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Ulm: Rock regiert auf dem Obstwiesenfestival

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Rock regiert auf dem Obstwiesenfestival

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    Auch wenn die Bands diesmal nicht so prominent waren wie vergangenes Jahr, so kamen heuer noch mehr Menschen zum Obstwiesenfestival. Gefeiert wurden am Freitag die Leoniden aus Kiel.
    Auch wenn die Bands diesmal nicht so prominent waren wie vergangenes Jahr, so kamen heuer noch mehr Menschen zum Obstwiesenfestival. Gefeiert wurden am Freitag die Leoniden aus Kiel. Foto: Andreas Brücken

    Konzertbesucher mögen es, von der Bühne ein bisschen angeschleimt zu werden. Das ist auch auf dem Obstwiesenfestival so. Leoniden-Sänger Jakob Amr weiß das natürlich, aber sein Lob klingt nach mehr als nur professioneller Frontmann-Rhetorik. „Es gibt nicht so viele Umsonst-Festivals, die so hammernice sind“, schreit er den Tausenden Menschen im Publikum am Freitag entgegen. Und legt noch nach: Die Obstwiese sei das Krasseste. Und das Publikum schreit und klatscht, für sich selbst, aber auch für die Verrückten, die jedes Jahr ehrenamtlich den Gratis-Open-Air-Spaß in Dornstadt möglich machen. Der Erfolg ist sicher eine starke Motivation: Mit rund 22000 Besuchern stellte das „OWF“ im vergangenen Jahr einen Besucherrekord auf. Und dieses Jahr sind es, trotz schlechteren Wetters und nicht ganz so prominenten Bands, tatsächlich noch einmal mehr geworden: 23000 Besucher werden laut Clemens Wieser aus dem Organisationsteam gezählt, 2000 beim Kinoabend mit dem Film „Die Goldfische“, 12000 am Freitag und 9000 am Samstag.

    Dass man dies im Vergleich zum Vorjahr weniger bemerkt, liegt Wieser zufolge vor allem daran, dass man das Festivalgelände vergrößert habe. Die Zeiten, in denen die Macher um Besucher bibbern mussten, sind vorbei, das zeigt auch der erneut volle Zeltplatz: 3000 Camper haben ihr Quartier direkt neben dem Gelände aufgeschlagen – die Zahl beweist, dass die Obstwiese nicht nur rund um Ulm Fans hat.

    Mehr als in manchen vergangenen OWF-Jahrgängen stehen die Zeichen musikalisch auf Rock, wobei Rock relativ ist: Viele Künstler verbindet an diesem Wochenende allein eine gewisse Begeisterung für den Einsatz von Stromgitarren. Auf der Obstwiese kennt der Rock ’n’ Roll schon am Freitag viele Schattierungen: Da ist der hymnische Indie-Pop-Rock der Leoniden aus Kiel, der wie eine Spotify-Lieblingslieder-Playlist fast alles, was derzeit von typischen Festivalbesuchern gerne gehört wird, auf einmal abfeuert: Das klingt nach Beatsteaks, nach Red Hot Chili Peppers, nach Coldplay, nach Green Day, aber zwischendurch auch nach Piano-House und R&B. Keine klare Linie, aber eine klare Botschaft: Feiern bitteschön, Obstwiese ist nur einmal im Jahr.

    Anders der bluesige, irgendwie etwas speckige Punk des Schweizers Bonaparte, der leider seine Freude an verrückten Verkleidungen abgelegt hat und lieber mit seinen beiden Mitstreitern geradeaus darauflosrockt. „Do you wanna party with the Bonaparte?“ Sicher doch, aber für die große OWF-Bühne ist das als griffiger Slogan vielleicht ein bisschen wenig. Da haben es die Bands im Zelt leichter, etwa Die Nerven, die kürzlich nach der Absage der kalifornischen Band Wargirl als Ersatz verpflichtet wurden. Bei den Stuttgartern, deren Energie an die frühen Nirvana erinnert, funktioniert die Idee von Rock als Affront noch. Was auch bei den Viagra Boys aus Schweden stimmt, aber eher an der dunklen Bier-Schwere ihrer Musik und der tätowierten White-Trash-Maskulinität ihrer Show liegt.

    Am Samstag kommen weniger Menschen zum Obstwiesenfestival

    Was die Besucherzahlen angeht, hinkt der Samstag dem Freitag hinterher, was sicherlich am grauen Himmel liegt, aber schade ist, denn auf dem Programm stehen fast nur Bands, die man sonst in Ulm eher nicht erlebt – und die auch mal fernab jeglicher Rock-Definition ihr Ding machen. Allen voran die Franzosen von Tahiti 80, deren sommerlich-leichter Good-Vibes-Pop manchen Besucher an Phoenix erinnert: Da vergisst man glatt den Nieselregen, der zu diesem Zeitpunkt unablässig auf die Köpfe tropft. Und auch Yeasayer, die Headliner des Abends, sind mit Indie-Rock nur sehr unzureichend beschrieben. Die New Yorker gehören zu den Bands, die in den Nuller-Jahren neue Inspirationsquellen erschlossen haben, ihre Songs schließen tropische Gelassenheit und Worldbeat-Rhythmik mit Sixties-Psychedelic kurz. Das ist auch auf der Obstwiese, wo sie das Programm der Hauptbühne beschließen, eine Attraktion, obwohl nach Mitternacht einige bereits auf dem Heimweg sind.

    Der "echte" Rock kommt auf der Obstwiese immer am besten an

    Vielleicht liegt das an Erschöpfung, vielleicht aber auch daran, dass beim Obstwiesenfestival immer noch der „echte“ Rock am besten funktioniert. Und den hat am Samstag schon früher die Band of Skulls aus dem englischen Southampton geliefert, die extra für den Auftritt von der Insel angereist war: Diese Band war den Organisatoren offenbar eine Herzensangelegenheit. Und die Briten bedankten sich mit lässigem, langsam schiebenden Rock, der eher nach dem Blues-Sumpf der US-Südstaaten als nach englischer Küste klingt: Wer da an die White Stripes denkt, liegt nicht falsch.

    Die Band of Skulls hat zudem, was den meisten anderen Gruppen des Festivals fehlt: mit Bassistin und Co-Sängerin Emma Richardson Frauen auf der Bühne. Rock (auch Indie-Rock), das spürt man auf der Obstwiese 2019, hat ein Geschlechterproblem, zu oft sind die Jungs unter sich. Das ist nicht die Schuld der OWF-Organisatoren. Dagegen jedoch ganz bewusst ein Zeichen zu setzen, könnte ein Vorsatz für die Zukunft sein. Wer es schafft, Jahr für Jahr ein solches Umsonst-Festival aus dem Boden zu stampfen, wird daran nicht scheitern.

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