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Ulm: Altes Ulm: So sahen die Sedelhöfe vor 150 Jahren aus

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Altes Ulm: So sahen die Sedelhöfe vor 150 Jahren aus

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    Noch mit viel Fachwerk und einem Ulmer Münster ohne Spitze: Blick in die Sedelhofgasse um 1865.
    Noch mit viel Fachwerk und einem Ulmer Münster ohne Spitze: Blick in die Sedelhofgasse um 1865. Foto: Manhalter

    Darf ich Ihnen Ulrich vorstellen? Während der Sommerferien möchte Sie der Eisenwarenhändler durch das alte Ulm der Vorkriegszeit begleiten. Dabei dürfen wir davon ausgehen, dass Ulrich ein stolzes Alter erreichen wird: Seine ersten Eindrücke stammen aus den 1860-Jahren, während er als Greis eine letzte Runde durch sein noch unzerstörtes Ulm drehen wird. Zur besseren Orientierung sind den alten Bildern, welche aus dem Buch „Das Ulmer Stadtbild“ von Hellmut Pflüger (Weißenhorn, 1964, 1982) reproduziert sind, aktuelle Aufnahmen aus derselben Perspektive beigeordnet.

    Ist das wirklich die altehrwürdige Reichstadt, in der ich da angekommen bin, fragte sich Ulrich sichtlich irritiert. Der junge Kaufmann sollte den Eisenwarenhandel seines Onkels übernehmen, welchen dieser aus Altersgründen nicht mehr auszuüben vermochte. Dazu war Ulrich mit der seit einigen Jahren die Städte Stuttgart und Ulm verbindenden Eisenbahn angereist.

    Sedelhofgasse in Ulm: In eine Kleinstadt versetzt

    Viel hatte er zuvor schon in der württembergischen Residenzstadt am Neckar von Ulm gehört, allein, was er nun zu sehen bekam, widersprach so ganz seinen Vorstellungen. Ja, der Platz vor dem Bahnhof war schon imposant anzusehen, aber kaum dass Ulrich die große Fläche hinter sich gelassen hatte und in eine Straße einbog, die Sedelhofgasse hieß, glaubte er sich in eine Kleinstadt versetzt.

    Bauern- und Handwerkerhäuser begrenzten den schmalen Weg, viele Anwesen verfügten über Gärten mit Gemüsebeeten und so manchem Geflügel. Eigentlich idyllisch, ertappte sich Ulrich, nach einiger Zeit festzustellen, vor allem, wenn man sich die omnipräsente Hektik Stuttgarts vergegenwärtige.

    Sedelhofgasse 2020.
    Sedelhofgasse 2020. Foto: Manhalter

    Vor nicht allzu langer Zeit hieß die Gasse noch Bei der Schwestermühl, benannt nach einer der benachbarten zahlreichen Mühlen an dem kleinen Flüsschen Blau. So hatte es ihm der Onkel erzählt und sei voller Stolz fortgefahren zu erläutern: In wenigen Jahren werde die Stadtmauer an einigen Stellen durchbrochen, sodass die verdichtete Bebauung expandieren könnte. Auch ein repräsentativerer Zugang zur Stadt solle dann mit der Bahnhofstraße geschaffen werden. Von Verdichtung ist ja hier nicht viel zu spüren, bemerkte Ulrich, als er an die Worte des Onkels dachte. Dann fiel ihm doch noch ein höherer Giebel an der linken Straßenseite auf.

    Die Sedelhöfe in Ulm: Wofür steht der Begriff Sedelhof?

    Eine Nachfrage bei einem Passanten ergab, dass es sich hier um den namengebenden Sedelhof handle. Nun musste Ulrich ganz tief in seiner humanistischen Bildung kramen, um den Begriff richtig einzuordnen. Ein Sedelhof ist doch ein Verwaltungshof einer geistlichen oder weltlichen Herrschaft. Besagter Passant muss das nachdenkliche Gesicht Ulrichs bemerkt haben, als er anfügte, der Hof mitsamt dem gegenüberliegenden Fachwerkstadel gehöre zum nahen Deutschordenshaus. Jetzt konnte sich Ulrich auch wieder erinnern. Sein Onkel hatte ihm hiervon berichtet.

    Die Niederlassung des Deutschen Ordens befand sich in einem Gebäude mit einer wunderschönen Barockfassade, gegenüber einem Arm der Blau gelegen. Im Volksmund heiße das ehemalige Kloster kurz Deutschhaus. Den Blick nach vorne gerichtet, erspäht unser junger Kaufmann einen spitzen Helm auf einem Kirchturm.

    Ist das nicht das Wengenkloster? Berühmt seien dessen Rokokoausstattung und die Malereien eines gewissen Franz Martin Kuen. Allerdings, und das beunruhigte Ulrich dann doch ein wenig, habe die heutige moderne Zeit für die Kunst des Barock und Rokoko nicht allzu viel übrig. Zu schwülstig und überladen seien all die Putten und Altäre. Nun ja, vielleicht käme irgendwann wieder eine Epoche, in welcher man diese Handwerkskunst zu schätzen wisse, räsoniert Ulrich. Aber was versteckt sich hinter der Kirche St. Michael zu den Wengen?

    Schade, dass das Ulmer Münster nicht die engen Gässen überragt

    Unser junger Kaufmann wechselt die Straßenseite, um etwas mehr erspähen zu können. Tatsächlich, das provisorische Dach in der Ferne scheint tatsächlich zum berühmten Münster zu gehören. Schade, dass das gotische Maßwerk mit all seinen Bögen und Streben nicht die engen Gassen überragt. Gedrungen versteckt sich der einzige Turm hinter den Giebelreihen. Unvermittelt fällt Ulrich das Urteil von Eduard Mörike ein: Der schwäbische Lyriker und evangelische Pfarrer sprach in Anbetracht des riesigen Gotteshauses mit dem wenig proportionalen Turm vom „tyrannischen Torso“ und „schauerlichen Block“.

    In dessen Nachbarschaft befindet sich das Geschäft des Onkels. Ulrich wird also noch ausreichend Gelegenheit haben, das Münster zu erkunden. Der Ruf der Kunstwerke im Inneren ist nämlich schon lange bis Stuttgart und weit darüber hinaus gehört worden.

    Doch zunächst heißt es, den schnellsten Weg zum Onkel einzuschlagen und sich mit den Besonderheiten im Eisenwarenhandel bekannt zu machen. Das Münster läuft ja nicht davon.

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