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Ulm: Besondere Funde in Ulm: Tausend Tote aus drei Jahrhunderten

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Besondere Funde in Ulm: Tausend Tote aus drei Jahrhunderten

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    In vier bis sechs Schichten fanden die Archäologen am Dreifaltigkeitshof in Ulm bislang Bestattungen. Von etwa tausend an dieser Stelle begrabenen Menschen geht Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege aus.
    In vier bis sechs Schichten fanden die Archäologen am Dreifaltigkeitshof in Ulm bislang Bestattungen. Von etwa tausend an dieser Stelle begrabenen Menschen geht Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege aus. Foto: Dagmar Hub

    Skelette, wohin man blickt. Nicht einfach nur Knochen, sondern komplette

    Jonathan Scheschkewitz zeigt Bilder der „dürftigen Stube“.
    Jonathan Scheschkewitz zeigt Bilder der „dürftigen Stube“. Foto: Dagmar Hub

    Es ist vor allem die Geschichte einer Kontinuität der Fürsorge über Jahrhunderte an dieser Stelle, die die Grabung belegt. Die Archäologen sind noch bis September auf dem Gelände tätig, danach wird es längere Zeit dauern, bis Fragen nach der Sozialstruktur, den Berufen, Verwandtschaftsverhältnissen und Lebensaltern der Ulmer Gesellschaft beantwortet werden können, die auf dem Gelände des Heilig-Geist-Spitals lebte.

    Ulm: Grabungen auf dem Gelände des Heilig-Geist-Spitals

    Die schiere Größe und Dichte der beiden Friedhofsareale, die die Grabungen zutage brachten, überraschte Jonathan Scheschkewitz vom Landesamt für Denkmalpflege. Es war zu erwarten gewesen, dass man auf Gräber stoßen würde, doch fanden die Archäologen bislang Bestattungen in vier bis sechs Schichten. Von etwa tausend Menschen geht Scheschkewitz aus, die hier bestattet wurden. Sargnägel belegen eine Bestattung in Holzsärgen, doch die Mehrzahl der Toten dürfte schlicht in Tücher gewickelt in die Erde gelegt worden sein. Auch die Skelette von zwei Frauen wurden freigelegt, die während Geburten gestorben waren und die mit dem Ungeborenen im Bauch begraben wurden. Die toten Babys legte erst die Verwesung der Körper frei. Bestattungen innerhalb der Stadt wurden vom Rat im Jahr 1526 verboten, sodass die letzten der auf dem Areal Bestatteten im frühen 16. Jahrhundert gestorben sein müssen.

    Die Spitaltätigkeit entstand mit den Kreuzzügen, erklärt Jonathan Scheschkewitz. Durch einen Schutzbrief Konrads IV., des letzten deutschen Stauferkönigs, ist das von Bürgern (nach dem Ende der Spitaltätigkeit der Augustiner-Chorherren in Ulm) gegründete Heilig-Geist-Spital ab 1240 belegt. Es ist damit eines der frühesten solchen Spitäler in Süddeutschland. Anfangs außerhalb der Stadt gelegen und mit der Stadterweiterung von 1314 dann innerhalb der befestigten Stadt, war es eine zweigeteilte Anlage mit Wirtschaftsgebäuden, mit Metzger, Schmied und Bäcker, mit Produktionsstätten und Wohnungen für die Bedürftigen und Kranken, die hier aufgenommen wurden.

    Bevor der Dreifaltigkeitshof in Ulm erweitert wird, gibt es historische Untersuchungen

    Draußen bleiben mussten zum Schutz der Bewohner an ansteckenden Krankheiten Erkrankte. In der Mitte der Anlage stand eine 1319 erbaute Kirche, von der wohl nichts mehr zu finden ist, weil ihre Überreste beim Bau der Neuen Straße zerstört wurden. Der Standort einer noch älteren Kapelle konnte bestimmt werden, doch wird an ihrem Ort nicht genauer gegraben.

    Anfangs war der von Mauern umgebene Ort der Fürsorge eher klösterlich strukturiert, ab dem 15. Jahrhundert wurde er städtisch. 1473 wurde die „dürftige Stube“ errichtet, eine prächtige, spätgotische Gewölbehalle, die 1924 in einen städtischen Kammermusiksaal umgebaut und unter den Bombardierungen vom Dezember 1944 schwer beschädigt und in der Zeit des Wiederaufbaus in den 50er-Jahren abgerissen wurde – wie fast alle Gebäude des Heilig-Geist-Spitals.

    Archäologie: Auch Fachleute staunen über Funde in Ulm

    Ein Teil der Stadtbefestigung von 1314 wurde freigelegt, dazu eine Kalksteinmauer, die zur Vorbebauung der „dürftigen Stube“ gehört, und Unterzüge von Holzfußböden von Fachwerkhäusern, die auf dem Gelände standen. Erstaunliche Funde kamen zutage – obwohl den Toten nach christlichem Verständnis keine Grabbeigaben mitgegeben worden waren. Einzige Ausnahme: In einem Grab lag eine Zange.

    Bemalte Keramikscherben, die zufällig im Friedhofsareal liegen, weil dort auch gelebt und gearbeitet wurde, machen eine zeitliche Einordnung möglich. Spannend sind ungewöhnliche Funde: Knochen mit Ausstanzungen und halb fertige Produkte belegen die Produktion von Rosenkranzperlen aus Knochen. Fliesen aus dem Bodenbelag der „dürftigen Stube“ sind besonders interessant, stammen sie doch nicht aus deren Bauzeit, sondern aus dem frühen 14. Jahrhundert. Die unglasierten Fliesen wurden wohl, da unbeschädigt und mit Motiven wie Ritter und Engel, Löwe mit Wappen oder Fabeltieren versehen, beim Bau des Gewölbes im 15. Jahrhundert wiederverwertet.

    „Jede Menge Arbeit“ liege noch vor den Archäologen und den Anthropologen in Rastatt, die sich später mit den Skeletten beschäftigen werden, so Scheschkewitz. Unbeantwortet blieb bislang die Frage: „Was war hier vorher?“

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