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Ulm: Giftattacke auf Babys: Wie konnte die schwerwiegende Labor-Panne passieren?

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Giftattacke auf Babys: Wie konnte die schwerwiegende Labor-Panne passieren?

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    Gesenkte Köpfe bei der Pressekonferenz: Christof Lehr, Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft, und Andrea Jacobsen-Bauer, die zuständige Fachbereichsleiterin am Kriminaltechnischen Institut in Stuttgart.
    Gesenkte Köpfe bei der Pressekonferenz: Christof Lehr, Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft, und Andrea Jacobsen-Bauer, die zuständige Fachbereichsleiterin am Kriminaltechnischen Institut in Stuttgart. Foto: Alexander Kaya

    Wieder ist es 11 Uhr am Vormittag, wieder hat mehr als ein halbes Dutzend Fernsehteams im Besprechungssaal 4.01 der Ulmer Staatsanwaltschaft Kameras aufgebaut, wieder sind Fotografen, Radioreporter und schreibende Journalisten gekommen. Doch diesmal vermelden die Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft keinen großen Erfolg, sondern eine große Panne: Die junge Kinderkrankenschwester, die nach der Giftattacke auf fünf Babys als dringend tatverdächtig galt, ist durch einen Fehler im Labor in Haft gekommen. Die Ermittler stehen wieder am Anfang.

    Christof Lehr, der Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft, wiederholt anfangs sogar wortgleich Sätze aus der ersten Pressekonferenz am vergangenen Donnerstag, bei der die Ermittler ihren vermeintlichen Erfolg bekannt gegeben hatten: „Hellhörig gemacht hat uns ein Fund im Spind einer Krankenschwester.“ Diesen Fund hält Lehr weiterhin für sehr ungewöhnlich: eine Spritze mit Resten von Muttermilch.

    Ulm: Giftattacke in der Kinderklinik

    Die Spritze war das entscheidende Indiz für den Haftbefehl gegen die junge Krankenschwester. Doch davon ist nichts geblieben. Eine Laboruntersuchung durch das Kriminaltechnische Institut (KTI) am Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg in Stuttgart hatte Morphin in der Probe nachgewiesen. Doch weitere Analysen ließen die Experten zweifeln.

    Auf der Spritze war der Name eines Säuglings vermerkt – eines Kindes, das in jener Nacht keine lebensbedrohlichen Symptome wie Atemnot gezeigt hatte. Die Chemiker untersuchten die Muttermilch der Kindsmutter als Vergleichsprobe – und fanden auch darin Morphin. Hatte die Frau Drogen genommen? Oder starke Schmerzmittel? Das Kriminaltechnische Institut in Stuttgart wollte sich nicht mehr auf die eigenen Analysen verlassen. Ein Kurier brachte ein Serum der Probe mit dem Hubschrauber zum Bayerischen Landeskriminalamt nach München. Vom Original wollten die Ermittler keine weitere Probe nehmen, nur noch 0,4 Milliliter sind nach Angaben von Andrea Jacobsen-Bauer, der zuständigen Fachbereichsleiterin am Stuttgarter KTI, übrig. Diese kleine Menge soll für weitere Analysen durch Toxikologen aufbewahrt werden. Für die weiteren Untersuchungen wollen sich die Behörden Unterstützung von externen, spezialisierten Instituten und von Kinderärzten holen.

    Weitere Analysen zeigen: In der Spritze war kein Morphin

    Am Wochenende liefen in Stuttgart und München zeitgleich Untersuchungen, sie brachten das gleiche Ergebnis: Das Lösungsmittel, das in Stuttgart verwendet worden war, ist verunreinigt. Wie das geschehen konnte, ist unklar. „Da reicht ein Lufthauch, wenn eine Tür zu weit offen steht“, sagt Jacobsen-Bauer. Die Analysen des KTI deckten Spuren im Bereich von einem Milliardstel Gramm auf.

    Die festgenommene Krankenschwester hatte den Vorwurf, die Kinder vergiftet zu haben, von Anfang an bestritten. Am Dienstag berichtet der Leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr, die Frau habe auch darauf beharrt, eine bestimmte Morphin-Flasche nie berührt zu haben. Aus dieser Flasche, vermuten die Ermittler, stammt das Gift, das den Babys verabreicht worden ist.

    Am Sonntag gegen 10 Uhr meldeten die Analysten, dass das Lösungsmittel verunreinigt war. Um 16.20 Uhr lag der DNA-Befund von der Untersuchung der Morphin-Flasche vor: Die Experten haben keine Spuren der Krankenschwester gefunden. Um 16.50 wurde der Haftbefehl aufgehoben, die Behörden informierten den Ehemann der jungen Frau. Im Laufe des Abends traf sie wieder bei ihrer Familie ein. Tags darauf, schildert Lehr, habe er die Frau angerufen, ihr sein Bedauern ausgedrückt und ihr Hilfe angeboten. „Sie hat einerseits sehr gelassen reagiert, aber ich denke, dass sie stark unter dem Eindruck der Ereignisse stand“, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt.

    Morphin-Vorfall in Ulm: Die entscheidenden Fragen sind noch offen

    Die Behörden ermitteln weiter – und müssen Fragen klären, die schon beantwortet schienen: Wie ist das Morphin den Kindern verabreicht worden? Dass das Betäubungsmittel den lebensbedrohlichen Zustand der Säuglinge verursacht hat, zweifeln die Ermittler nicht an. Die Untersuchung sei nach einem zertifizierten Verfahren vorgenommen worden. Wer hat die Tat begangen? Die am Sonntag aus der Haft entlassene Krankenschwester und die fünf anderen Frauen, die mit ihr Schicht hatten, stehen Lehr zufolge weiter im Fokus der Ermittlungen.

    Die zwei Ärztinnen und vier Schwestern sind weiterhin vom Dienst suspendiert. Weitere Vorkehrungen, sagt eine Sprecherin des Uniklinikums, habe man nach den neuen Entwicklungen nicht getroffen. Bereits in den vergangenen Tagen waren die Sicherheitsstandards erhöht worden. Die Stimmung an der Kinderklinik, berichtet die Sprecherin, sei gedrückt.

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