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Ulm: Nach dem Brand an der Synagoge – so bewegt der Anschlag die Ulmer

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Nach dem Brand an der Synagoge – so bewegt der Anschlag die Ulmer

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    "Gegen jeden Antisemitismus" - dieses Transparent war auf der Mahnwache, nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf die Ulmer Synagoge, zu sehen.
    "Gegen jeden Antisemitismus" - dieses Transparent war auf der Mahnwache, nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf die Ulmer Synagoge, zu sehen. Foto: Dagmar Hub

    Shneur Trebnik führt keine Liste. Er notiert nicht jeden einzelnen Fall, wann immer er beschimpft wird, weil er sichtbar jüdisch ist. Wann immer er als "Scheiß Jude" beleidigt wird. Aber so etwas passiere ihm "einige Male pro Woche" - das berichtete Ulms Rabbiner Trebnik noch Ende Mai, im Gespräch mit der Neu-Ulmer Zeitung. "In den vergangenen vier Wochen ist es öfters passiert als in den gesamten 20 Jahren", sagte er damals. Wenige Tage später ist die Gewalt der Worte wohl in eine Tat übergeschlagen: Ein Unbekannter hat am Samstagmorgen, 5. Juni, einen Brand an Trebniks Synagoge gelegt.

    Jetzt, am Sonntagvormittag danach, steht der Rabbiner vor dem Ulmer Münster. Bei einer Solidaritätskundgebung vor Bürgern, Politikern, Kirchen- und Glaubensvertretern, etwa 150 Menschen - sucht er nach den richtigen Worten: "Zivilcourage und Miteinander, das ist das Wichtigste", sagt Trebnik. Tatsächlich: Die Stadtgesellschaft scheint in den Stunden nach der Tat eng zusammenzurücken - über Grenzen von Generationen, Fraktionen und Glaubensbekenntnissen hinweg. Gegen Antisemitismus.

    Michael Blume: "Das jüdische Leben gehört zu Ulm"

    Der schwarze Brandfleck an der Synagogen-Wand macht die Gewalt sichtbar, die jüdisches Leben in Deutschland immer wieder einschüchtert und bedroht. Aber an diesem Fleck erlebt die jüdische Gemeinde nun auch eine Welle der Solidarität. Der evangelische Münster-Dekan Ernst-Wilhelm-Gohl hatte am Samstag spontan zur Mahnwache vor der Synagoge aufgerufen - 250 Menschen kamen.

    "Ich finde es großartig, dass hier so viele gemeinsam zusammengekommen sind", erklärte dort Michael Blume. Der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Regierung war aus Stuttgart angereist. Er sagte: "Das jüdische Leben gehört zu Ulm dazu." Warum die schwarze Brandspur viel mehr als nur ein harmloser Fleck an einem Gotteshaus sei, machte Blume klar: "Antisemiten wollen Juden bedrohen und verängstigen. Aber wir kontern das, nicht nur an diesem Tag, mit unserer Gemeinschaft. Dieser Täter hat schon verloren."

    Zwei Glaubensmänner im Gespräch und im Schulterschluss: Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl und der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik.
    Zwei Glaubensmänner im Gespräch und im Schulterschluss: Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl und der Ulmer Rabbiner Shneur Trebnik. Foto: Veronika Lintner

    Münster-Dekan Ernst-Wilhelm Gohl fordert Solidarität

    Dekan Gohl sprach auch am Sonntag vor dem Münster, bei einer zweiten Solidaritätskundgebung. Es sei immer wieder wichtig, sich "selbst zu prüfen", Vorurteile zu hinterfragen, zwischen Religionen und Kulturen. Annette Schavan, ehemals Bundesbildungsministerin, stimmte mit ein: "Uns muss bewusst werden, dass es die banalen Vorurteile sind, die Vorbehalte, die immer wieder zu antisemitischen Angriffen und rassistischen Ausschreitungen führen."

    Dieser Brandanschlag traf das jüdische Leben in den wichtigsten Stunden der Woche, dem Schabbat. Zeit des Gebets, der vollkommenen Ruhe. Nicht einmal in ein Mikrofon dürfte ein Mensch jüdischen Glaubens am Schabbat sprechen, nach strenger Regelauslegung. Ulms Rabbiner Trebnik zeigte sich trotzdem, besuchte die Mahnwache vor seiner Synagoge. Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU), Shavan und Blume nahmen ihn in ihre Mitte, zum Gespräch. Der Rabbiner erzählte, dass der Anschlag wahrscheinlich bewusst geplant gewesen sei. Trebnik, seit 2000 Ortsrabbiner von Ulm, scheint nun sehr froh über den spontanen Beistand der Stadtgesellschaft: "Es gibt eine große Solidarität."

    Ein Video vom Brandanschlag in Ulm tauchte auf Twitter auf

    Kurz nach dem Brandanschlag auf die Synagoge tauchte im Internet, auf Twitter, ein Video auf, das offensichtlich die Tat vom Samstagmorgen auf dem Weinhof zeigt. Nicht nur das Feuer ist im Video zu sehen, sondern auch der mutmaßliche Täter. Veröffentlicht hat den Clip Arsen Ostrovsky, internationaler Menschenrechtsanwalt. In seinem Tweet zum Video zum Brandanschlag hat er seinem Schock Luft gemacht: "Nein, das ist nicht Deutschland in der Kristallnacht. Das ist 2021, als eine Brandbombe an einer Synagoge in der deutschen Stadt Ulm entzündet wird." Doch kurze Zeit später war der Tweet samt Video gelöscht. Woher die Aufnahmen stammen, ob sie eine Rolle bei der Fahndung spielen könnten, dazu äußert sich die Polizei bisher nicht.

    Michael Blume, der Antisemitismus-Beauftrage der baden-württembergischen Regierung, nahm an der Mahnwache in Ulm teil.
    Michael Blume, der Antisemitismus-Beauftrage der baden-württembergischen Regierung, nahm an der Mahnwache in Ulm teil. Foto: Veronika Lintner

    Die Ulmer Kriminalpolizei ermittelt jetzt gemeinsam mit dem Landeskriminalamt und dem Staatsschutz. Gesucht wird ein Unbekannter, etwa 1,80 Meter groß. Er trug bei der Tat einen dunklen Kapuzenpullover, eine weiße Schutzmaske, blaue Jeans, dazu weiße Turnschuhe mit schwarzen Streifen. Die Ermittlungen würden auf Hochtouren laufen, hieß es am Samstag. Neben der Spurensicherung an der rußgeschwärzten Fassade werteten die Beamten auch die Videoüberwachung des Gebäudes aus. Genaue Tathintergründe sind noch nicht bekannt. Die Polizei habe eine "Besondere Aufbauorganisation" (BAO) gebildet, um die Brandstiftung aufzuklären.

    Brand an der Ulmer Synagoge war schnell gelöscht

    Samstagmorgen ging der Alarm bei der Ulmer Feuerwehr ein. Ein Löschzug rückte aus - aber: "Als wir ankamen, war der Brand beinahe schon gelöscht", berichtet der Ulmer (mit heo)

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Brandanschlag auf Synagoge Ulm: Es bleibt mehr zurück, als nur als ein schwarzer Fleck

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