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Ulm: 75 Jahre nach der Bombennacht: Als der Tod nach Ulm kam

Ulm

75 Jahre nach der Bombennacht: Als der Tod nach Ulm kam

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    Das Münster stand noch, doch sonst ließen die britischen Bomber nicht viel übrig von der Ulmer Innenstadt. Dieses Bild entstand nicht lange nach der Nacht vom 17. Dezember 1944 – damals der dritte Adventssonntag.
    Das Münster stand noch, doch sonst ließen die britischen Bomber nicht viel übrig von der Ulmer Innenstadt. Dieses Bild entstand nicht lange nach der Nacht vom 17. Dezember 1944 – damals der dritte Adventssonntag. Foto: Stadtarchiv Ulm

    Am Dienstag jährt sich die Bombardierung Ulms zum 75. Mal. Zu einer Gedenkveranstaltung im Stadthaus, die ein Aufruf zum Frieden in Europa und der Welt war, kamen am Sonntag viele Besucher – auch Menschen, die sich noch bewusst an den 17. Dezember 1944 erinnern können, an jenen Abend des dritten Adventssonntages, als zwischen 19.23 Uhr und 19.50 Uhr 330 britische Bomber die Stadt zerstörten und 707 Menschen ums Leben kamen. Der Autor Rudi Kübler stellte sein neues Buch vor, das zum Jahrestag in der „Kleinen Reihe“ des Ulmer Stadtarchivs erschien. Er sammelte für dieses Buch über Jahre Erinnerungen von und an Menschen, die hinter den nüchternen Zahlen nicht sichtbar sind.

    In einem Luftschutzbunker in Ulm erstickten 190 Menschen

    „17. Dezember 1944. Die Zerstörung Ulms“ geht auf Menschen ein, die starben – wie das Ehepaar Josef und Ida Beer, das den Luftschutzkeller nicht mehr erreichen konnte. Beide legten sich auf die Straße, als die Bomben fielen. An jener Stelle, wo sie sich auf den Boden warfen, soll eine Bombe direkt eingeschlagen haben. Von Josef und Ida Beer blieb nichts, nicht einmal eine Armbanduhr, die eine Identifikation möglich gemacht hätte. An Rauchvergiftung starben am jenem Abend 190 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – die im Luftschutzkeller in der Stuttgarter Straße Zuflucht gesucht hatten. Darunter waren auch ein zwei Monate altes Baby, Harald Bückle, seine Mutter Maria und seine fünfjährige Schwester.

    Die während des Bombardements zerstörte Ulmer Dreifaltigkeitskirche war an jenem Adventssonntagnachmittag nicht nur Ort einer Kinder-Weihnachtsfeier gewesen; in ihr hatte vorher auch die Taufe des drei Wochen alten Karl Gross stattgefunden. Seine Familie feierte am Abend gerade noch ein bisschen in der Wohnung in der Schülinstraße, als der Alarm losging. Die Familie eilte in den Luftschutzkeller an der Stuttgarter Straße. Vater und Mutter erstickten zusammen mit den beiden älteren Söhnen Rudolf und Georg. Nur der Täufling Karl überlebte, im Korb, in den man das Baby gelegt hatte, zugedeckt mit dem Brautschleier seiner Mutter. Ein Feuerwehrmann trug den Korb aus dem Bunker, ohne zu ahnen, dass darin ein lebendes Baby lag. Karl Gross besitzt noch heute den Wäschekorb, der die Initialen seiner Mutter trägt.

    Autor Rudi Kübler recherchierte bewegende Geschichten von Toten und Überlebenden

    Kübler recherchierte auch die Geschichte von Dieter Wörner, der an jenem 17. Dezember 1944 geboren wurde. Das Klinikpersonal räumte das Krankenhaus. Patienten, Ärzte und Schwestern gingen in den Luftschutzkeller. Das Neugeborene wurde vergessen – und überlebte auf der Station. Seine Großmutter aber ist eine der Toten aus dem Luftschutzkeller an der Stuttgarter Straße. Seinen Geburtstag habe Dieter Wörner nie gefeiert, berichtet das Buch.

    Ein Kapitel des Buches erzählt von Skelettfunden, die Jahre später gemacht wurden, von Toten, die dann noch anhand von Kleidungsstücken und Besitztümern identifiziert werden konnten. Leid und Trauer, kleine Wunder, Zivilcourage und Parteipropaganda – der jüngste Band des Hauses der Stadtgeschichte zeichnet sich durch die Perspektive aus. Sie ist auf die Menschen gerichtet, auf Opfer und Täter. Auf Menschen, die ums Leben kamen, und auf solche, die die überlebten.

    Im Rahmen der Gedenkveranstaltung referierte Historiker Dietmar Süß von der Universität Augsburg differenziert über unterschiedliche Deutungsmuster des Luftkrieges in europäischen Ländern und Regionen und zu verschiedenen Zeiten. Die Mythologisierung der Solidargemeinschaft beispielsweise sei im NS-Deutschland ebenso nachweisbar wie in Großbritannien. Hitlers Angriffskrieg führte zu einer Spirale der Gewalt, in deren Verlauf die Grenze zwischen militärischen und zivilen Zielen vollständig aufgehoben wurde, so Süß. Der schwierige Balanceakt des Gedenkens bewege sich zwischen der Trauer über den Todestag geliebter Angehöriger und dem Akt der Befreiung, doch gebe es heute eine zunehmend große Gruppe, für die er keinerlei Bedeutung mehr habe.

    Im Foyer des Stadthaussaales ist bis 31. Dezember eine zu einem Film zusammengefasste Präsentation von Bildern des zerstörten Ulm und anderer durch Bombenangriffe zerstörter Städte wie Dresden, London, Warschau, Rotterdam und Köln zu sehen.

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