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Ulm: Philharmonisches: Zwei Komponisten, ein Cello und viel Sehnsucht

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Philharmonisches: Zwei Komponisten, ein Cello und viel Sehnsucht

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    Der Solist László Fenyö harmonierte mit den Ulmer Philharmonikern in Antonin Dvoráks romantischem Cello-Konzert in h-Moll. Düster, trotzig und durchströmt von Wehmut gelang dem Orchester die wuchtige Sinfonie Nr. 10 von Dmitri Schostakowitsch.
    Der Solist László Fenyö harmonierte mit den Ulmer Philharmonikern in Antonin Dvoráks romantischem Cello-Konzert in h-Moll. Düster, trotzig und durchströmt von Wehmut gelang dem Orchester die wuchtige Sinfonie Nr. 10 von Dmitri Schostakowitsch. Foto: Horst Hörger

    New York , 1894. Eine Stadt bejubelt Antonin Dvorák . Er, Sohn eines tschechischen Metzgers, glänzt als verehrter Komponist. Er erreicht in der Sehnsuchtsstadt der Neuen Welt seinen Gipfel von Ruhm und Freiheit. Doch wonach sehnt sich Dvorák ? Nach Böhmen. Zurück in die Heimat. Dort wo soeben seine Jugendliebe – und wie es das Schicksal will, ist sie zudem seine Schwägerin – gestorben ist. Eben diese Wehmut lässt Dvorák durch sein Cello-Konzert in h-Moll strömen. Ausgerechnet Cello ! Das Instrument hatte er lange nicht leiden können. „Oben näselt es, unten brummt es“, so wird er zitiert. Doch dann schuf er mit seinem späten, reifen Konzert ein Prachtstück für das Instrument.

    Andere Sehnsüchte, jene der existenziellen Sorte, plagen Dmitri Schostakowitsch 1953: Freiheit, oder zumindest die Abwesenheit von Furcht, das wäre schon was. Mal war Schostakowitsch , dieser brillante Russe mit der Nickelbrille, das Aushängeschild und mal der schmutzige Fußabstreifer des sowjetischen Kulturapparats. Das Resultat seiner Schmerzen entlud sich, als Josef Stalin , sein Peiniger und Kritiker, seine Lebensgefahr und Lebensversicherung in einem, starb: Schostakowitsch schrieb die 10. Symphonie in e-Moll – Klage- und Triumphmusik zugleich. Dvorák und Schostakowitsch trennen Zeiten, Systeme, Erfahrungen. Doch ihre Werke eint die Schönheit in der Schwermut. Klug gedacht, diese Werke an einem Abend zu spielen – so wie die Ulmer Philharmoniker nun im Congress-Centrum. Das Programm berührt und es funktioniert, dank eines feinfühligen Solisten und eines mutigen und doch bedachten Orchesters.

    László Fenyö konzertiert mit den Ulmer Philharmonikern

    Ein Motiv trägt die Klarinette in den Saal hinein, und zwar das alles entscheidende, gleich zu Beginn des Konzerts. Wenige Töne lässt Dvorák da rund herum um eine Note schwelgen – das Cello übernimmt das kleine Motiv bald, es spielt mit ihm, eigensinnig und frei, mal elegisch, mal blitzartig bewegt. Flöte und Klarinette treten immer wieder in ein romantisches Wechselspiel mit dem Solo. Der Ton der Holzbläser geht mal voraus, beginnt die Melodie, die das Cello mit blitzsauberen Wendungen und doch gefühlvoll vollendet. Das alles versprüht Wärme und gelingt reibungslos. Die Basis der Sehnsucht und Wehmut bereiten Hornsignale, aber auch das Tutti der Streicher, hintergründig, begleitend, mit silbernem Glanz vor allem in den fast gehauchten, leisesten Tönen wie in den vorletzten Takten des Konzerts. László Fenyös Cello seufzt sich durch den zweiten Satz, immer weiter in die Romantik hinein, knietief, sodass es eine bitterschöne Freude ist. Seit er 2004 den Pablo Casal Wettbewerb gewonnen hat, gehört der ungarische Cellist zu den Großen seines Fachs, der auch schon im Concertgebouw in Amsterdam konzertierte. Mit den Ulmer Philharmonikern harmoniert er und drängt sich in diesem fast sinfonischen Konzert nur dann auf, wenn es nötig ist, wenn die Bühne wirklich dem Cello gehört.

    Immer Herr der Lage ist Generalmusikdirektor Timo Handschuh . Der Schlag seines Taktstocks ist klar und bedacht. Keine Bewegung gerät an diesem Abend übertrieben, auch wenn er zum großen Bogen ausholt oder das Geschehen vorantreibt. Romantisch soll es klingen, aber in keiner Sekunde manieriert. Schadlos lenkt der Dirigent das Orchester durch Witterungen, wenn sich Blitz, Donner und Sonnenstrahlen in der Musik abwechseln. Die Tiefen des Orchesters wiegen schon bei Dvorák schwer: Eine Tuba, ein kompletter Posaunensatz, sechs Kontrabässe. Bei Dvorák spielen sie noch eine Nebenrolle als Klanggewicht für wuchtige Momente. Aber da dräut etwas.

    Schostakowtischs 10. Sinfonie ist eine Abrechnung mit Stalin

    Schostakowitschs Sinfonie beginnt und die Musik verfällt in eine Starre. Sie zeichnet das Klangbild einer Weite, getragen vom brummenden, langsam wandernden Fundament der Bässe und Celli. Ihr Ton fließt wie eine kalte Böe, die über ein leer gefegtes Schlachtfeld zieht. Diese Wüste hat Josef Stalin in Schostakowitschs Welt hinterlassen. Der Komponist rechnet hier mit ihm ab – doch die Furcht steckt ihm in den Knochen und in seiner Musik. Aus diesen Böen schleicht und schält sich eine Melodie: Steigend, nie endend, in Schlangenlinien, über dem Grund der Bässe. Die Philharmoniker entwickeln so einen herausragenden ersten Satz – nur dass später dieselbe spannungsgeladene Starre im finalen Satz leider manchmal fast kalt zu erstarren droht.

    Immer wieder bricht ein Tanz in die Musik. Im stolpernden Dreiertakt beginnen die Philharmoniker zu schwingen, dann wird zum Marsch getrommelt. Da funkelt die spitze Ironie des Schostakowitsch . Wirr, wüst, drängend: Der zweite Satz der Sinfonie ist eine kleine Psychoanalyse des Diktators Stalin . Doch mittenhinein in die brutale, souveräne Raserei des Orchesters, fährt ein Motiv. Sinfonien sind Musik ohne Worte, doch manche tragen geheime Botschaften. In den Holzbläsern erklingt es zum ersten Mal: Erst ein D, dann Es, C und H. Seinen Namen mit Tönen zu buchstabieren, das hat Tradition seit Bachs B-A-C-H. Und hier schreibt also Schostakowitsch seine Initialen. Mit diesen vier Tönen als großes Mantra kommt es im letzten Satz zur finalen Konfrontation, mit Trommelwirbel und allem Trotz und einem strahlenden Ausruf des Orchesters. Vier Buchstaben, vier Töne, ein Motiv für den Triumph.

    Als kleinen Triumph darf man dann auch den satten Applaus im CCU werten – für den Solisten, für die Energie und die Wehmut, und für den Mut zur Sehnsucht.

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