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Ulm: "Kunst-Kitsch" im Stadthaus Ulm: Es brodelt im Wunderland

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"Kunst-Kitsch" im Stadthaus Ulm: Es brodelt im Wunderland

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    Die „Prozession zum Friedhof der abgeliebten Kuscheltiere“ ist ein skurriler Höhepunkt der Ausstellung von Heike Sauer im Stadthaus.
    Die „Prozession zum Friedhof der abgeliebten Kuscheltiere“ ist ein skurriler Höhepunkt der Ausstellung von Heike Sauer im Stadthaus. Foto: Andreas Brücken

    Ein Faschingsumzug ist nichts gegen die „Prozession zum Friedhof der abgeliebten Kuscheltiere“, die derzeit durch das Kabinett des Ulmer Stadthauses marschiert. Da winken die Queen und chinesische Glückskatzen, da lauert ein riesiger Grashüpfer in einem Sombrero, der Osterhase reitet auf den Schultern eines Engels, auf dem Hals eines gerupftes Hühnchen sitzt ein Hundekopf. Es ist wie auf einem Wimmelbild: Je länger man hinsieht, desto mehr Details entdeckt das Auge. Gesammelt, kombiniert und aufgebaut hat diesen verrückten Umzug, der tatsächlich zu einem verblichenen Plüschtieren führt, Heike Sauer – eine Frau, die weiß, wie man aus Krempel unterhaltsame und oft sehr schlaue Kunst macht.

    Wobei die 46-Jährige selbst nicht großspurig mit dem Begriff „Kunst“ hantiert, sie nennt ihre Kreationen „Kunst-Kitsch“ oder, auf gut Schwäbisch-Englisch, „Gruschd-Upcycling“. Mit dem Dialekt kennt sie sich aus: Die in Eislingen an der Fils aufgewachsene Sauer kennt man in der Region und darüber hinaus vor allem in ihrer Rolle als schwäbelnde Kabarettistin Marlies Blume, manche auch als eine Hälfte des politischeren Kabarett-Duos Münch & Sauer mit ihrer guten Freundin Hanna Münch. Dass sie seit 2010 auch Kunst zum Anfassen macht, wissen nur wenige. Obwohl sie sehr aktiv ist. Sie stöbert für ihr Leben gerne in Trödelläden, bekommt von Freunden kistenweise Krimskrams überreicht, den sie früher bei sich, inzwischen in ihrem Atelier bunkert. Damit die Wohnung nicht zur Messie-Bude wird, wie sie sagt.

    In einer Ecke im Stadthaus Ulm kann man für Fotos posieren

    Was gestern noch Müll war, kann bei Sauer heute schon einen neuen Sinn bekommen. Natürlich, manchmal sind die Ergebnisse des „Gruschd-Upcyclings“ eher gewitzt dekorativer Natur, etwa die Vesper-Brettle, die sie zu witzigen Wandobjekten umgestaltet hat: kleine Dinge mit Humor, an denen man leicht Freude findet. Sympathisch auch die Ecke im Stadthaus-Kabinett, in der man mit Schildern mit Lobhudeleien („Mister Ländle“) für Fotos posieren kann: „Instagrammable“ nennt man das in Zeiten der digitalen Selbst(re)präsentation. Es ist ein Teil der rosafarbenen Welt von Marlies Blume. Und man ist gern in dieser Welt.

    Doch unterschätzen sollte man Heike Sauer nicht. Denn unter der lieblichen Oberfläche brodelt ein manchmal galliger Humor – nicht umsonst heißt die Schau „Unser Leben – süß-sauer serviert“. Wie es sich für eine Kabarettistin gehört, ist Sauer ein politischer Mensch, und eine Künstlerin, die ein feines Gespür dafür hat, wie sich gesellschaftliche Debatten wirkungsvoll ins Bild bringen lassen. Sie lässt den Bundesadler mit einer Friedenstaube züngeln, kombiniert mit dem Verkehrsschild „rechts abbiegen verboten“. Sie kombiniert eine Holzplatte mit einem Druck von Dürers betenden Händen mit dem Torso eines Kindes, dem eine Hand den Mund zuhält („Schweig fein still“).

    Heike Sauer findet Dinge auf dem Trödel, die verschwinden sollten

    Besonders düster wird es in dem Raum, den Sauer zusammen mit Kurator Tommi Brem als Wohnzimmer dekoriert hat. Auf dem Tisch ist ein altes Brettspiel aufgebaut, das sie beim Trödelhändler gefunden hat, „Muss i denn zum Städtele hinaus“. Ein Spaß für die ganze Familie? Auf dem Karton sind Soldaten, Panzer, Gewehre zu sehen, wer aufs richtige Feld kommt, darf dank eines überraschenden Luftangriffs vorrücken. Das Manöver-Brettspiel ist so zynisch, dass Heike Sauer ihm nichts hinzufügen musste. Die Künstlerin findet nicht nur Dinge, die weggeworfen oder aussortiert wurden, sondern auch solche, die verschwinden sollten.

    Die Kritik an Gewalt, Krieg und Rüstungsindustrie zieht sich durch mehrere Arbeiten in diesem Raum, der so gar nicht rosafarben ist. Da macht Sesamstraßen-Ernie Badeurlaub zwischen schussbereiten Playmobild-Soldaten, einen Kaufladen aus dem Kinderzimmer hat Sauer zum Rüstungsshop umgebaut. Und doch wird die Kunst der Ulmerin nie selbst zynisch oder verbittert, sondern steckt voller Liebe zu den Menschen. Sie sagt: Es kann alles gut werden, wenn wir es nur wollen. Eine Botschaft, die in Zeiten der Hassrede und der Apokalyptik unheimlich gut tut.

    „Unser Leben – süß-sauer serviert“ wird am Samstag, 14. Dezember, um 19 Uhr im Stadthaus eröffnet. Es spricht der Medienkünstler Thomas T. Tabbert, Heike Sauer und Axel M. Blessing zeigen eine Performance. Danach ist die Ausstellung bis 22. März im Stadthaus-Kabinett (zweiter Stock) zu sehen. Der Eintritt ist frei. Zur Schau ist eine Katalog erschienen, der im Stadthaus für zehn Euro erhältlich ist.

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