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Ulm: Missbrauchsfälle: Muss die Institution Kirche sterben?

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Missbrauchsfälle: Muss die Institution Kirche sterben?

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    Psychiater Fegert sieht bei der Kirche zu wenig Bereitschaft, Missbrauchsfälle aufzuklären.
    Psychiater Fegert sieht bei der Kirche zu wenig Bereitschaft, Missbrauchsfälle aufzuklären.

    Jörg Fegert ist skeptischer geworden, was die Bereitschaft der katholischen Kirche angeht, sich der tatsächlichen Dimension des sexuellen Missbrauchs durch Priester und andere Mitarbeiter der Kirche zu stellen. Das sagte der Ulmer Professor bei einem Vortrags- und Diskussionsabend im Ulmer Haus der Begegnung. Der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Ulm, der auch Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin Baden-Württemberg ist und die Kirche seit mehr als 15 Jahren zum Thema Missbrauch Minderjähriger berät, hatte im März mit einer repräsentativen Umfrage für Aufsehen gesorgt. Die Studie kam zum Ergebnis, dass in Deutschland in den vergangenen 70 Jahren jeweils etwa 114000 Kinder und Jugendliche von Mitarbeitern der katholischen und der evangelischen Kirche sexuell missbraucht worden seien. Die Zahlen rechneten die Forscher aus den Antworten von rund 2500 Befragten hoch (Lesen Sie hier mehr über die Studie). Damit gebe es im kirchlichen Bereich insgesamt etwa so viele Missbrauchsopfer wie im sportlichen Bereich.

    Lesen Sie auch das Interview mit Professor Jörg Fegert: "Sexueller Missbrauch ist ein gesellschaftliches Problem"

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    Professor Jörg Fegert kritisiert Rede von Papst Franziskus

    Ein „Thema verfehlt“ warf Fegert in diesem Zusammenhang Papst Franziskus vor, der jüngst irritiert hatte, indem er Opfer sexuellen Missbrauchs mit den früheren Menschenopfern heidnisch-religiöser Riten verglich. „Missbrauch ist ein Delikt“, sagte Fegert. Ein Vergleich zu grausamen kultisch-religiösen Ritualen sei unpassend. Der Papst bleibe die Antwort schuldig.

    „Alle Situationen in Abhängigkeitsverhältnissen sind gefahrgeneigt“, so Fegert. Die Strategie der Täter verlaufe über ein scheinbares Vertrauensverhältnis, das aufgebaut wird und „Lieblinge“ erzeugt. Das funktioniere bei Pfarrern auf identische Weise wie bei Pfadfindern, Sporttrainern, Lehrern, in Internaten und Ferienfreizeiten. Dass Missbrauch gerade auch in scheinbar nicht-autoritären Institutionen geschehe, beweise das Beispiel der Reformpädagogik. An der 2015 geschlossenen Odenwaldschule sei man den Hinweisen auf sexuellen Missbrauch nicht nachgegangen, weil man sexuelle Übergriffe durch Lehrer und den Schulleiter in der renommierten Einrichtung nicht für möglich gehalten hatte. Wie schwierig es aber für die Betroffenen gerade beim Missbrauch durch Vertreter der Kirche ist, „heilige Männer“ aufzudecken und Missbrauch anzuzeigen, beschrieb Fegert über Zitate Betroffener.

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    Ein Weg der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen liege laut Fegert darin, die Aufklärung den kirchlichen Institutionen aus der Hand zu nehmen und in staatliche Hände zu geben. Das Recht zur Beschlagnahmung kirchlicher Akten sei im Bundestag nicht durchzubringen gewesen. Für eine umfangreiche Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs bedürfe es aber auch der Einbeziehung von Einrichtungen, die von Nonnen betrieben werden. Zudem sei er überzeugt, dass gerade in Afrika der Missbrauch von Nonnen „eine riesige Dimension hat“, so Fegert.

    Am Ende des Abends äußerte sich der Ulmer Studentenpfarrer Michael Zips sehr betroffen. „Vielleicht muss die Institution sterben“, stellte er in den Raum. Auf jeden Fall aber müsse „das Amt runter.“

    Der zweite Teil der Reihe „Die Zeit heilt keine Wunden“ findet am Dienstag, 26. März, um 19 Uhr in St. Michael zu den Wengen statt. Dann soll es um die Frage gehen, wie ernst es die katholische Kirche mit der Aufarbeitung meint.

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