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Ulm: Diese Bilder sollten Sie eigentlich gar nicht sehen

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Diese Bilder sollten Sie eigentlich gar nicht sehen

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    Idyll mit Statue im Hintergrund: Julia Leeb fotografierte unter anderen ein Hochzeits-Fotoshooting in der Stadt Kaesong.
    Idyll mit Statue im Hintergrund: Julia Leeb fotografierte unter anderen ein Hochzeits-Fotoshooting in der Stadt Kaesong. Foto: Julia Leeb

     An den Besuch im Krankenhaus erinnert sich die Fotografin Nathalie Daoust gut. Da war etwa die Mutter, die stolz ihr Neugeborenes den Besuchern aus dem Westen präsentierte. Doch das Kind war, das konnte man auch als Laie erkennen, schon mehrere Monate alt. Und natürlich kerngesund, wie alle Säuglinge in dem Land: Seit 50 Jahren, so erfuhren die Gäste, sei kein behindertes Kind zur Welt gekommen. Unmöglich? Nicht in Nordkorea, von wo manch märchenhafte Geschichte nach draußen dringt – aber kaum Bilder vom echten Alltagsleben. Das von Kim Jong-un geführte ostasiatische Land ist derzeit der wohl am schwersten zugängliche Staat der Welt.

    Im Stadthaus Ulm sind ab Sonntag unter dem Titel „Bilder aus Nordkorea“ Arbeiten von drei Fotografen zu sehen, die es trotzdem hineinschafften, vor Ort Aufnahmen machen und diese auch außer Landes bringen konnten. Neben der Kanadierin und Wahl-Berlinerin Daoust sind in der Ausstellung noch Julia Leeb und Reinhard Krause mit eigenen Bild-Zyklen vertreten. Diese erlauben einen differenzierten Blick auf das Land. Doch Stadthaus-Leiterin Karla Nieraad gibt zu bedenken: „Wir können nicht mit einer Ausstellung Nordkorea erklären, wir können nur Fragen stellen und an der Fassade kratzen.“

    Dies zu schaffen, ist für einen Fotografen bereits eine große Leistung. Denn egal, ob man als Journalist oder als einer der wenigen Touristen nach Nordkorea reist: Man wird auf Schritt und Tritt überwacht – missliebige Aufnahmen werden gelöscht. Zum Beispiel, wenn auf diesen die Armut der Menschen zu erkennen ist. Oder wenn von einer der Statuen des „Ewigen Präsidenten“ Kim Il-sung oder des „Ewigen Generalsekretärs“ Kim Jong-il Arme, Beine oder gar der Kopf abgeschnitten sind.

    Die inzwischen 39-jährige Nathalie Daoust, die Anfang der 2010er Jahre als Touristin das Land bereiste, fand eine besondere Methode, die Verbote zu umgehen. Statt einer modernen Digitalkamera benutzte sie eine einfache Analogkamera, versehen mit einem im Ärmel versteckten Kabelauslöser. Dokumentarisch sind ihre Aufnahmen jedoch nicht: Durch das Abtragen ganzer Schichten entfernt sie auch Informationen aus den Bildern, die dadurch nicht nur verwaschen und körnig, sondern auch geisterhaft wirken. Damit tilgt Daoust die Spuren der Propaganda aus den Motiven.

    Julia Leeb, die als Foto- und Videojournalistin viele Krisenländer der Welt bereiste, wählte einen anderen Ansatz. Ihre Fotografien, die auch in dem Bildband „North Korea – Anonymous Country“ veröffentlicht wurden, zeigen zwar meist die Motive, die vom Regime gerne präsentiert werden, lenken aber an vielen Stellen den Blick auf die Fehler im System: die Mädchen, die beim monumentalen Arirang-Festival nicht ganz synchron turnen, die Menschen, die mit einem kurzen Blick für einen Moment das kontrollierte Kollektiv verlassen. Dennoch muss man als Betrachter Leebs farbstrotzende Hochglanzbilder hinterfragen: Was ist Realität – und was ist nur Propaganda? Aber auch: Entsprechen unsere Klischees von Nordkorea der Wahrheit?

    Die überraschendsten Bilder gelangen dem 1959 geborenen Reinhard Krause, der von 2004 bis 2009 für die Agentur Reuters von Peking aus auch Nordkorea betreute, was ihm bei einigen offiziellen Anlässen Zugang zu der Diktatur ermöglichte. Doch das genügte Krause nicht: Er befuhr mit einem Boot auf eigene Faust den chinesisch-nordkoreanischen Grenzfluss Yalu – und fotografierte die Menschen am Ufer. Schmutzige, ärmliche Siedlungen und rauchende Schlote sind darauf zu sehen, staatlich verordnete Versammlungen, traurige Arbeiter, wütende Soldaten. Aber auch: spielende Kinder und freundlich winkende Menschen. Die Bewohner Nordkoreas mögen abgeschottet vom Rest der Welt sein. Aber ihre Würde kann ihnen das absurde Regime nicht nehmen. Die Ausstellung „Bilder aus Nordkorea“ ist auch ein Plädoyer dafür, diese Menschen ernst zu nehmen.

    Eröffnet wird die Ausstellung am Sonntag, 5. März, um 11 Uhr. Zum Start diskutieren die drei Fotografen über ihre Erfahrungen in Nordkorea. Die Ausstellung läuft danach bis 18. Juni. Der Eintritt ist frei.

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