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Türkei: Neu-Ulmerin Mesale Tolu ist frei - Familie und Freunde sind erleichtert

Türkei

Neu-Ulmerin Mesale Tolu ist frei - Familie und Freunde sind erleichtert

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    Erleichterung: Mesale Tolu nach der Freilassung mit ihrem Vater.
    Erleichterung: Mesale Tolu nach der Freilassung mit ihrem Vater. Foto: Yasin Akgul, afp

    Erleichterung, Jubel, Freudentränen – und die Forderung nach einem endgültigen Ende des Prozesses: Die Nachricht, dass die Neu-Ulmer Übersetzerin und Journalistin aus türkischer Haft freikommt, sorgte am Montag bei der Familie der 33-Jährigen, bei ihren Freunden und Unterstützern in Ulm für starke Emotionen – auch wenn es danach ein Verwirrspiel um ihren Aufenthaltsort gab.

    Mesale Tolus Bruder: "Hauptsache ist, die Familie ist zusammen"

    Als die Entscheidung bekannt wurde, reckte ihr Vater Ali Riza Tolu vor dem Saal des Istanbuler Gerichts die Faust in die Luft. Er sagt: „Ich bin der glücklichste Mensch der Welt.“ Gegen die Ausreisesperre seiner Tochter werde man zwar juristisch vorgehen, kündigt Tolu an. Andererseits wolle seine Tochter ohnehin in Istanbul bleiben – und dort weiterhin als Journalistin arbeiten. Die Familie ist überglücklich: „Ich bin dankbar, dass meine jüngere Schwester freigekommen ist“, sagt Mesale Tolus Bruder Hüseyin. Damit sei die Hoffnung auf einen Freispruch gestiegen. In den nächsten Tagen werde die Familie den Fortgang des Verfahrens mit den Anwälten besprechen. „Hauptsache ist, die Familie ist zusammen. Das ist das Wichtigste“, sagte ihr Bruder.

    Die deutsche Journalistin Mesale Tolu nach ihrer Entlassung in Istanbul.
    Die deutsche Journalistin Mesale Tolu nach ihrer Entlassung in Istanbul. Foto: Lefteris Pitarakis, dpa

    Baki Selcuk, Sprecher des Unterstützerkreises, bedauert, dass es am Montag zu keinem Freispruch kam. „Unsere Arbeit ist nicht beendet.“ Dennoch sei er „erleichtert“. Und Cengiz Dogan, Sprecher des Ulmer Freundeskreises, kommentiert: „Uns allen hier in Ulm fällt ein Stein vom Herzen. Hilfreich war sicher, dass mit der Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel, dem Journalisten Günter Wallraff und dem deutschen Botschafter Martin Erdmann Prominente im Gerichtssaal waren. Und die Bundesregierung hat sicher diskret mitgeholfen.“

    Neben dem direkten Freundeskreis hatten sich in den vergangenen Monaten vor allem ehemalige Lehrer Tolus am Anna-Essinger-Gymnasium eingesetzt. Angelika Lanninger findet kurz nach dem Gerichtsentscheid nur schwer Worte. „Ich bin noch am Weinen vor lauter Freude“, sagt sie. Die Lehrerin hatte eine Online-Petition gestartet, durch die der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) aufgefordert werden sollte, sich für Tolus Freilassung einzusetzen. Bis zum Wochenende hatten sie mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet.

    Um diese Fälle ringen Deutschland und die Türkei 2017

    14. Februar: Der Welt-Korrespondent Deniz Yücel stellt sich der Polizei in Istanbul, nachdem er über die Presse von einem Haftbefehl gegen sich erfahren hatte.

    28. Februar: Ein Gericht nimmt Yücel wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Entscheidung "bitter und enttäuschend".

    3. März: Erdogan bezeichnet Yücel als "deutschen Agenten" und Repräsentanten der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Berlin nennt die Vorwürfe "abwegig".

    22. März: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ruft Erdogan zur Freilassung Yücels auf und fordert ein Ende seiner Nazi-Vorwürfe an die Bundesregierung.

    4. April: Nach wochenlangem Drängen kann der deutsche Generalkonsul Georg Birgelen erstmals Yücel im Istanbuler Gefängnis Silivri besuchen.

    12. April: Yücel, der seit Monaten in Einzelhaft sitzt, heiratet im Gefängnis seine langjährige Freundin Dilek Mayatürk. Als Ehefrau kann sie ihn in Haft besuchen.

    30. April: Die Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu wird in ihrer Istanbuler Wohnung im Zuge einer Razzia festgenommen. Ihr Mann wurde bereits zuvor inhaftiert.

    2. Juni: Tolu, die mit ihrem zweijährigen Sohn im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy einsitzt, erhält erstmals Besuch vom deutschen Konsulat.

     5. Juli: Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner wird bei einem Workshop türkischer Menschenrechtsorganisationen mit neun weiteren Aktivisten festgenommen.

    20. Juli: Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigt eine "Neuausrichtung" der deutschen Türkei-Politik an. Das Auswärtige Amt verschärft die Reisehinweise.

    6. August: Die Staatsanwaltschaft fordert 15 Jahre Haft für Tolu wegen "Terrorpropaganda" und "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation". Gemeint ist die linksextreme MLKP.

    17. August: Gabriel sagt, Yücel sei nur weiter in der Türkei in Gefangenschaft, weil Erdogan ihn als "Geisel" halte.

    1. September: Nach der Festnahme von zwei weiteren Deutschen in Antalya spricht sich Merkel dafür aus, die Gespräche über die Ausweitung der EU-Zollunion mit der Türkei auszusetzen.

    3. September: Im TV-Duell mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz kündigt Merkel an, sich für den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei einzusetzen.

    8. Oktober: Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu 15 Jahre Haft für Steudtner und die anderen angeklagten Menschenrechtler. Gabriel nennt die Haftforderung "unverständlich".

    11. Oktober: Tolu kommt in Istanbul mit 17 anderen Angeklagten vor Gericht. Der Richter entscheidet, die deutsche Journalistin in Haft zu behalten.

    20. Oktober: Auf dem EU-Gipfel beschließen die EU-Staaten wegen der Politik Ankaras, die Auszahlung der Vorbeitrittshilfen für die Türkei zu reduzieren.

    25. Oktober: In Istanbul beginnt der Prozess gegen Steudtner und zehn weitere Menschenrechtler. Alle Angeklagten werden überraschend freigelassen.

    26. Oktober: Der Spiegel berichtet, Ex-Kanzler Schröder habe sich bei Erdogan für Steudtner und die anderen Inhaftierten eingesetzt. Steudtner kehrt nach Berlin zurück.

    3. November: Die Bundesregierung gibt die Entlassung eines deutschen Bürgers aus türkischer Untersuchungshaft bekannt. Einen Namen nennt sie nicht.

    30. November: Kanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan telefonieren und beraten über Wege zur Verbesserung der Beziehungen.

    3. Dezember: Die türkischen Behörden lockern die Haftbedingungen für Yücel. Er sitzt nach Angaben der Welt nicht mehr in Untersuchungshaft.

    18. Dezember: Die Staatsanwaltschaft beantragt die Freilassung der deutschen Journalistin Tolu. Sie darf das Land nicht verlassen, der Prozess gegen sie soll im April 2018 fortgesetzt werden. (afp)

    Die Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker, allen voran der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch und der Landtagsabgeordnete Jürgen Filius (Grüne, Ulm) wie auch die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz (Grüne, Neu-Ulm), fordern derweil den Freispruch und die Aufhebung aller Auflagen. „So froh wir über die Freilassung von Mesale Tolu sind: Wir hätten uns gewünscht, dass das Gericht die junge Frau ohne weitere Auflagen aus der Haft entlassen hätte, zumal auch die Staatsanwaltschaft die Freilassung der deutschen Journalistin beantragt hat“, sagt Czisch. Neu-Ulms Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU) erklärt, die Freilassung aus der U-Haft bedeute vor allem für Tolus Familie eine immense Erleichterung. Dennoch bleibe die Freude nicht ungetrübt, da Tolu nicht ausreisen dürfe. lmö

    Lesen Sie dazu auch: Tolus Freilassung ist mehr als nur ein Weihnachtsgeschenk Ankaras

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