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Ulm: Flucht aus der DDR: Schwebend in die Freiheit

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Flucht aus der DDR: Schwebend in die Freiheit

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    Erlebten gemeinsam einen interessanten Abend im Obscura-Kino: (von links) Volkshochschul-Geschäftsführerin Carolin Gehring, Günter Wetzel sowie die Vhs-Mitarbeiterinnen Martina Hürter und Sylvia Kolbe.
    Erlebten gemeinsam einen interessanten Abend im Obscura-Kino: (von links) Volkshochschul-Geschäftsführerin Carolin Gehring, Günter Wetzel sowie die Vhs-Mitarbeiterinnen Martina Hürter und Sylvia Kolbe. Foto: Ralph Manhalter

    Günter Wetzel ist es ein Anliegen, innerdeutsche Vorurteile zu entkräften: „Die Ossis waren nicht alles Spitzel; die Leute haben sich gegenseitig geholfen.“ Vielleicht entstand dieser Eindruck im Laufe des Films „Ballon“, der vergangenen Donnerstag auf Initiative der Volkshochschule im Landkreis Neu-Ulm im Ulmer Obscura gezeigt wurde. Wie bereits berichtet, legt die Vhs in diesem Herbst einen thematischen Schwerpunkt auf das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls. So fügte es sich auch glücklich, dass zur Filmpräsentation mit Wetzel einer jener mutigen Personen eingeladen wurde, die am 16. September 1979 mit einem selbst gebauten Heißluftballon die innerdeutsche Grenze überwanden.

    Die Verflechtung mit dem Stasi-Nachbarn entsprach in Michael Bully Herbigs Werk jedoch ebenso wenig der Realität wie auch die sprichwörtliche Rettung in letzter Minute: Diese Dramaturgie muss als Zugeständnis an die künstlerischen Freiheit akzeptiert werden, wobei die erlebte Wirklichkeit der filmischen Präsentation in keiner Weise nachstand: Zwei Familien waren es, denen die DDR im Zustand der späten 70er Jahre weder Hoffnung noch Zukunft bot. Wetzel wurde, da sein Vater vor langer Zeit in den Westen geflüchtet war, der Zugang zum begehrten Physikstudium verwehrt. Auch die befreundete Familie Strelzyk sah ihre Perspektiven angesichts einer omnipräsenten Mangelwirtschaft und pseudoproletarischer Enge schwinden.

    Erst der dritte Anlauf zur Flucht aus der DDR gelang ihm

    Der dritte Anlauf, die schwer bewachte Grenze zwischen den heutigen Bundesländern Thüringen und Bayern mit dem Ballon zu überwinden, gelang schließlich. Dabei war Eile geboten: Nach einem gescheiterten Fluchtversuch, den die Familie Strelzyk allerdings alleine unternahm – die Wetzels hatten sich aufgrund der Gefahr einer Überladung der Kabine kurzfristig zum Zurückbleiben entschlossen – war die Stasi bereits alarmiert. Wenige Kilometer vor der Grenze stürzte der Ballon in ein Waldgebiet. Familie Strelzyk konnte zwar unbemerkt nach Hause zurückkehren, jedoch wurden eine Woche später die Überreste des havarierten Flugobjekts von einen Volkspolizisten aufgefunden. Da er diesen Vorfall jedoch nicht sofort weitermeldete und somit die Ermittlungen der Behörden erst mit Verzögerung starten konnten, gewannen die beiden Familien wertvolle Zeit. Zeit, die ihnen womöglich das Leben gerettet hat, denn eines stand von nun ab fest: Wenn sie fliehen, dann nur zusammen. Es hätte wohl nicht lange gedauert, bis die Stasi auch die Familie Wetzel in Zusammenhang mit der – in der DDR als schweres Verbrechen eingestuften – Republikflucht gebracht hätte. Erst 2009 erfuhr Wetzel, dass die Behörden noch circa sechs Tage benötigt hätten, um die Flüchtenden identifizieren zu können.

    Der freundliche ältere Herr wirkt sehr gefasst, als er im Anschluss an den Film noch zu persönlichen Erfahrungen Auskunft gibt. Ja, er habe beim Betrachten der Bilder schon mal eine Träne im Auge gehabt, gesteht er. Zu stark seien immer noch die Emotionen, die in Verbindung mit diesem waghalsigen Manöver ausgelöst werden. Sicherlich auch die bis ans Äußerste gehende Nervenanspannung, als die beiden Familien nach 28 Minuten Ballonfahrt schließlich früher als beabsichtigt landeten.

    Einer der beiden Männer fragte die Beamten, ob man im Westen sei

    Während sich die Frauen mit den Kindern versteckt hielten, machten sich die beiden Familienväter auf, die Umgebung zu erkunden. Ein Schild an einer Hochspannungsleitung sowie landwirtschaftliche Maschinen, die in der DDR unbekannt waren, gaben Gewissheit: Die Grenze war überwunden. Als sich dann auch noch ein Fahrzeug der Polizei näherte, fragte einer der beiden Männer die Beamten, ob man im Westen sei. Die kurze Antwort „Wo denn sonst?“ war nur der Schlusspunkt dieser außergewöhnlichen Flucht – eine unbeschreibliche Erleichterung ebnete den Weg für ein künftiges Leben in Freiheit.

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