1000 Facebook-Freunde, ständig erreichbar und trotzdem einsam? Gerade in diesen Zeiten, in denen das nächste Tinder-Date oder der neue berufliche Kontakt bei Xing nur wenige Wischbewegungen entfernt sind, ist „Einsamkeit“ ein bedeutendes Thema. So bedeutend, dass in Großbritannien sogar ein Ministerium zur Bekämpfung der Einsamkeit eingerichtet wurde.
Verschiedenen Aspekten des „Alleinseins mit sich selbst“ widmen sich die diesjährigen Ulmer Denkanstöße vom 13. bis zum 16. März. Unter dem Titel „Einsamkeit – Isolation und Freiraum?!“ haben das Humboldt-Studienzentrum der Universität Ulm, die Kulturabteilung der Stadt Ulm sowie die Stiftung Bildung und Soziales der Sparda-Bank Baden-Württemberg ein umfangreiches Programm zusammengestellt.
„Einsam ist nicht gleich unglücklich: Seit jeher nutzen nicht nur Intellektuelle den bewussten Rückzug aus der Gesellschaft als Quelle der Inspiration“, sagt Professorin Renate Breuninger, Geschäftsführerin des Humboldt-Studienzentrums. Auf der anderen Seite scheint gerade unsere durchdigitalisierte Gesellschaft, in der Familienbande immer rissiger werden, soziale Isolation zu fördern. An vier Tagen beleuchten die Ulmer Denkanstöße im Stadthaus verschiedene Facetten der Einsamkeit. Den Eröffnungsvortrag am Donnerstagabend (19.30 Uhr) hält der bekannte Jenaer Soziologe und Politikwissenschaftler Professor Hartmut Rosa. Unter dem Titel „Die Unverfügbarkeit der Gefühle“ beschreibt Rosa ein Spannungsfeld unserer Zeit: Auf der einen Seite ist die Welt in ungeahntem Ausmaß verfügbar, und auf der anderen Seite nimmt der Frust darüber zu, dass das Leben nicht immer hält, was es verspricht.
Middelhoff spricht über den Knast
Der Freitagnachmittag (ab 14 Uhr) steht unter dem Motto „Einsamkeit in Höhen und Tiefen“. Das Spektrum der Impulsreferate reicht von den Erfahrungen eines Zimmermanns auf der Walz bis zur Abgeschiedenheit eines Mönchs im Kloster. Der wohl prominenteste Referent, Thomas Middelhoff, hat das Vorstandsbüro mit einer Gefängniszelle getauscht. Bei den Ulmer Denkanstößen berichtet er sowohl von der Einsamkeit eines Topmanagers, der alleine weitreichende Entscheidungen treffen muss, als auch von seinen Erfahrungen als Häftling mit stark begrenztem Kontakt zur Außenwelt. Deutlich positiver besetzt versprechen die Einsamkeitserfahrungen von Profibergsteiger Alexander Huber zu werden. Ob in den Alpen, in Pakistan oder in der Arktis: Der jüngere des bekannten Duos „Huberbuam“ hat die herausforderndsten Gipfel der Welt erklommen. In seinem Abendvortrag bei den Ulmer Denkanstößen berichtet der studierte Physiker von bewussten Alleingängen und Gemeinschaftserfahrungen.
Bestseller-Autor Spitzer zum Schluss über Einsamkeit
Wege aus der Einsamkeit zeigen Impulsreferate am Samstag (ab 14 Uhr) auf: Referentin Lydia Staltner hat beispielsweise den Verein „LichtBlick Seniorenhilfe“ gegründet, der Bedürftigen durch Spenden wie Winterschuhe oder Einladungen zu gesponserten Veranstaltungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Ganz ohne Geld kommt das ebenfalls vorgestellte Augsburger Projekt „Opendot“ aus: Durch Klebepunkte an der Haustür signalisieren die Bewohner Gesprächsbereitschaft und weisen so Wege aus der Anonymität. Von der wissenschaftlichen Perspektive aus nähern sich schließlich der Soziologe Dr. Janosch Schobin und der Psychiater Professor Manfred Spitzer dem Alleinsein. Lokalmatador Spitzer, der es mit seinem Buch „Einsamkeit – die unerkannte Krankheit“ erneut in die Bestsellerlisten geschafft hat, hält den Abschlussvortrag. (az)
Die Denkanstöße werden von einem Kulturprogramm umrahmt, das ein Dunkelkonzert und den Film „Lost in Translation“ (Mittwoch) im Xinedome umfasst. Der Eintritt ist frei, die Organisatoren bitten um Spenden für die Vesperkirche Ulm. Komplettes Programm unter ulmer-denkanstoesse.de.