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Ulm/Neu-Ulm: Corona stürzt die Rotlichtszene in Ulm und Neu-Ulm in eine Krise

Ulm/Neu-Ulm

Corona stürzt die Rotlichtszene in Ulm und Neu-Ulm in eine Krise

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    In Ulm und Neu-Ulm sind die Bordelle geschlossen. Das bringt viele Sexarbeiterinnen in Not und der Beratungsstelle Ela viel Arbeit.
    In Ulm und Neu-Ulm sind die Bordelle geschlossen. Das bringt viele Sexarbeiterinnen in Not und der Beratungsstelle Ela viel Arbeit. Foto: Andreas Arnold, dpa (Symbolbild)

    Sie geben sich in den einschlägigen Portalen im Internet Namen wie Sexy Kim oder Luna Love und arbeiten in Ulm und Neu-

    170 Frauen rund um Ulm gingen vor Corona anschaffen

    Vor Beginn der Corona-Pandemie waren es nach Erkenntnissen des Polizeipräsidiums in Ulm etwa 170 Frauen, welche täglich im Raum Ulm der Prostitution nachgegangen sind. Holger Stabik, Sprecher des für den Kreis Neu-Ulm zuständigen Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West, geht von 50 Prostituierten im bayerischen Teil der Region aus.

    Viele der zumeist aus den osteuropäischen Mitgliedstaaten stammenden Frauen in der Prostitution seien durch das faktische Arbeitsverbot in ihr Heimatland ausgereist, heißt es unisono von der Polizei in Ulm und Neu-Ulm. Ein nur sehr geringer Anteil der selbstständigen Prostituierten in Deutschland erhält derzeit eine staatliche Unterstützung.

    Einige Prostituierte aus Osteuropa sind noch da – und in Notlagen

    Einige der Damen aus Osteuropa sind aber immer noch da, weil sie aus verschiedenen Gründen nicht in ihre alte Heimat können. Geldnot, Scham oder eine Familie, die sich abgewandt hat. Die Gründe sind verschieden, die Sorgen aber die gleichen. "Die, die es nicht geschafft haben, in ihr Heimatland zurückzukehren, befinden sich oft in einer existenziellen Notlage", sagt Maren Kuwertz, die zusammen mit Tanja Wöhrle die 2017 gegründete Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution Ela bildet.

    Bei der Beratungsstelle Ela klingelt das Telefon

    An mindestens drei von fünf Tagen klingele das Telefon, und eine verzweifelte Ex-Sexarbeiterin meldet sich. Die Hilfen des Staates seien "sehr hochschwellig" und "eher für die Bordellbetreiber" gedacht. Das heißt: Geld gibt's für die Könige der Puffs - viele Huren aber bleiben auf der Strecke. Die Versuche, Hilfen jeglicher Art zu beantragen, scheiterten an hohen bürokratischen Hürden. Von Problemen des Aufenthaltsrechts bis hin zu mangelnden Nachweisen des Verdiensts in den Bordellen. "Die Frauen fallen einfach wieder unten durch."

    Die Kontaktbeschränkungen gelten auch in den Bordellen.
    Die Kontaktbeschränkungen gelten auch in den Bordellen. Foto: Oliver Berg, dpa (Symbolbild)

    Auch die Beantragung von Arbeitslosenhilfe 2 scheitere meistens an faktisch nicht zu bringenden Nachweisen. Sei es vom Gesundheitsamt, dem Heimatland oder dem Bordell, in dem die Frauen anschaffen gingen. Auch nach Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes im Jahre 2017 ist es nach Einschätzung des Ulmer Polizeipräsidiums weiterhin zum Teil so, dass Frauen vereinzelt, ohne die unter anderem durch das Gesetz eigentlich vorgeschriebene behördliche Anmeldung, ihre Arbeit in der Anonymität und somit gleichzeitig auch illegal zu verrichten. Die haben keinerlei Ansprüche. Als Anlaufstelle bleibt hier oft nur Ela.

    Sexarbeit ist wegen Corona nun in der Illegalität

    Im Sommer schien es, als könnten die Bordelle von der Blaubeurer Straße bis hin zu den Betrieben in Neu-Ulmer Industriegebieten wieder öffnen. Das Problem verschärfte sich ab Juni des vergangenen Jahres, als die Schweiz wieder ihre Bordelle öffnete. Die Folge: Viele Frauen aus den 17 von Ela "betreuten" Bordellen seien in der Hoffnung, wieder anschaffen zu können, von Osteuropa nach Ulm gekommen. Um kurze Zeit später wieder festzusitzen. Einige Sexarbeiterinnen wären dann in die Illegalität abgerutscht und würden "privat" anschaffen. Was den Job noch härter mache, den Freiern sind sie so völlig ausgeliefert. Denn die Folge seien "Dumpingpreise" für die käufliche Liebe. Einigen Sexarbeiterinnen sei es aber auch gelungen, die Pandemie zu nutzen, um aus dem Gewerbe auszusteigen.

    Ein Problem: Weil die Bordelle geschlossen sind, gehen Prostituierte privat anschaffen.
    Ein Problem: Weil die Bordelle geschlossen sind, gehen Prostituierte privat anschaffen. Foto: Alexander Kaya (Symboldbild)

    Von illegaler Prostitution im großen Stil lässt sich aber nach Einschätzung von Wolfgang Jürgens, dem Sprecher des Ulmer Polizeipräsidiums, nicht reden. Dem Präsidium Ulm seien nur vereinzelt Hinweise auf die vermutete illegale Ausübung der Prostitution zu Zeiten von Corona übermittelt worden.

    Rotlichtszene wandert stetig aus dem "Hellfeld" ins "Dunkelfeld"

    Bereits seit Inkrafttreten des neuen Prostituiertenschutzgesetzes im Jahr 2017 habe sich die Rotlichtszene stetig aus dem "Hellfeld" ins "Dunkelfeld" verlagert, wobei die Akteure die Flucht vor gesetzlichen Verpflichtungen und dem erhöhten Kontrolldruck ergreifen. Dieser deutschlandweite Trend wurde laut Jürgens nicht erst durch das pandemiebedingte Verbot der gewerblichen Prostitution festgestellt, aber durch die Corona-Pandemie beschleunigt und begünstigt. Die Polizei führt "Hotelfahndungen" zur Identifizierung von in der Prostitution tätigen Frauen und Männern durch. Zudem werden die Hotelbetreiber und Inhaber von Örtlichkeiten, an denen bekanntermaßen der Sexarbeit nachgegangen wird, "sensibilisiert". Im November vergangenen Jahres gab es deswegen in einem Ulmer Hotel eine Razzia.

    Auf Online-Sexportalen sucht die Polizei Hinweise auf Menschenhandel

    Die einschlägigen Online-Sexportale, auf denen Sexy Kim oder Luna Love ihre Dienste nach wie vor anbieten, überwache die Polizei stichprobenartig. Die Polizei weiß, dass es dem Gewerbe letztlich immer gelinge, Lücken zu finden. Deswegen würden die Recherchen in den Internetportalen für Sexkaufangebote auch vornehmlich mit dem Ziel durchgeführt, Anhaltspunkte für potenzielle Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution und Zuhälterei feststellen zu können.

    Das Rotlichtmilieu in Augsburg

    Rund 500 Prostituierte arbeiten nach Schätzungen der Kriminalpolizei in der Stadt. Vor einigen Jahren waren es noch geschätzt 600 bis 700 Frauen. Seit jedoch die Straßenprostitution Anfang 2013 von der Stadt komplett verboten wurde, sind die Zahlen rückläufig.

    Es gibt im Stadtgebiet laut Polizei etwa 20 Bordelle und aktuell rund 15 bis 20 sogenannte Bordellwohnungen. Die Zahl der Bordellwohnungen ist stark zurückgegangen, seit Bordelle eine Genehmigung vom Ordnungsamt der Stadt benötigen. Früher war von bis zu 100 Wohnungen die Rede.

    Über 95 Prozent der Frauen im Milieu sind nach den Erkenntnissen der Kripo Ausländerinnen. Die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa. Die Frauen arbeiten oft nur wenige Wochen in einer Stadt und ziehen dann in das nächste Bordell weiter.

    Probleme mit den Betreibern der Bordelle oder FKK-Klubs, die wie aus anderen Städten berichtet wurde, in noch "dunklere Geschäfte" abdriften, gib es in Ulm/Neu-Ulm offenbar nicht. Die Polizei versuche, einen regelmäßigen Kontakt zu Betreibern auch während der Betriebsschließungen aufrechtzuerhalten. Das Ziel: dadurch die wirtschaftliche Situation der Betreiber und Objekte, deren mögliche Zukunftsperspektiven und auch die dynamische Entwicklung in der Szene zu erfragen. Offizielle Rotlichtbetreiber seien zumeist berechtigt, staatliche Hilfe in Bezug auf die Corona-Pandemie zu erhalten, und einige haben diese auch schon teilweise empfangen. Nur eine dauerhafte Schließung eines Rotlichtbetriebes in Ulm durch Corona sei der Polizei bekannt. Eine stadtbekannte Rotlichtgröße etwa, versucht die Betriebsschließungen mit einem Imbiss-Lieferdienst auszugleichen.

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