Am Mittwochmorgen um 9 Uhr hat der Vorsitzende der Großen Jugendkammer am Landgericht Ulm das mit Spannung erwartete Urteil im Prozess gegen fünf junge Männer verkündet, die an einem späten Abend im Mai 2019 eine brennende Fackel in Richtung eines Wohnwagens geworden hatten, in dem eine junge Mutter mit ihrem Kind schlief. Die fünf Männer hatten 45 Roma, die auf einem Wiesengrundstück in Dellmensingen campten, in Angst und Schrecken versetzt.
Die Anklage lautete auf gemeinschaftlichen versuchten Mord in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gemeinschaftlicher versuchter schwerer Brandstiftung. Am Mittwoch wurden vier der zur Tatzeit zwischen 17 und 19 Jahre alten Männer nach 14 intensiven Verhandlungstagen im großen Saal des Kornhauses wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu Jugendstrafen zwischen zehn Monaten und einem Jahr und vier Monaten verteilt.
Fackelworf in Richtung von Roma-Wohnwagen: Fall schlug bundesweit Wellen
Der Fall hatte Wellen in der ganzen Bundesrepublik geschlagen und vor dem Prozessauftakt forderten Mitglieder des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, das deutsche Gesetz in voller Härte anzuwenden. Genau ein Jahr nach dem Überfall hatten geschätzte 300 Bewohner des Erbacher Stadtteils Dellmensingen gegen den wachsenden Rassenhass in Deutschland demonstriert.
Doch aus der Hoffnung der Sinti und Roma, im Ulmer Prozess ein juristisches Exempel in ihrem Sinne zu statuieren, wurde nichts. Bereits am dritten Verhandlungstag hatte ein Dekra-Ingenieur als Zeuge verkündet, dass eine Gefährdung der Insassen in dem Wohnwagen so gut wie ausgeschlossen werden könne.
Bei dem brennenden Wurfgeschoss aus dem Auto in Richtung Roma-Wohnwagen handelte es sich um eine Wachsfackel für Kinder. Aus einem fahrenden Auto könne man nicht zielen, sagte der Gutachter. Auf die Experten-Erkenntnis hin betonte das Gericht vorsorglich, dass statt des versuchten Mordes auch eine gemeinschaftliche Nötigung in Betracht kommen könnte.
Rassistische und antiziganistische Motive: Fünf Männer in Ulm vor Gericht
So kam es am Mittwoch. Akribisch wies der Vorsitzende Richter aufgrund der umfangreichen Beweisaufnahme nach, dass die durchgängigen Angaben der Täter bestätigt wurden: Eine Mordtat sei ihnen nie in den Sinn gekommen, sagten die fünf jungen Männer. Vielmehr hätten sie sich überlegt, wie man die 46 Roma vertreiben könne, die völlig legal zur Miete auf dem Wiesengrundstück lebten.
Tage vor dem Vorfall legten die jungen Männer, die sich regelmäßig in einer Bude in Dellmensingen trafen und von einem von fremden Rassen befreiten Deutschland nazistischer Prägung träumten, einen toten Schwan nachts in das Camp der Roma.
Die Billigung eines möglichen Todesfalls im Wohnwagen, von der die Stuttgarter Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift sprach, hatten die jungen Beschuldigten aus Sicht des Gerichts nicht im Sinn, aber sie hatten mit dem kriminellen Vorgehen in Dellmensingen das erreicht, was sie wollten: Gleich am nächsten Tag packten die Roma, die vom Messerschleifen hierzulande lebten, ihre Sachen zusammen und verließen diesen Ort des Grauens. Sie fanden in Ehingen eine friedliche Bleibe.
Vier Täter haben Verbindungen in die Hooligan- und Neonazi-Szene
Die Täter sind laut Gericht bis auf einen Beschuldigten mit der Hooligan- und Neonaziszene verbunden – auch wenn manche angaben, sie hätten diesen Verbindungen abgeschworen.
Anwalt Mehmet Daimagüler vertrat im Prozess die betroffene Familie, die als Nebenklägerin auftrat. Er hatte in der Beweisaufnahme davon berichtet, dass Angeklagte nach der Entlassung eine Party mit rechtsradikalen Sinnesgenossen gefeiert hatten, wo Sieg-Heil- und Heil-Hitler-Rufe ausgestoßen und Reichsfahnen mit Adler geschwungen worden seien. Das wurde alles gefilmt, fotografiert und ins Internet gestellt. Bei der Handyauswertung im Lauf der polizeilichen Ermittlungen kam eine Fülle von belastendem Material zutage, das die jungen Männer als bekennende Neonazis zeigt.
Wie der Staatsanwalt aus Stuttgart in seinem Plädoyer nach der Beweisaufnahme bekräftigte, seien die jungen Männer lupenreine Rechtsradikale. Er zitierte einen Chatverlauf aus dem Kreis der Beschuldigten, der es in sich hat: „Direkt hinterherfahren und ausrotten, die Pest“, heißt es darin unter anderem. Weiter geht es mit: „Blut muss fließen.“
Angriff auf Roma-Familie: Staatsanwaltschaft ging von versuchtem Mord aus
Der Staatsanwalt forderte eine Verurteilung wegen versuchten Mordes und sagte: „Man hat viel zu lange weggeschaut und verharmlost.“ Er kam bei der Jugendkammer nicht durch. Möglicherweise strebt die Staatsanwaltschaft nun eine Revision an.
Der Vorsitzende Richter sparte bei der Urteilsverkündung nicht mit harten Worten: Die Täter hätten allesamt bedenkliche pupertäre Neigungen und eine bedenkenswerte Neigung zur Gewalt gezeigt: „Diese Beschuldigten gehen über die Meinungsfreiheit hinaus.“
Vertreter von Sinti und Roma können mit dem Urteil leben
In der Bewährungszeit von eineinhalb Jahren müssen die Täter mit der Bewährungshilfe das ehemalige KZ Dachau besuchen. Über die Visite in der Gedenkstätte müssen sie zehn Seiten schriftlich verfassen und darin ihre Eindrücke schildern. „So werden sie gezwungen, sich mit der Geschichte von 1933 bis 1945 in Deutschland auseinanderzusetzen“, führte der Richter aus. Beigetragen habe für die ausgesprochene Bewährungsstrafe auch das positive familiäre und berufliche Umfeld, begründete er.
Anwalt Daimagüler sagte anschließend: „Die Nebenklage kann mit dem Urteil leben, weil das Gericht die antiziganistische Hassmotivation klar benannt hat.“ Daniel Strauß vom baden-württembergischen Landesverband des Verbands Deutscher Sinti und Roma sprach von der ersten Verurteilung wegen gemeinschaftlicher Vertreibung aus rassistischen Motiven auf deutschem Boden nach 1945. Romeo Franz, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, äußerte sich warnend: „Dieser Fall zeigt, dass Antiziganismus in der Gesellschaft weit verbreitet ist und als Normalität wahrgenommen wird. Genau das ist das Gefährliche.“ (mit mase)
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