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Ulm: Das sinnliche, pralle Leben mit Schokolade und drallen Frauen

Ulm

Das sinnliche, pralle Leben mit Schokolade und drallen Frauen

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    Letzte Hand an eines ihrer Werke legt die Künstlerin Sonja Alhäuser. Sie arbeitet vor allem mit Süßem und Kalorienhaltigem. Ihre Objekte sind zusammen mit Bildern von Paul Kleinschmidt im Museum Ulm zu sehen.
    Letzte Hand an eines ihrer Werke legt die Künstlerin Sonja Alhäuser. Sie arbeitet vor allem mit Süßem und Kalorienhaltigem. Ihre Objekte sind zusammen mit Bildern von Paul Kleinschmidt im Museum Ulm zu sehen. Foto: Alexander Kaya

    Dieser kleine Kalauer drängt sich diesmal geradezu auf: Es ist eine dufte neue Ausstellung. Durch die Räume für die moderne Kunstsammlung des Museums Ulm weht ein kräftiger Hauch von frischer Margarine, im Raum daneben dominiert warme Schokolade: Die Schau „Sonja Alhäuser zu Gast im Café Kleinschmidt“ spricht deutlich mehr Sinne an als herkömmliche Ausstellungen, die vor allem dem Auge etwas bieten. Anfassen und schmecken ist diesmal zumindest bei einigen Stücken nicht ausdrücklich verboten. Ohnehin geht es um sehr sinnliche Dinge bei dieser Doppelschau, die von Samstag an zu sehen ist.

    Paul Kleinschmidt beobachtet das sinnenfrohe Leben

    Der deutlich größere Teil der Ausstellung widmet sich einem Maler, dessen Leben eher tragisch verlaufen ist und der deshalb seine Sehnsüchte und seine Gelüste prall und plakativ auf die Leinwand gebracht hat. Und er hatte eine ausgesprochen enge Beziehung zur Region. Paul Kleinschmidt, 1883 in Pommern geboren, entwickelte seine Kunst vor allem in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts im sinnenfreudigen Berlin, als die Sitten locker waren und viele Menschen genossen, was zumindest ihnen das Leben bot.

    Bilder mit ausladenden Frauen

    Zu dieser Szene fühlte sich Kleinschmidt ganz stark hingezogen, wie Museumsdirektorin Stefanie Dathe erläutert, er selber habe jedoch zeitlebens Entbehrungen erdulden müssen. So malte und feierte er denn all das Verführerische – nicht zuletzt in üppigen, geradezu ausladenden Frauenfiguren. Immer mehr schieben sich später Torten, Baumkuchen, üppig gedeckte Tafeln ins Bild und verdrängen alles andere. Der hungrige Künstler, der stets am Existenzminimum lebte, bannte mit sattem, expressivem Strich die Verlockungen in immer neuen Varianten auf die Leinwand.

    Wie es Paul Kleinschmidt in Ay erging

    Der große Erfolg war ihm nicht beschieden, was auch an den Umständen der Zeit lag. Paul Kleinschmidt wurde von den Nazis als „entarteter Künstler“ geschmäht, ins Exil getrieben und beinahe ins KZ gesteckt. 1949 starb er arm und gesundheitlich ruiniert in Bensheim an der Bergstraße. Heute gehört Kleinschmidt zu den Vergessenen, viele seiner Werke sind verloren. Ein Teil davon verbrannte beim Bombenangriff auf Ulm 1944. An der Donau hatte er Förderer gefunden, die Käsefabrikanten Martin und Wilhelm Bilger unterstützten ihn lange Jahre und kauften auch etliche seiner Bilder. Kleinschmidt zog von Berlin nach Klingenstein, das heutzutage in Blaustein aufgegangen ist, er lebte in Ulm und in Ay, wo er sich wegen seiner Kunst in den 30er-Jahren immer stärkeren Repressionen ausgesetzt sah, bis er Deutschland verließ.

    Paul Kleinschmidt starb vor 70 Jahren

    Dass nun eine große Ausstellung mit 40 seiner Werke im Museum Ulm zu sehen ist, hat nach den Worten von Dagmar Dathe zum einen damit zu tun, dass in der Stadt die Paul Kleinschmidt Gesellschaft ihren Sitz hat und der Maler vor 70 Jahren gestorben ist.

    Während Kleinschmidts Sinneskunst nur dem Auge zugänglich ist, wählt die 1969 geborene Sonja Alhäuser einen anderen Ansatz. Kleinschmidts Bilder füllen die Wände, ihre Werke aber stehen mitten im Raum. Sie arbeitet mit Margarine und Zuckeraustauschstoff, die sich zu Skulpturen formen lassen, sie lässt flüssige Schokolade strömen und versenkt in einem brauen Bad ein Männchen, das sich immer wieder aus dem süßen See erhebt, sich beim Auftauchen durch die fließende braune Masse stets aufs Neue verändert, bis es wieder abtaucht in die Masse aus Zucker und Kakao. An einem sehr augenfälligen Objekt können die Besucher selber mit Hand anlegen: Es ist ein gewaltiger Kopf aus Margarine, der sich im Laufe der Schau immer wieder verändern dürfte.

    Genuss im Überfluss mit Sonja Alhäuser

    Sonja Alhäuser bietet ebenfalls Genuss im Überfluss, wenn sie süße Lebensmittel zu Kunstwerken formt. Es ist ein eigenes kleines Schlaraffenland, was nun für die Dauer der Ausstellung ihren Platz im Museum Ulm bekommen hat. Bei ihr könnte die Kunst sogar durch den Magen gehen, falls Besucher von den Objekten schlecken wollen. Ob sie das dürfen? Das lässt die Künstlerin ausdrücklich offen: „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“, sagt die Frau, die im Gegensatz zu ihren kalorienbombigen Objekten und Installationen klein, zierlich und drahtig ist. Hand anlegen dürfen diesmal vor allem junge Besucherinnen und Besucher bei den Kinderaktionen, die ebenfalls mit zur Schau gehören.

    Naschen im Museum ist irgendwie erlaubt

    Auch das Museumspersonal wurde in die Arbeiten eingespannt und formte aus dem Zuckeraustauschstoff Isomalt nach den Vorgaben von Sonja Alhäuser etwa kleine Garnelen und Krebse, die ein silbriger Neptun aus seinem Füllhorn kippt. Ein Teil davon dürfte wohl im Laufe der Ausstellung heimlich weggenascht werden.

    Info Die Ausstellung „Sonja Alhäuser zu Gast im Café Kleinschmidt ist noch bis zum 19. April im Museum Ulm zu sehen.

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