ und ’Überfremdung’ – und heute um einen Virus.“ In den 80er Jahren sei man in der politischen Diskussion der Friedensbewegung in den Menschenketten und Demos gegen die Nachrüstung sehr behutsam mit dem Begriff „Widerstand“ umgegangen.

    „Es war klar, dass man zivilen Ungehorsam gegen eine Raketenstationierung nicht mit dem Widerstand gegen die NS-Diktatur gleichsetzen durfte“, sagt Henze. „Und auch nicht mit dem, was Artikel 20 Absatz vier des Grundgesetzes meint.“ Dort steht: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand“. Das aber gilt ausdrücklich nur, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. In den 80ern habe man auf die Lernfähigkeit des einzelnen Menschen wie des Staates gesetzt. Doch gerade gegenwärtig ist das Wort „Widerstand“ ein sehr wohlfeiles geworden.

    Die martialische Figur des Erzengels Michael im Münster.
    Die martialische Figur des Erzengels Michael im Münster. Foto: Dagmar Hub

    Woran das liegt? Die Gesellschaft und auch die Kirche haben dem absolut gesetzten Widerstandspathos außer „Pfui“-Rufen aus Henzes Sicht wenig entgegenzusetzen. Zum Beispiel, wenn Impfgegner einen gelben Stern aufs T-Shirt heften und sich so mit den jüdischen Opfern des Holocaust gleichsetzen. „Wir haben eine geschönte, geglättete Erinnerungskultur“, sagt Henze. „Sie hat drei Phasen durchlaufen: die erste Phase nach dem Krieg, in der die Zeitzeugen selbst die Deutungshoheit über die Geschichte haben wollten.“ Damals entstanden Heldengeschichten, die auch in offizielle Literatur Eingang fanden.

    Rechtspopulismus und NS-Vergangenheit als Probleme der Kirche

    Henze spielt auf die ambivalente Rolle von Theophil Wurm an, der als erster deutscher evangelischer Bischof 1940 gegen das „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten protestiert hatte, aber 1938 die Gemeinden angewiesen hatte, den Anschluss Österreichs mit einem einstündigen Glockenläuten zu begrüßen. Wurm war nach dem Krieg erster Ratsvorsitzender der EKD.

    „In den 80er Jahren wurde erzwungen, dass man sich damit auseinandergesetzt hat“, erklärt Henze. Danach aber sei die Erinnerungskultur gleichsam als „abgehakt“ erklärt worden, im Sinne von „Wir haben das jetzt und das funktioniert.“ Eine selbstbewusste Erinnerungskultur, die der Vereinnahmung widersprechen könnte, schien unnötig. Danach aber sei die Erinnerungskultur gleichsam ritualisiert erklärt worden, im Sinne von: „Wir haben das doch schon alles aufgearbeitet.“ Dabei müsse sich jede Generation ihr Verständnis der Geschichte neu erarbeiten.

    Entschieden setzt sich Arnd Henze mit der Homepage von „Christen im Widerstand“ auseinander, die beispielsweise bei der Querdenker-Demo am 22. August in Forchtenberg auftraten. Auf ihrer Homepage bezeichnen sie die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung der Corona-Pandemie als Ziel der Regierung, „Menschen einzuschüchtern und sie kontrollierbar und manipulierbar zu machen.“

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