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Türkei/Neu-Ulm: Heute beginnt der Prozess: Mesale Tolu drohen bis zu 20 Jahre Haft

Türkei/Neu-Ulm

Heute beginnt der Prozess: Mesale Tolu drohen bis zu 20 Jahre Haft

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    Mesale Tolu und ihr jetzt knapp drei Jahre alter Sohn Serkan.
    Mesale Tolu und ihr jetzt knapp drei Jahre alter Sohn Serkan. Foto: Sammlung Tolu

    Als Ali Riza Tolu seine Autowerkstatt in Ulm aufgab, hatte er sich seinen Ruhestand anders vorgestellt: Seit Monaten verbringt der 58-Jährige einen großen Teil seiner Zeit mit Gefängnisbesuchen. Immer montags ist er im Frauenknast im Istanbuler Stadtteil Bakirköy, wo seine Tochter Mesale Prozess gegen seine deutsche Tochter beginnt – für ihn eine "politische Geisel".

    In der Krise um die Inhaftierung von Deutschen in der Türkei werden drei Namen immer wieder genannt: der der Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu, der des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel und der des Menschenrechtlers Peter Steudtner. Als Erste wird Mesale Tolu vor Gericht gestellt. Anwältin Kader Tonc sagt, ihre Mandantin gehöre zu 18 Angeklagten, denen der Prozess wegen Propaganda und Mitgliedschaft in der linksextremen MLKP gemacht werde. Mesale Tolu, die ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, drohten bis zu 20 Jahre Haft.

    Mesale Tolu arbeitete für Nachrichtenagentur Etha

    Die in Teilen vorliegende Anklage wirkt dafür allerdings dünn: Der vor 33 Jahren in Ulm geborenen Frau wird darin vorgeworfen, an vier Veranstaltungen teilgenommen zu haben, bei denen Propaganda für die MLKP betrieben worden sei. Die Partei wird in der Türkei als Terrororganisation geführt, ihre Anhänger in Deutschland werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Tolu arbeitete für die kleine linke Nachrichtenagentur Etha. Deren Nachrichtenchefin Derya Okatan sagt, die Agentur sei sozialistisch, aber unabhängig. Mesale Tolu sei zwischen ihrem Wohnort in Neu-Ulm und Istanbul gependelt. Wenn sie in der Agentur gewesen sei, habe sie Nachrichten übersetzt und geschrieben.

    Die deutsche Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu sitzt weiter in Haft. Jetzt beginnt der Prozess gegen sie.
    Die deutsche Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu sitzt weiter in Haft. Jetzt beginnt der Prozess gegen sie. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Als eine Anti-Terror-Einheit am 30. April Tolus Wohnung stürmte, waren die Deutsche und ihr Sohn gerade in Istanbul. Ihr Ehemann – aktiv in der sozialistischen Partei ESP und der pro-kurdischen HDP – saß da bereits in Untersuchungshaft. Ali Riza Tolu sagt, um 4.30 Uhr morgens seien 20 maskierte und schwer bewaffnete Polizisten in die Wohnung seiner Tochter eingedrungen. Sie sei auf dem Boden liegend mit Handschellen am Rücken gefesselt worden, Serkan habe zu weinen begonnen. Ein Polizist habe dem Zweijährigen gesagt: "Wir haben deinen Vater festgenommen, jetzt nehmen wir deine Mutter fest. Und wenn du weinst, dann nehmen wir dich auch fest."

    Mesale Tolu im Zellentrakt mit anderen "politischen Gefangenen"

    Ali Riza Tolu kam daraufhin nach Istanbul, zunächst kümmerte er sich um seinen Enkelsohn. Als es dem Jungen aber immer schlechter gegangen sei, habe die Familie beschlossen, ihn zur Mutter ins Gefängnis zu bringen.

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    Seine Tochter sitze in einem Zellentrakt mit anderen "politischen Gefangenen", sagt Ali Riza Tolu. Alle 17 Frauen kümmerten sich um den kleinen Jungen. Serkan schlafe in der Zelle der Mutter in seinem eigenen Bett. Ob das Kind auch Spielzeug habe? "Nur einen Fußball", sagt der Großvater. Zweimal habe er seinen Enkel für ein paar Tage aus dem Gefängnis in Bakirköy geholt – unter anderem, um den Vater im Gefängnis in Silivri zu besuchen.

    Für Ali Riza Tolu, der 1974 als 15-Jähriger aus dem ostanatolischen Malatya nach Deutschland kam, ist es zum Lebensinhalt geworden, sich um jenen Teil seiner Familie zu kümmern, der hinter Gittern ist. "Ich bleibe hier, bis ich sie rausgeholt habe", sagt er. Zwei Tage sind für den Prozess in der Hochsicherheitsstrafanstalt in Silivri angesetzt. Nur fünf ausländische Journalisten hat die türkische Justiz als Beobachter zugelassen. Ali Reza Tolu hat die Hoffnung nicht aufgegeben, Tochter und Enkelsohn bald in Freiheit zu haben. lmö/dpa

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