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Ulm: Ein Orchester auf der Suche: Wer wird der neue GMD am Theater Ulm?

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Ein Orchester auf der Suche: Wer wird der neue GMD am Theater Ulm?

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    Das Theater Ulm sucht einen neuen musikalischen Chef. An vier Abenden dirigieren vier Kandidaten um das Amt des Generalmusikdirektors.
    Das Theater Ulm sucht einen neuen musikalischen Chef. An vier Abenden dirigieren vier Kandidaten um das Amt des Generalmusikdirektors. Foto: Veronika Lintner

    Der kleine, schummrige Orchestergraben liegt schon seit Monaten brach. Menschenverwaist, tonlos. Aber an diesem Tag rührt sich etwas: Die Musik spielt heute oben auf der großen Bühne, im Großen Haus am Theater Ulm. Die Streicher sitzen mit Maske am Pult, Bläser hinter Plexiglasscheiben und alle mit bemessenem Abstand. Das Orchester nimmt den Raum bis zur hintersten Bühnenwand ein. Es ginge auch nicht anders. Corona-Sicherheit. Und so warten jetzt mehr als 50 Musiker – auf Kandidat Nummer eins.

    Das Theater Ulm sucht den nächsten Generalmusikdirektor, das Orchester einen neuen Chef. So beginnt an diesem Montag das erste von vier Probedirigaten. Wie lässt sich die Suche nach dem „GMD“ sicher gestalten, mitten in der Pandemie? „Das erfordert ein bisschen Mut und Fantasie“, sagt Kay Metzger, Intendant des Theaters, und grüßt kurz das Publikum – also kaum ein paar Theatermitglieder und Pressevertreter. Metzger das Wiederhören und das Probeprogramm. Strauss und Verdi, ungefiltert, wahrhaft, echt. „Das tut uns allen gut“, schwärmt er.

    120 Kandidaten wollten musikalischer Chef am Theater Ulm werden

    120 Kandidaten hatten sich um den Posten des musikalischen Chefs im Haus beworben, darunter nur drei Dirigentinnen – „leider“, merkt der Zettel mit der mit der Kandidatenvorstellung an. Zwölf Dirigenten probten dann im Februar mit dem Orchester, machten sich mit den Philharmonikern vertraut. Vier Anwärter treten jetzt an zum Finale, an vier Abenden, binnen einer Woche.

    Die Bühne betritt Kandidat Nummer eins: Stefan Klingele, 53 Jahre alt, in Ingolstadt geboren. Sein Weg als Dirigent führte ihn schon ans Münchner Gärtnerplatz-Theater, als Musikdirektor zum Theater Bremen und an die Musikalischen Komödie in Leipzig. Richard Strauss liegt ihm, Strauss beherrscht er – zumindest fand das die Jury der „Opera Awards London“. Sie nominierte ihn 2014 für die beste Richard-Strauss-Vorstellung im Jubiläumsjahr des Komponisten. Den Nachweis für diese Qualität soll Klingele an diesem Tag konzertreif liefern.

    Theater Ulm: "Ein GMD ist wie ein Spitzenmanager"

    Spannung liegt in der Luft. Klingele steht im Licht, am hellsten Fleck auf der Bühne. Ein Scheinwerfer strahlt auf die Partitur, dort liegt Verdis „Rigoletto“ auf dem Pult – in Auszügen. In weiten, runden Bögen und Gesten führt Klingele das Orchester in die italienische Romantik, später auch in die Opern-Dramatik der „Rosenkavalier“-Suite. Immer wieder spürt man jetzt, was für ein mächtiges Vehikel so ein Orchester ist, wenn man es lenken muss – vor allem nach nur kurzer Probezeit, und mit Corona-Distanz. Die Blicke der Musiker suchen, bremsen, beschleunigen, Dynamik und Charakter, die Phrasen im rechten Sekundenbruchteil auf ein Ende hin verzögern. Oder aufbrausen. Der Dirigent trifft Entscheidungen im Raum-Zeit-Kontinuum. Oder schlichter geht es um: Hinwendung, Feingespür, Timing, Musikalität.

    Ein GMD ist viel mehr als der Mann mit dem Taktstock. „Ein GMD ist wie ein Spitzenmanager“, sagt Maria Braun, Mitglied im Bratschenregister und im Orchestervorstand. Ihre Hoffnungen für den „Neuen“ sind groß: „Wir wünschen uns einen, der mit seiner ganzen Seele, mit Körper und Geist leitet.“ Sie hofft auf „Impulse, klare Ideen, aber auch Freiraum für die Gestaltungskraft der Musiker“. Braun hat eine konkrete Idee davon, wie das Ulmer Orchester klingen soll und kann. Seit 40 Dienstjahren spielt sie hier im Haus an der Olgastraße, Musikdirektoren traten ans Pult und wieder ab, manche schneller, andere blieben länger. Namen wie Karajan und James Allen Gähres stehen in einer Ahnenreihe – doch den nahenden Abschied des GMD Timo Handschuh, der seit zehn Jahren das musikalische Geschehen führt, den droht Corona zu verpatzen. Pandemische Generalpause. Für alle. „Hammerhart“ – so beschreibt

    Im Rennen um den GMD-Posten fließen am Theater Ulm Tränen

    Auf den leeren Publikumsplätzen reihen sich – mit viel, viel Luft – die Sänger des Rigoletto, dazu ein paar verstreute Chormitglieder. In Reihe sieben sitzt der Intendant und horcht und von der Galerie hat auch Angela Weißhardt alles im Blick. Die Verwaltungschefin des ältesten Stadttheaters in Deutschland weiß, wie wichtig die Stimme des Orchesters in dieser Zukunftswahl ist: Einen GMD gegen den Willen des Orchesters? Den werde es kaum geben, sagt Weißhardt. Sie selbst hat sich schon ein wenig umgehört: Was wollen die Bläser, was erhoffen sich die Streicher, welche Ansprüche stellen die Schlagwerker aus der letzten Reihe an den Mann am vordersten Pult?

    Seit gut drei Jahrzehnten spielt Tamás Füzesi am Theater Ulm, als erster Konzertmeister ist er ein Partner für den Musikdirektor, sein Draht zum Orchester. Gerade noch hatte Füzesi ein paar tänzerische Solotakte im Strauss-Werk gemeistert, jetzt ist Feierabend und er verpackt seine Geige sanft in den Koffer. Dabei strahlt er ein Lächeln, zwischen Glück und Erschöpfung. Ausgerechnet der Rosenkavalier – „Die Zeit, die ist ein sonderbares Ding“, so säuselt die Figur der Marschallin ihre große Arie an und immer wieder scheint in der Oper die Zeit aus Bahn und Takt zu geraten. Fast ein wenig wie in der Pandemie. „Hier vergeht die Zeit, ohne dass etwas passiert“, sagt Füzesi. Aber diesen Abend hat er genossen, wie selten einen zuvor. Endlich wieder vereint. „Und dass wir so ein starkes Mitspracherecht haben, schätzen wir sehr.“

    „Die Probenarbeit haben wir schon mit Tränen in den Augen begonnen“, sagt Maria Braun. Freudentränen. Nach dem letzten Probedirigat wird dann der Intendant das Orchester um eine Empfehlung bitten. Im Namen der Philharmoniker wird der Orchestervorstand den Wunsch weitergeben.

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