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Ulm: Brandanschlag auf Roma-Familie: "Wann hört dieser Hass auf?"

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Brandanschlag auf Roma-Familie: "Wann hört dieser Hass auf?"

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    Angeklagt sind fünf Männer wegen versuchten Mordes. Sie sollen im Mai 2019 einen Brandanschlag auf eine Roma-Familie auf einer Wiese in Erbach (Alb-Donau-Kreis) verübt haben.
    Angeklagt sind fünf Männer wegen versuchten Mordes. Sie sollen im Mai 2019 einen Brandanschlag auf eine Roma-Familie auf einer Wiese in Erbach (Alb-Donau-Kreis) verübt haben.

    Prozess um Brandanschlag: Bilder und Videos von der Gerichtsverhandlung finden Sie in diesem Artikel.

    Im großen Konzertsaal des Kornhauses hat am Montagmorgen ein öffentlicher Prozess der großen Jugendkammer des Landgerichts gegen fünf Heranwachsende aus Ulm und dem Alb-Donau-Kreis wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes in Tateinheit mit gemeinschaftlich versuchter schwerer Brandstiftung begonnen. Die Opfer, eine Mutter und ihr Baby, hatten den Anschlag offenbar nur mit Glück überlebt.

    Die Männer zwischen 17 und 19 Jahren sollen Mitte Mai am späten Abend auf einem Wiesengrundstück in Dellmensingen versucht haben, einen Wohnwagen, in dem eine junge Frau und ihr kleines Kind schliefen, mit einer Wachsgartenfackel aus dem fahrenden Auto in Brand zu setzen. Die lichterloh brennende Fackel verfehlte nur knapp ihr Ziel.

    Laut dem Oberstaatsanwalt aus Stuttgart in seiner am Montag früh verlesenen Anklageschrift hätten die Männer den Tod von ihnen völlig unbekannten Menschen billigend in Kauf genommen.

    Brandanschlag auf Wohnwagen: Der Schock sitzt noch heute tief

    Den Anschlag haben die beiden Personen, die der ethnischen Gruppe der Roma angehören, mit Glück überlebt. Der mehrköpfigen Roma-Familie, die mit ihren vier Wohnwagengespannen aus Frankreich kam und vom Grundstücksbesitzer die Erlaubnis hatte, auf der Wiese mehrere Wochen zu campieren, sitzt noch heute der Schock tief in den Knochen.

    Die Familie hat keine Erklärung, warum sie Opfer eines – laut Anklageschrift – versuchten Mordes sein sollte. Den Angeklagten sind sie heute noch ebenso fremd. Das gilt auch umgekehrt.

    Weil von Anfang an politische Hintergründe für die Tat vermutet wurden, hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Fall übernommen. In der Tat bestätigen dies die Ermittlungen der Anklagebehörde schnell.

    Die Angeklagten haben sich beim Fußball kennengelernt

    Die jungen Leute lernten sich in einem Ulmer Fußballverein kennen und tauschten schnell rechtsradikale Denkweisen aus. Das bestätigte sich auch vor Gericht bei den Aussagen des jüngsten Angeklagten auf intensive Befragung der Richter. Wie er zur Naziherrschaft von 1933 bis 1945 stehe, wurde der 17-Jährige von einem der drei

    Weil es offenbar in der rechten Fußballszene hierzulande gewaltbereite Personen gibt, hat die Justiz entsprechende Vorsorge getroffen. Mehr als ein Dutzend Justizbedienstete untersuchten die Besucher akribisch und wiesen im Kornhaussaal die Sitzplätze zu, die wegen der gültigen Abstandsregel auch im Großen Saal auf 25 begrenzt wurden (plus zwölf Sitze für Medienvertreter).

    Der Prozess mit geplanten 20 Sitzungstagen bis zum 30. September wird auch aufmerksam von Mitgliedern des baden-württembergischen Landesverbandes der Sinti und Roma verfolgt, die sich im Vorfeld äußerten.

    War Fan-Plakat im Stadion eine Solidaritätsbekundung an die Angeklagten?

    Vor Prozessbeginn hatte ein anonymes „Recherchekollektiv Rechte Umtriebe Ulm“ dazu eine Broschüre veröffentlicht.

    Die Nähe zu einem Teil der Ulmer Hooligan-Szene habe sich durch eine Aktion einer rechtsextremen Gruppierung beim Pokalspiel des SSV Ulm 1846 gegen den 1. FC Heidenheim am 10. August vergangenen Jahres gezeigt. Während des Spiels zeigten Menschen in der SSV-Fankurve ein Banner mit der Aufschrift „Eingesperrt immer bei uns, stark bleiben Jungs! DC08“ im Donaustadion, wie ein Bild in der Veröffentlichung belegt. Angeblich soll es sich dabei um eine Solidaritätsbekundung halten.

    Wie die Autoren betonen, können nicht pauschal tausende Fans des SSV Ulm 1846 unter Generalverdacht gestellt werden. Es gibt viele Distanzierungen innerhalb der Fanszene. Drei namentlich genannte Gruppierungen seien rechtsextrem und würden immer wieder negativ auffallen.

    Der Aufruf der Autoren, die aus Angst vor Racheakten anonym bleiben wollen: „Es ist anstrengend und herausfordernd und vermutlich nicht ungefährlich, diese Zustände anzugehen und zu bekämpfen. Doch gerade in diesen Zeiten ist es bitter notwendig, insbesondere aus der Fanszene.“

    Prozessbeginn in Ulm: Verband der Sinti und Roma gibt Pressekonferenz

    Vor dem Prozessbeginn am Montag um 8.30 Uhr gaben Mitglieder des Verbandes Deutscher Sinti und Roma eine kurze Pressekonferenz unter freiem Himmel zwischen der Ulmer Volkshochschule und dem Kornhaus.

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    Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg, sagte, der zunehmende Antiziganismus auch hierzulande mache ihm große Sorgen „Wir begleiten den Prozess in Ulm wissenschaftlich“.

    Heval Demirdögen vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Baden-Württemberg: „Wir müssen die Öffentlichkeit sensibilisieren“.

    Die Hasskriminalität in Baden Württemberg sei 2019 um 19 Prozent gestiegen. Die Vorsitzende der Israelischen Religionsgemeinschaft Baden-Württemberg, Susanne Jakubowski, gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das Gericht zu einem „angemessenen Urteil“ kommen werde: „Die fünf Täter sollte man mit der vollen Härte des Gesetzes konfrontieren.“

    Und sie stellte die Frage: „Wann hört dieser Hass auf – wann diese Gleichgültigkeit?“ (mit heo)

    Wir haben im Vorfeld des Prozesses über den Fall berichtet. Mehr dazu lesen Sie hier:

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