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Ulm: Lügen vor Gericht? Nach Vorfall mit Afrikaner droht Polizisten der Rauswurf

Ulm

Lügen vor Gericht? Nach Vorfall mit Afrikaner droht Polizisten der Rauswurf

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    Zwei Ulmer Polizisten wurden vor Gericht verurteilt. Welche Rolle spielt Fremdenhass?
    Zwei Ulmer Polizisten wurden vor Gericht verurteilt. Welche Rolle spielt Fremdenhass? Foto: Silas Stein, dpa (Symbolbild)

    Nach einem angeblichen Gerangel in einer Bankfiliale in Ulm steht erst ein aus Afrika stammender Mann vor Gericht. Sein Verfahren aber wird eingestellt. Stattdessen wurde zwei Ulmer Polizisten den Prozess gemacht - ihnen droht jetzt eine Freiheitsstrafe und die Suspendierung.

    Das ursprüngliche Geschehen liegt schon eine ganze Weile zurück, doch der Öffentlichkeit war der brisante Fall bislang nicht bekannt: Im August 2018 soll sich ein mutmaßlicher Asylbewerber im Vorraum einer Bankfiliale in Ulm trotz eines Platzverweises aufgehalten haben. Daraufhin wurde die Polizei gerufen. Zwei Beamte einer Ulmer Dienststelle sollten ihn dazu bringen, dass er nach draußen geht. Dabei ist auch "einfache Gewalt" und "unmittelbarer Zwang" angewandt worden, wie Christof Lehr, Leitender Oberstaatsanwalt der Ulmer Behörde, das Geschehen auf Anfrage unserer Redaktion erklärt. Er selbst habe den Fall nicht betreut, den Sachverhalt entnehme er lediglich den Akten.

    Polizist behauptete, der mutmaßliche Asylbewerber soll sie angegriffen haben

    Bei dem Vorgang, den Mann aus dem Vorraum zu bringen, soll es dann zu einem Gerangel gekommen sein. Aus Sicht mindestens eines Polizisten habe der Afrikaner dabei nicht nur Widerstand gegen sie als Vollstreckungsbeamte geleistet. Er soll auch versucht haben, sie anzugreifen. Mit einer Faust soll er in Richtung der Polizisten geschlagen haben.

    Auf Grundlage dessen kam es im Februar 2020 zum Prozess am Amtsgericht Ulm. Auf der Anklagebank saß der Mann aus Afrika. Der Vorwurf lautete Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Mindestens einer der als Zeugen geladenen Beamten blieb laut Lehr bei seiner Sicht des Geschehenen und soll entsprechend vor Gericht ausgesagt haben.

    Video einer Überwachungskamera zeigt den Ablauf des Vorfalls

    Jedoch sei im Rahmen der Hauptverhandlung ein Video einer Überwachungskamera aus der Bankfiliale aufgetaucht und als Beweismittel eingeführt worden, das den Tathergang vom August 2018 zeigt. Darauf sei zu erkennen, dass der Vorfall sich nicht so abspielte, wie einer der Beamten es vor Gericht geschildert hatte. Zwar soll es Widerstand gegeben haben, aber nur einen "kleinen" und "nicht in der Intensität", wie die Polizisten es ausgesagt haben. Das Verfahren gegen den Mann wurde daraufhin eingestellt, berichtet Lehr, Chef der Ulmer Staatsanwaltschaft.

    Vor gut vier Wochen kam es also zum erneuten Prozess am Ulmer Amtsgericht. Doch dieses Mal richtete sich die Anklage nicht gegen den Afrikaner, sondern gegen die beiden Polizisten. Bei der öffentlichen Hauptverhandlung am 3. Mai wurden sie wegen Verfolgung Unschuldiger und einer von ihnen auch wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

    Warum haben die Polizisten offensichtlich gelogen?

    Warum die Polizisten offensichtlich gelogen haben, ist unklar. Auch ob ein fremdenfeindliches Motiv dahinterstecken könnte. Offen bleibt ebenso, ob die Beamten zuvor schon einmal aufgefallen oder sich etwas zu Schulden haben kommen lassen. Der Leitende Oberstaatsanwalt Lehr konnte nach eigenen Angaben aus den Akten die Beweggründe oder andere Details nicht herauslesen. Das Polizeipräsidium Ulm wollte auf Anfrage unserer Redaktion keine Stellungnahme abgeben und verwies auf ein noch laufendes Verfahren. Somit lässt das Präsidium Raum für Spekulationen.

    Das Gericht schöpfte bei seinem Urteil in erster Instanz den möglichen Strafrahmen aber bei Weitem nicht voll aus. Im Gegenteil, es beschränkte sich auf das Mindeststrafmaß. Paragraph 344 Strafgesetzbuch sieht beim Vorwurf der Verfolgung Unschuldiger eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor. Bei einer Falschaussage vor Gericht können es nach Paragraph 153 bis zu fünf Jahre sein.

    Welche Rolle spielt der Tod von George Floyd durch Polizeigewalt?

    Eine hohe Strafe für etwas, bei dem eigentlich niemand körperlich zu Schaden kam? Nein, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Lehr. Fälle wie dieser seien zwar "absolute Ausnahme". Wenn so etwas einmal in zehn Jahren vorkomme, sei es häufig. Sie würden aber keineswegs mit dem Selbstverständnis der Polizei übereinstimmen. "Vertrauen ist ein wichtiges Gut", sagt Lehr. "Und wir müssen uns darauf verlassen können, dass das, was die Polizei sagt, auch stimmt. Dass korrekt gearbeitet wird. Wenn die Polizei lügt, wäre das ein Bärendienst, den wir uns da erweisen würden. Deshalb ist das Strafmaß auch entsprechend." Dass im aktuellen Fall die spätestens seit dem Tod des US-Amerikaners George Floyd vor fast genau einem Jahr auch hierzulande geführte Diskussion über Gewalt und Rechtsextremismus in der Polizei eine Rolle spielen könnte, glaubt Lehr hingegen nicht. "Wir schauen nicht weg, aber wir schauen auch nicht genauer hin", sagt er.

    Das Urteil gegen die Ulmer Polizisten ist noch nicht rechtskräftig. Beide Beamte - beide männlich und beide knapp über 30 Jahre alt - hätten Rechtsmittel eingelegt. Es könnte also noch zu einem Berufungsprozess am Landgericht Ulm kommen. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, droht den beiden Polizisten die Suspendierung. Ob sie schon jetzt vom Dienst freigestellt sind, war nicht zu erfahren.

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