Normalerweise wäre jetzt die Zeit, in der die letzten Planungsschritte für den Ulmer Weihnachtsmarkt abgeschlossen werden. Doch wer kann in diesen Tagen schon für Monate im Voraus planen? Jürgen Eilts, der Chef der Ulm-Messe, traut es sich jedenfalls nicht zu. „Wir wollen den Betreibern nichts versprechen und dann wieder zurückrudern müssen“, sagt er. Pläne macht Eilts dennoch. Der Budenzauber soll stattfinden, sofern es irgendwie möglich ist. Aber Eilts ist überzeugt: So wie bisher ist das Fest, das zuletzt rund eine Million Besucher anzog, nicht vorstellbar.
Weihnachtliche Atmosphäre vor dem höchsten Kirchturm der Welt: Bislang setzte die städtische Messegesellschaft als Betreiberin darauf, viele Besucher auf den kuschelig engen Münsterplatz zu locken. Doch was in den vergangenen 35 Jahren ein Pluspunkt und Besuchermagnet war, wird angesichts der Infektionsgefahr und der Corona-Regeln zum Risiko. Weil die Ulm-Messe seit Februar durchgehend mit Absagen konfrontiert ist, hatten die Planer viel Zeit, um Ideen zu sammeln. Eilts geht es darum, den Menschen in der festlichen Vorweihnachtszeit ein Stück Normalität zu geben. Gerade nach einem emotionalen Jahr könne das für viele wichtig sein, glaubt er. Dem Geschäftsführer geht es aber auch darum, den Handel in der Stadt anzukurbeln und den gebeutelten Standbetreibern eine Perspektive zu geben. „Viele unserer langjährigen Partner haben gesagt: Lasst euch was einfallen“, berichtet der Messe-Chef.
Ulm: Wird der Ulmer Weihnachtsmarkt 2020 dezentral gefeiert?
Die Perspektive könnte so aussehen: Statt zentral vor dem Münster wird an vielen verschiedenen Plätzen in der Stadt gefeiert, der Weihnachtsmarkt wird entzerrt. Ähnliche Konzepte gibt es Eilts zufolge in Straßburg, Dresden und Reutlingen. Der Messe-Geschäftsführer sieht darin die Chance, dass auch sonst weniger beachtete Plätze vom Weihnachtsmarkt profitieren. Doch es gibt auch Nachteile.
Da ist zuerst der Abschied von der gewohnten Atmosphäre. Wie viel Lust die Menschen auf das Feiern im Freien haben, könne man nicht beeinflussen, sagt Eilts. Und die Infrastruktur sei nirgends so gut wie am gewohnten Ort. Da sei bei Strom, Wasser und Abwasser vorgesorgt: „An anderen Plätzen ist das nicht vorhanden.“ Eine endgültige Entscheidung, so Eilts, sei noch nicht gefallen. In den nächsten vier bis acht Wochen wollen er und seine Kollegen festlegen, wie der Weihnachtsmarkt gestaltet wird. „Wir probieren alle Möglichkeiten durch“, sagt er.
Wochenmarkt Ulm: Test für neues Konzept für den Ulmer Weihnachtsmarkt 2020
Einen Testballon hat die Stadt Ulm am vergangenen Mittwoch gestartet, noch zwei oder drei Wochen soll der Versuch laufen: Beim Wochenmarkt messen Lorawan-Sensoren, wie viele Menschen sich gleichzeitig auf dem Münsterplatz aufhalten. Lorawan ist ein gesichertes kabelloses Netz auf einer niedrigen Frequenz. Die Stadt sammelt mithilfe der Sensoren Daten, die den Bürgern zugutekommen sollen. Eingesetzt werden sollen diese zum Beispiel in seniorengerechten Wohnungen, die dann speziell auf die Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden, aber auch zur Fahrgastzählung in Bus und Tram oder zur Auswahl geeigneter Standorte für Leih-Fahrräder. Schon jetzt warnen Sensoren die Bürgerdienste, wenn eine Feuerwehrzufahrt zugeparkt ist. Sabine Meigel, die Leiterin der städtischen Geschäftsstelle Digitale Agenda betont, dass die Stadt ein besonderes Augenmerk auf den Datenschutz lege. Alle Informationen würden sicher bei der SWU Telenet hinterlegt – und zwar als kumuliertes Paket, in dem keine individuelle Daten von Bürgern erkennbar seien.
Die Sensoren erfassen, wie viele Menschen sich mit eingeschaltetem WLAN am Wochenmarkt aufhalten. Dadurch werden nur annähernde Werte erfasst. „Nicht jeder hat ein Handy und nicht jeder hat sein WLAN eingeschaltet“, sagt Meigel. Städtische Mitarbeiter prüfen parallel, wie viele Besucher auf den Markt kommen. Anschließend werden die Ergebnisse abgeglichen, um festzustellen, wie genau die Sensor-Daten sind. Zugangskontrollen wie in Gebäuden seien nicht denkbar, schildert Meigel. Und durch die Sensoren könne man vermeiden, die Besucherzahl durch Kameras zu erfassen. Bewährt sich das System im Test, sollen Weihnachtsmarkt-Besucher auf einer für das Handy optimierten Internetseite anhand eines Ampelsystems nachsehen können, wo gerade wie viel los ist. „Wir wollen die Innenstadt beleben und den Bürgern Selbstbestimmung zurückgeben“, erklärt Meigel.
Doch auch wenn sich der Versuch bewährt, bleiben für Jürgen Eilts noch offene Fragen: Wie geht es mit dem derzeit verbotenen Bustourismus weiter? Kommen überhaupt Gäste von außerhalb? Muss es eine Maskenpflicht geben, weil Besucher von Stand zu Stand flanieren? Lässt sich ein Glühweinstand, der auf eine hohe Kundenfrequenz ausgelegt ist, mit weniger Besuchern wirtschaftlich betreiben? Und was, wenn eine zweite Corona-Welle kommt? „Man muss die Szenarien immer bis zum Ende durchdenken“, sagt Eilts.
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