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Ulm: Rettet Obdachlose vor Erfrierungstod: Schlafkapsel „Ulmer Nest“ geht in Regelbetrieb

Ulm

Rettet Obdachlose vor Erfrierungstod: Schlafkapsel „Ulmer Nest“ geht in Regelbetrieb

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    Retter für Menschen in Not: Die erste von zwei Schlafkapseln wurde am Freitag am Ulmer Karlsplatz aufgestellt.
    Retter für Menschen in Not: Die erste von zwei Schlafkapseln wurde am Freitag am Ulmer Karlsplatz aufgestellt. Foto: Alexander Kaya

    Das „Ulmer Nest“ ist wieder gelandet. Seit Freitagmittag stehen die Kisten wieder in Ulm – eine am Karlsplatz und die zweite unweit der Schülinstraße am Alten Friedhof. Norman Kurock ist überzeugt, dass die Schlafgelegenheiten Menschenleben retten. Der diplomierte Sozialpädagoge arbeitet bei der Wohnungslosenhilfe der Caritas und hat im vergangenen Jahr die Nutzer betreut. Seine Erkenntnis:

    Wer in so einer Kiste schläft gehört nicht zur „Stammklientel“ der Ulmer Obdachlosen, die 50 bis 60 Namen umfasst. „Das sind Menschen, die wir sonst gar nicht erreichen.“ Etwa, weil sie ein Haustier haben, das in Obdachlosenunterkünften nicht erlaubt ist. Im „Ulmer Nest“ hingegen gibt es eine Art Fach für Hund und Co.

    Wie Kurock betont, ist das Ulmer Nest eingebettet in die Angebote der Wohnungslosenhilfe in Ulm. Wenn eine Kapsel benutzt wird, melden Sensoren dies dem Caritasverband. Kurock oder ein Kollege sucht dann am Morgen das Nest auf, um die Person über die Angebote der Wohnungslosenhilfe wie Fachberatung, Wärmestube und Übernachtungsheim zu informieren und gegebenenfalls an weiterführende Angebote zu vermitteln.

    „Das sind Menschen, die haben jegliches Vertrauen verloren.“ Über das Ulmer Nest gelinge es, dies ganz langsam wiederherzustellen. Und Lösungsmöglichkeiten für vielfältige Problemlagen aufzuzeigen – die Alkoholsucht gehöre so gut wie immer dazu.

    Im Test: Das «Ulmer Nest», ein Erfrierungsschutz für Obdachlose im Winter.
    Im Test: Das «Ulmer Nest», ein Erfrierungsschutz für Obdachlose im Winter. Foto: Tom Weller/dpa

    Die Nester sind als Pilotprojekt im Auftrag der Stadtverwaltung entwickelt worden. Im Winter 2019/ 2020 hat die städtische Abteilung Soziales den Praxiseinsatz der Nester erprobt und für gut befunden. Die Schlafkapsel besteht aus massivem Holz und pulverbeschichtetem Stahlblech. Der Nutzer kann sie von innen verriegeln. Technische Vorrichtungen ermöglichen sowohl Wärmeisolation als auch Versorgung mit Frischluft.

    Wie Holger Hördt, von der städtischen Abteilung Soziales sagt, sei das „Ulmer Nest“ ein Erfrierungsschutz, der von Menschen mit Notlage ohne jede Registrierung benutzt werden könne. Und kein Ersatz für ein Zuhause. Auch in einem Ulmer Nest könnten lebensbedrohlich niedrige Temperaturen auftreten. Das Ulmer Nest minimiert durch seine geschlossene, isolierte Bauform Umgebungseinflüsse wie Wind und Nässe.

    Die Schlafkapsel ist jetzt digitalisiert

    Patrick Kaczmarek, der für das Produkt-Design der „Ulmer Nests“ verantwortlich ist, nennt als wesentliche Neuerung im Vergleich zu den ersten Versionen, ein Solarpanel auf den Deckel, das eine Batterie versorgt. Denn die Belüftung braucht Strom: Die Versorgung mit Frischluft wird über einen Wärmetauscher zur Wärmerückgewinnung gewährleistet. Dadurch soll trotz des Austauschs von Raum- und Frischluft die natürliche Steigerung der Innentemperatur möglich werden.

    Angeschlossen ist das „Ulmer Nest“ an das Lorawan-Datennetz. Ob die Kapsel belegt ist und die Temperatur- und CO2-Werte sieht ein Sozialarbeiter dadurch direkt auf dem Smartphone.

    Ulmer Nest ist wieder da: Das kostet die Schlafkapsel

    Im Sommer werden die Nester abgebaut und eingelagert, um im Winter dann wieder aufgestellt zu werden. Die laufenden jährlichen Kosten (Instandhaltung, Auf- und Abbau, Materialverschleiß) sind von der Stadtverwaltung Ulm auf insgesamt rund 5700 Euro veranschlagt. Die Kosten für das vorbereitende Projekt einschließlich Bau und wissenschaftlicher Begleitung beliefen sich auf 35.000 Euro. Was für in Serie produzierte „Ulmer Nester“ ausgegeben werden müsste, ist offen.

    Wie Kaczmarek sagt, gebe es grundsätzlich ein bundesweites Interesse für die einzigartigen Prototypen, die aus einer Kollaboration von sechs Ulmer Unternehmern entstanden sind. Doch es gibt noch keine konkreten Aufträge. Sollten die Schlafkapseln einmal in größerem Stil produziert werden, dann wohl nicht aus Holz, so der Designer Kaczmarek. Das sei im Vergleich zu Kunststoff schlichtweg zu schwer, weniger haltbar und komplizierter zu reinigen.

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