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Ulm: Ein Feuerwerk in schwäbischer Tristesse: Florian Schröders neuer Roman

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Ein Feuerwerk in schwäbischer Tristesse: Florian Schröders neuer Roman

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    Florian Schröder – alias Wokasoma – versetzt die Leser in das Elend und Glück im fiktiven Alb-Dorf Bärenbeuren.
    Florian Schröder – alias Wokasoma – versetzt die Leser in das Elend und Glück im fiktiven Alb-Dorf Bärenbeuren. Foto: Wokasoma / Katharina Fischer

    Heimatliebe klingt anders: „Hier kennt der Lokalpatriotismus keine Grenzen, allerdings auch keinen Grund“, denkt sich Michael Berger, als er mit seinem Auto durch Ulms Straßen kreuzt. Er ist 38 Jahre alt. Single. Schriftsteller. Und auf der Flucht. Sein Verlag sitzt ihm im Nacken, denn ihm fehlt eine zündende Ideen für ein neues Werk. Deshalb flieht Berger in seine Heimat nach Schwaben, um sich von Weihnachten bis Silvester ins neue Jahr zu retten. Dort, bei Mama und Papa auf der Alb, fühlt sich jeder Tag an, „als wäre das ganze Leben ein einziger Gang zum Finanzamt“. Freudlos, sparsam, schwäbisch. Vielleicht ist dieser Berger so ein Typus Schriftsteller wie der Mann, der diese Geschichte erzählt. Florian Schröder tanzt im Ulmer Kulturbetrieb auf vielen Hochzeiten: Er ist Fotograf, Regisseur, Frontmann der Synthie-Pop-Band „Opus Leopard“, er entwirft Kleidungsstücke und Spielzeug. Jetzt ist Schröders zweiter Roman erschienen. „Ein Guter hälts aus“ ist eine vergiftete Liebeserklärung an die Alb und Ulm. Ein Werk für alle, die

    Der Ulmer Florian Schröder präsentiert seinen zweiten Roman

    Das Hörbuch zum Roman spricht der Autor selbst. Pädagogisch wie ein Bernhard Grzimek, der das Leben der Schimpansen erklärt, aber auch ungerührt wie die Stimme aus dem Auto-Navigationsgerät – so taucht Schröder in die Gedankenwelt des Michael Berger. Das irritiert beim ersten Hören, ist aber konsequent; schließlich ist Berger der Ethnologe, der sich durch den heimischen Sumpf und Dorf-Dschungel arbeitet, wie ein Tourguide für den Leser. Doch hier und da hört man den Autor kichern. Besonders lustig wirds, wenn er in säuselnder Falsettlage eine Frauenstimme imitiert oder in der Figurenrede schwäbelt.

    „Die Bühne meiner Jugend“ nennt Berger seine Heimat, doch die Bühnenbretter sind morsch geworden, Alter und Verfall zeichnen Land und Leute. „Wie die Sowjetunion in ihren dunkelsten Tagen“, so beschreibt er Alb-Dörfer, die er auf dem Heimweg passiert. Die Heimat, das frei erfundene Dorf Bärenbeuren, wird für ihn aber zur Schutzzone. Zehn Jahre nach Bergers Auszug steht noch immer sein Name an der Tür seiner Eltern. Kaminwärme schlägt ihm in der guten Stube entgegen – und die liebevolle Ignoranz seiner Eltern. Die Mutter entpuppt sich als arbeitswütige Kratzbürste, der Vater als ein Phlegmatiker, der nur drei Leidenschaften kennt: Sudoku, Tellersülze, Essiggurken. „Die Liebe ist eine Blume, die auf den steinigsten Feldern gedeiht“, seufzt Berger, als seine Eltern gemeinsam Aldi- Prospekte nach Sonderangeboten durchforsten. Seinen Lebensfrust betäubt der Held mit Mon Chéri.

    Florian Schröder nimmt Ulm aufs Korn in "Ein Guter hälts aus"

    „Berger Michael“, so heißt er im Dorf; Nachname immer zuerst. Außer man hat einen Spitznamen wie sein Kumpel „Bombe“, eine Figur im Bud-Spencer-Format, den sie die „Dampframme von Bärenbeuren“ nennen. Zum Zeitvertreib sprengt der Hobby-Pyromane immer mal wieder den Briefkasten der Zeugen Jehovas in die Luft. Das Dorf, das von solchen Figuren strotzt, trifft sich nun im Gasthof Ochsen zum Gelage mit Bowle. Frühvergreist und verhärmt wirken die Gestalten, aber in diesem zynischen Roman lassen sie doch ein trotziges, widerstandsfähiges Stück Seele aufblitzen.

    In den stärksten Momenten verbreiten Bergers Schimpftiraden eine gallige Aura wie Thomas Bernhards „Städtebeschimpfungen“. Das nahe Ulm sei das „das soziale Versuchslabor von Franz Kafkas Geist“ und Weltmeister im Knöllchenverteilen. Die Fehler der „hochgradig inkompetenten Stadtverwaltung“ quittierten Ulmer mit Schulterzucken, es sei eine „Stadt der leise blökenden Opferlämmer“, um die Nordkorea Deutschland beneide. Auch Einstein habe von seiner Geburtsstadt nicht viel gehalten. Und: „In Ulm hält man zum aktuellen Zeitgeist konsequent sieben bis zehn Jahre Abstand.“

    "Ein Guter hälts aus": Florian Schröders Romanheld kennt kein Pardon

    In fragwürdigen Passagen mutiert der Held dann zum Frust-Chauvinist. „Fleischberg“ – so beschreibt er beim Wiedersehen die Frau, die in seiner Jugend einst sein „erstes sexuelles Leuchtfeuer“ entfachte. Und das zählt fast zu Bergers netteren Frauenbeschreibungen. Als er über Ulms Kulturszene vom Leder zieht, kann die Szene froh sein, dass Schröder gründlich fiktionalisiert, um niemanden persönlich zu verletzen.

    Der Mann, der hier einen ungefilterten Einblick in sein Kopfkino gewährt, tritt sonst aber als leiser, blasser Typ auf. Ein Literatur-Kaliber wie Charles Bukowski möchte er sein – ist er aber nicht. Seine Freunde in Stuttgart sind Instagram-Hipster, Start-up-Genies, Möchtegerns. Sie lästern: „Die drei größten Plagen der Menschheit? Cholera, Lepra und von dr’ Alb ’ra“. Aber durch die Insta-Filter schimmert eine Wahrheit: In

    Kritik zum Buch: Florian Schröders zweiter Roman "Ein Guter hälts aus"

    Ein verzweifelter Künstler kehrt zurück in die Provinz – hat man schon einmal gehört und mindestens dreimal gelesen. Aber allein für den Lokalkolorit lohnt sich die Lektüre. Es ist ein Roman mit schmaler Handlung und dennoch viel Leben. Berger sieht sich selbst als „Langweiler und Spaßverweigerer“. Allerdings: Was verpasst man schon, wenn eh nichts passiert? Das Leben ist ein schönes Elend und „ein Guter hälts aus“.

    Alle Infos zum Autor und seinem Roman unter wokasoma.com.

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