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Ulm/Neu-Ulm: Kurzer Boom in der Krise: So steht es um die Autokinos in Ulm und Neu-Ulm

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Kurzer Boom in der Krise: So steht es um die Autokinos in Ulm und Neu-Ulm

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    Als Covid-19 die Kinos zur Schließung zwang, boten Autokinos eine echte Alternative. Aber der erste Boom ist abgeflaut und die Betreiber setzen auf neue, sommerliche Konzepte. Viele fordern jetzt Hilfe von der Politik.
    Als Covid-19 die Kinos zur Schließung zwang, boten Autokinos eine echte Alternative. Aber der erste Boom ist abgeflaut und die Betreiber setzen auf neue, sommerliche Konzepte. Viele fordern jetzt Hilfe von der Politik.

    Der nächste Gang wäre schon servierbereit. Nach „Winterkartoffelknödel“, „Sauerkrautkoma“, „Schweinskopf al dente“ sollte jetzt eigentlich das Dessert folgen: „Kaiserschmarrndrama“. Doch die Köche streiken. Oder besser gesagt: die deutschen Filmverleiher. Die siebte Verfilmung aus der beliebten Eberhofer-Krimi-Reihe, mit ihrem deftig-bayerischen Humor und ihren deftigen kulinarischen Titeln, wird 2020 nicht, so wie geplant, in die Kinos kommen. Der Start ist „auf unbestimmte Zeit“ verschoben – wohl 2021.

    Covid-19 macht einen Strich durchs Kino-Menü, denn potenzielle Kassenschlager wollen die Filmverleiher nicht für Kinosäle verpulvern, die aufgrund der Corona-Abstandsregeln halb leer bleiben. Doch wie hart trifft das die Kinos? Und was passiert mit den vielen Autokinos, die in der Krise plötzlich entstanden?

    Michael Freudenberg: Andrang an der Autokinokasse ist abgeflaut

    „In der ersten Corona-Phase hat unser Autokino einen Hype erlebt. Es war die richtige Idee, zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Michael Freudenberg. Er hat das Autokino auf dem Dach des Ulmer Blautalcenters ins Rollen gebracht. Ein Erfolgskonzept – doch als Cafés und Restaurants plötzlich wieder öffnen durften, da sei der Andrang an der Autokinokasse drastisch abgeflaut.

    Freudenberg, der selbst das Lokal „Wilder Mann“ betreibt, führt dieses Kino gemeinsam mit den Chefs des Blautalcenters und des Xinedome. Dort, wo zuerst Autos Schlange standen, hoch über den Dächern der Stadt, bietet Freudenberg jetzt flexibleres Entertainment: „Ein Freiluftkino mit 100 Liegestühlen auf 900 Quadratmetern Holzterrasse“. Panoramaussicht und Münsterblick statt Autokarawane.

    Das Kinoerlebnis im Liegestuhl ergänzt ein Beistelltischchen mit Lampe und Aschenbecher, für sentimentale Cineasten – und neben der Leinwand erstreckt sich eine Bar von 20 Metern Länge. „Das lockt auch Leute an, die seltener ins Kino gehen“, so erklärt Freudenberg seine Taktik. Das Leinwand-Programm bietet Thementage: Kultfilme, Hollywood-Schinken, Wunschfilmabend.

    Warum hier nicht der neuste Warner-Brothers- oder Marvel-Streifen läuft? Viele Filmstarts wurden in der Krise abgeblasen, manch ein pompös angekündigter Blockbuster ploppt jetzt im Angebot von Netflix auf, auf dem Streamingportal fürs Heimkino. „Ich bin kein klassischer Kinobetreiber“, sagt Freudenberg, „aber ich vermute: Internationale Blockbuster liegen auf Eis, bis Kinos in den USA wieder normal öffnen.“ Die Werbetrommel rührt er trotzdem: „Wir haben einen der schönsten Sonnenuntergänge von Ulm.“

    Was aus dem Autokino auf dem Ulmer Volksfestplatz wurde

    Die Krise wandelt sich und mit ihr der Kino-Geschmack: Auf dem Ulmer Volksfestplatz hatte das Neu-Ulmer Dietrich-Kino im Mai sein Autokino eingerichtet, samt einer gigantischen LED-Leinwand. Sie steht dort immer noch. Doch seit Anfang Juli ist das Kino ein „Hybrid“, so formuliert es Dietrich-Chef Roman Sailer.

    Als Open-Air-Kino bietet es nun Liegestühle – und hinter den Reihen können immer noch Fahrzeuge parken: „Für alle, die Autokino bevorzugen oder sich sorgen wegen möglicher Virus-Gefahren.“ Das Konzept nennt Sailer „Sonne, Film und Sterne“. Bei Nacht flimmern die Filme unterm Sternenhimmel – aber schon am Nachmittag öffnet wenige Schritte weiter eine kleine „Beach-Bar“. Vom Strand ins Kino mit dem Cocktailglas in der Hand. Zuerst hatte Sailer einen Platz neben dem großen Dietrich-Bau zum Open-Air-Kino umfunktioniert, aber die Nachfrage blieb schwach. Diesen Spielort schließt er jetzt, stattdessen konzentriert sich das Dietrich ganz auf den Volksfestplatz – und wieder auf die hauseigenen Kinosäle.

    So steht es um das klassische Kinosaal-Geschichte in Ulm und Neu-Ulm

    Wie läuft das klassische Kinosaal-Geschäft seit der Wiedereröffnung? „Im Rahmen der Erwartungen“, sagt Sailer. Und das bedeutet Verlust: Im Juli 2020 fuhr sein Kino nur etwa 15 Prozent des Umsatzes ein, den es im Juli 2019 verbuchen konnte. Der „Hauptverband Deutscher Filmtheater“ schätzt, dass Kinos unter jetzigen Corona-Auflagen nur 20 Prozent der Sitze nutzen können. „Eine wahnsinnig niedrige Zahl und potenziell eine brisante Lage“, sagt Sailer.

    Er, der auch die Ulmer Arthouse-Kinos Mephisto, Obscura und Lichtburg betreibt, ist sich sicher: „Die Krise werden einige Kinos nicht überleben.“ Sailer beschleicht das Gefühl, dass sich die Nachricht noch gar nicht herumgesprochen hat: Seit Mitte Juni sind Kinos in Bayern schon wieder geöffnet. „Ein großes Problem war, dass es keinen bundesweit einheitlichen Öffnungstermin gab. Dann hätte es einen lauten Tusch gegeben: Kino ist wieder möglich.“ In Frankreich sei das Comeback der Lichtspielhäuser anders verlaufen – gemeinsam und demnach auch erfolgreicher. In Deutschland habe man dagegen unter uneinheitlichen Länder-Regeln gelitten. Jetzt sei klar: Maskenpflicht gilt im Foyer, an der Kasse, am Weg zur Toilette. Am Sitzplatz aber nicht.

    Sailer darf nur jede zweite Sitzreihe in den Dietrich-Sälen für die Zuschauer freigeben – das ließe sich ändern, würde die Politik den Mindestabstand von 1,5 Metern auf einen Meter reduzieren. Genau das fordert er, gemeinsam mit weiteren Betreibern aus dem Kino-Mittelstand. Sailer beruft sich dabei auf eine Studie der Technischen Universität Berlin, die besagt: Im Kino ist die Aerosolbelastung geringer als in vielen Büros, Theatern oder im Schulklassenzimmer – schließlich wird im Kino nur geatmet und nicht gesprochen. Die Belüftungsmaschinen der Säle seien zudem dafür gebaut, die Luft für Hunderte Leute frisch zu halten.

    Sailer nennt es das „Henne-Ei-Problem“: Die Kino-Plätze sind begrenzt. Die großen Filmverleihe halten deshalb ihre Blockbuster noch zurück. Aber ohne diese Schlager bleiben noch mehr Kinositze leer. „Die Aktualität der Filme spielt eben eine Rolle“, sagt Sailer. Seine zweite Forderung an die Politik: Bringt die Filmverleiher dazu, die Filme freizugeben. „Giganten wie Disney oder Universal kann die Bundes- und Landespolitik nicht beeinflussen“ – deutsche Produktionsfirmen schon eher.

    Viele Filmprojekte werden in Deutschland kräftig vom Staat gefördert. Direkte Finanzspritzen für die Branche hält Sailer zwar für sinnvoll, aber: „Die beste Corona-Hilfe wäre, wenn die Filme erscheinen.“ Zum Beispiel: „Kaiserschmarrndrama“. „Der Film ist fertig, aber die Firma Constantin hat den Start verschoben.“ Das Dietrich, eines der größten Multiplexkinos in Schwaben, hofft auf solche Publikumsgaranten made in Germany: „Vielleicht ist das sogar eine Chance für den deutschen Film.“

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