Am ersten Morgen des zweiten Lockdowns macht sich Sarah Straub einen Kakao. Sie hat endlich Zeit, Pause zu machen: „Ein ganz neues Gefühl, mal Langeweile zu haben“, sagt sie und lacht. Die 34-Jährige aus Gundelfingen führt ein Doppelleben – zumindest beruflich: Als Psychologin arbeitet sie in Teilzeit an der Uniklinik in Ulm, ihr zweites Standbein ist die Musik. Straubs Alltag ist normalerweise schnell, hektisch und vollgepackt – doch im zweiten Lockdown hat sie, wie viele Künstler, Zeit für andere Dinge.
Sie stand schon mit Konstantin Wecker auf der Bühne
Die Sängerin und Songwriterin ist vor allem durch ihre Auftritte mit dem berühmten Liedermacher Konstantin Wecker vergangenes Jahr bekannt geworden. Doch ihr eigener Weg begann schon früher: Vor sechs Jahren erschien ihr Album „Red“, Straubs Lieder liefen bei bayerischen Radiosendern, sie tourte durch Deutschland, Österreich und Italien. 2019 veröffentlichte sie ihr erstes deutschsprachiges Album mit Neu-Interpretationen von Liedern Konstantin Weckers.
Etwa ein Jahr später, Straub sitzt in ihrer Wohnung in Gundelfingen: keine Auftritte, kein Termin mit der Band im Tonstudio und keine Tour mit einem neuen Album. „Ich bin komplett planlos im Moment“, sagt Straub. Sie arbeitet an einem neuen Album, ein paar Songs sind bereits fertig: „Ich kann gerade ja nichts mit der Band einsingen. Ich hoffe, wir können das im Frühjahr machen.“ Doch auch wenn sie selbst sagt, sie sei planlos – richtig langweilig ist ihr nur manchmal.
Ende November veröffentlichte Straub ihre neue Single „Mein Glück“, die auch auf dem neuen Album zu hören sein soll. Das Lied hat sie im ersten Lockdown geschrieben. „Eigentlich als Motivationshymne für mich selbst“, sagt Straub. Der Song kam bei vielen Fans gut an. Die durften schließlich selbst mitwirken und konnten Bilder für das Musikvideo einschicken. „Mit den Bildern habe ich jetzt mein Büro tapeziert“, sagt Straub und lacht. „Ich habe eine große Nähe zu meinen Fans.“ Jeden Tag findet sie mindestens einen handgeschriebenen Brief in ihrem Briefkasten. Und sie antwortet auf jeden. „Das habe ich mir tatsächlich von Konstantin Wecker abgeschaut. Und der bekommt sicher einige Briefe mehr.“
In ihrem neuen Lied geht es um "ihr Glück"
„Ich leg’ mit dir den ganzen Weg zurück, Stück für Stück, Du bist mein Glück“ singt die 34-Jährige in ihrer aktuellen Single. Ihr Glück? „Die Menschen in meinem Leben. Ich hatte dieses Jahr so viel Zeit, das zu begreifen“, sagt Straub. Mit ihrem Mann lebt sie in Gundelfingen, auch ihre Eltern und Geschwister wohnen nicht weit von ihr weg. „An Heilig Abend wird es ganz schön schwierig“, erzählt die Sängerin und lacht. „Wir sind im engeren Kreis schon sechs Haushalte.“
Dass ihr Familie wichtig ist, zeigt vor allem Straubs aktuellstes Projekt. Ein Buch über das Thema Demenz. Bei ihrer Arbeit als Psychologin in der neurologischen Abteilung des Uniklinikums in Ulm hat Straub mit Demenzkranken und deren Angehörigen zu tun. In der Uniklinik hat die Psychologin eine wissenschaftliche Stelle und nimmt – wenn nicht gerade eine Pandemie ausgebrochen ist – Patiententermine wahr. „Ich war selbst schon Angehörige einer Demenzkranken“, erzählt sie. Mit Anfang 20 pflegte Straub ihre Oma – oder hat es zumindest lange versucht: „Ich habe zu dieser Zeit noch studiert und dachte, ich kann nebenbei auf meine Oma aufpassen. Doch irgendwann musste sie in ein Pflegeheim.“ Hätte sie damals ihr Wissen von heute gehabt, hätte sie vieles anders gemacht, sagt sie. „Mein Buch muss Leuten helfen, die genau so hilflos dastehen, wie ich damals.“ Gerade nutzt sie den zweiten Lockdown und ist mittendrin im Schreibprozess, im März 2021 soll das Buch fertig sein.
Im ersten Lockdown ein Motivationslied, im zweiten ein Buch über Demenz: „Es war im Frühjahr schon anders“, gibt Straub zu. „Ich war so motiviert und habe eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. 24 000 Euro kamen zusammen, das Geld haben wir an Soloselbstständige verteilt“, erzählt Straub. „Ich dachte damals, ich bin der große Retter des Landes.“ Doch jetzt weiß sie: „Es war nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein.“
Die vielfältige Kleinkunstlandschaft ist in Gefahr
Straub selbst hat, anders als im Frühjahr, keine Soforthilfe beantragt, sie sei durch ihren zweiten Beruf gut abgesichert. Sorgen macht sie sich vor allem um die Kleinkünstler und all die Mitarbeiter, die auf Live-Veranstaltungen und Touren angewiesen sind. „Wir werden diese vielfältige Kleinkunstlandschaft, die es vor allem in Bayern und Baden-Württemberg gibt, verlieren“, fürchtet Straub. Oft würden Leute in den sozialen Medien schreiben: Ihr Künstler jammert nur. Straub meint: „Die Leute vergessen manchmal: Ein Berufsmusiker hat meist von Kind auf eine musikalische Ausbildung durchlaufen.“ Und das soll jetzt nichts Wert sein?
Ein Pianist und Kollege Straubs sei beispielsweise im Frühjahr zum Spargelstechen gegangen. Ihre Bandkollegen haben sich neue Jobs suchen müssen. Aber auch ein Nebenjob als Kellner bringt in einem Lockdown nichts mehr.
Straub hofft, dass sie im Frühjahr wieder als Sängerin arbeiten kann. Und dass der Impfstoff zulässt, Konzerte geben zu können. Da sie den medizinischen Einblick hat, versteht sie auch, warum ein Impfstoff so schnell zugelassen wird. „Ich glaube, unsere Branche hat allgemein sehr viel Verständnis und Mitgefühl und nimmt die Pandemie wirklich ernst“, sagt die 34-Jährige. Trotzdem ist sie mittlerweile viel frustrierter als noch zu Beginn des Jahres.
Ihre großen Pläne – zumindest die musikalischen – werden wohl noch eine Weile ungewiss bleiben. Doch bis dahin weiß Straub sich zu beschäftigen. Was sie dann macht? „100 Stunden Netflix schauen.“ Oder eben ein Buch schreiben.
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