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Ulm: Der ungesühnte Mord im Schatten des Münsters

Ulm

Der ungesühnte Mord im Schatten des Münsters

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    Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde auf dem Münsterplatz der Student Rafael Blumenstock ermordet. Das Entsetzen über die Bluttat mitten in der Stadt war damals groß.
    Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde auf dem Münsterplatz der Student Rafael Blumenstock ermordet. Das Entsetzen über die Bluttat mitten in der Stadt war damals groß. Foto: Horst Hörger (Archiv)

    In der Nacht zum 4. November 1990 hört eine Anwohnerin am Münsterplatz mehrere laute Schreie. Als sie aus dem Fenster schaut, sieht sie drei Männer, die in einen Sportwagen steigen und davon fahren. Am nächsten Morgen macht ein Mitarbeiter der Stadtreinigung eine schreckliche Entdeckung. Zwischen Blumenkübeln und einem geparkten Auto liegt die entstellte Leiche eines jungen Mannes. Es handelt sich um den 28-jährigen Musikstudenten Rafael Blumenstock.

    Der oder die Täter waren mit extremer Brutalität vorgegangen. Das Opfer wies am ganzen Körper 21 Stich- und Schnittverletzungen auf. Mehrere Stiche ins Herz waren tödlich. Der Mann war zudem geschlagen und getreten worden. Seine Nasenspitze war abgeschnitten. Erst am nächsten Tag kann Blumenstock identifiziert werden. Das Entsetzen über die Bluttat mitten in Ulms guter Stube ist in der Bevölkerung groß. War es ein Raubmord oder eine Beziehungstat? Die Polizei ruft die Soko „Münsterplatz“ mit 40 Beamten ins Leben und ermittelt in alle Richtungen. Während Bürger in einem Trauermarsch durch Ulm ziehen, werten Polizisten die ersten Spuren aus und befragen Freunde und Bekannte des Opfers.

    Rafael Blumenstock galt als freundlicher Sonderling, der sich mit Klavierunterricht sein Studium finanzierte, ein Einzelgänger, der aber auch Kontakte suchte und viel in der Stadt unterwegs war. Auch am Abend vor seinem Tod besuchte er mehrere Lokale. Unter anderem war er im „Aquarium“ in der Kohlgasse auf einem Konzert des amerikanischen Sängers Percy Sledge. Danach verliert sich seine Spur. Hat er in jener Nacht seine Mörder womöglich selbst angesprochen? War er das Zufallsopfer einer Gewaltorgie? Handelten die Täter aus Hass auf Homosexuelle? Die Polizei zieht viele Möglichkeiten in Betracht und befragt Hunderte Zeugen. Auch in der rechtsextremistischen Szene wird ermittelt – vergeblich. Ob die Männer, die die Zeugin auf dem Münsterplatz hat wegfahren sehen, etwas mit der Tat zu tun haben, bleibt ebenfalls unklar. Alle Spuren verlaufen im Sande. Auch ein Versuch, den Fall mithilfe der Sendung „Aktenzeichen XY“ zu klären, scheitert.

    Im Laufe der Zeit ergeben sich neue Ansätze. Zehn Jahre nach dem Mord geraten etwa mehrere Verdächtige, die 1990 noch Jugendliche waren, ins Visier der Fahnder. Doch auch diese Ermittlungen führen nicht zum Erfolg.

    Vielleicht bringen neue Möglichkeiten der Kriminaltechnik und ein genetischer Fingerabdruck die Polizei der Lösung des Falles näher? Bei der Spurensicherung vor 25 Jahren hatten Polizisten Schmutz unter einem Fingernagel des Opfers sichergestellt. Jahre später werden diese Spuren durch Beschluss des Amtsgerichts Ulm auf verwertbares DNA-Material hin untersucht. Tatsächlich ergibt die Untersuchung, dass die Erbgutspuren von einem anderen Menschen stammten – möglicherweise vom Täter. Daraufhin werden DNA-Merkmale von mehr als 100 möglichen Tatverdächtigen mit dem aufgefundenen Muster abgeglichen. Eine Blutprobe lässt das Bundeskriminalamt sogar in Spanien bei einem Mann nehmen. Auch hier kein Treffer.

    Die letzte heiße Spur liegt somit Jahre zurück. Doch Michael Bischofberger von der Staatsanwaltschaft Ulm versichert: „Die Akte ist nicht geschlossen, sondern jederzeit griffbereit.“ Die Zeugen aus dem engeren Umfeld des Opfers seien zwar alle längst befragt worden und somit abgearbeitet. Doch es gebe noch einige wenige Personen, die gesucht werden. „Man weiß nie“, sagt der Sprecher der Anklagebehörde. Kommissar Zufall könne ebenso Bewegung in den Fall bringen wie die Lebensbeichte eines Zeugen, der irgendwann einmal reinen Tisch machen möchte, weil er mit der Schuld nicht mehr leben kann. So wie im Fall einer jungen Italienerin, die 1987 in Karlsruhe getötet wurde – ihr Mörder stellte sich 28 Jahre nach der Tat der Polizei, weil er die Bilder von damals nicht mehr ertragen konnte. Auch der Abgleich neuer DNA-Spuren mit dem damals auf dem Münsterplatz gesicherten Material könne irgendwann zum Erfolg führen. Denn nach wie vor gilt der Grundsatz: Mord verjährt nie.

    Eine in den Boden eingelassene Marmortafel vor dem Haushaltswarengeschäft Abt erinnert noch heute an das Opfer. Auch wenn ein Riss durch die Platte verläuft und manche Buchstaben bereits verblasst sind, ist die Inschrift noch gut zu lesen: „Du lebst in unserer Klage. Im Herzen stirbst Du nicht“, steht dort. Und: „Rafael Blumenstock. Ermordet am 4.11.1990.“

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