Roggenburg

Ein Impro-Genie begeistert beim Diademus-Festival in Roggenburg

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    Jermaine Sprosse brillierte in der Klosterbibliothek Roggenburg und improvisierte bei „Nachtaktiv“ auch auf zwei Tasteninstrumenten zugleich.
    Jermaine Sprosse brillierte in der Klosterbibliothek Roggenburg und improvisierte bei „Nachtaktiv“ auch auf zwei Tasteninstrumenten zugleich. Foto: Veronika Lintner

    Der Mann in Schwarz, der eben noch so galant und formvollendet eine Sonate aus dem Fortepiano gezaubert hat, bittet das Publikum um ein Thema. „Hoffnung!“, ruft ein Zuschauer. Und die Tonart? „G-Dur“ wünscht sich ein Gast, „Es-Dur“ der nächste. Jermaine Sprosse gibt sich unerschrocken: „Ja, warum denn nicht beides? Und als Form vielleicht ein Rondo?“ – fragt er und streckt seine Finger nach den Tasten. Was folgt, ist der Moment der „Inventio“ – also die Entwicklung der Melodie, der musikalische Zündfunke. Wie „Hoffnung“ klingt? Sprosse lässt die Noten springen und klettern, immer aufwärts auf der Tonleiter. „Ich probier das Mal“, sagt er. Welch ein Understatement. Denn was jetzt folgt, ist der Moment der Verblüffung: Er strickt aus den Publikumswünschen eine imposante Improvisation, ein schillerndes Spiel mit Gefühlen und Stimmungseffekten – im Musikologen-Deutsch: „Affekten“. Die Musik strotzt vor Hoffnung, das Publikum staunt. Dieser Abend beim „Diademus“-Festival in Roggenburg beeindruckt: Jermaine Sprosse ist ein Schweizer Fachmann für Tasteninstrumente alter Bauart – und ein virtuoser, stilgetreuer Improvisateur. Er brilliert mit freiem Spiel – und frühklassischen Werken.

    Jermaine Sprosse begeistert beim Diademus-Festival in Roggenburg

    Scheinwerfer hüllen die Klosterbibliothek in buntes Licht, die Ornamente leuchten gülden. So eine Bibliothek ist fürs Lesen gedacht – aber an diesem Konzertabend geht es nicht um Notenlektüre. Der Programmtitel „Extempore“ verspricht Musik ohne Spickzettel. Coronabedingt findet das Konzert vor kleinem Publikum statt, ein intimer Abend in schubertscher Salonatmosphäre – aber die Zuhörer sind gefordert, nicht nur als Stichwortgeber. Sprosse spielt auf einem Fortepiano, einem Urahn des modernen Konzertflügels: „Es ist der Nachbau eines Modells von 1780. Dieses Instrument braucht sensible, wache Ohren. Es hat einen Klangreichtum, dem man ihm gar nicht zutrauen würde“, sagt er. Pedale und Hebel lösen verschiedene Klangregister aus. Die Höhen tönen klar, in der Tiefe und im Forte surren die Saiten mit Kraft.

    „Johann Sebastian Bach hat sich nichts aus der Hand nehmen lassen“, weiß Benno Schachtner, Direktor des Festivals für Alte Musik. Bach hielt jedes musikalische Detail in seinem Werk mit der Feder fest, er war ja das „Genie schlechthin“. Doch so ein Genie-Status kann zur schweren Hypothek werden – wenn dieses Genie der eigene Vater ist. Als die Epoche des Barock verklang, da emanzipierten sich die Söhne des J.S. Bach und gingen als Komponisten mit der Zeit. Frühklassik und Freiheit – bis zur Improvisation. Die Musik des Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795) ist heute selten zu hören. Sprosse präsentiert seine Sonate in A-Dur – verspielt, empfindsam, verträumt, im Zeitgeist.

    Diademus bietet eine Improvisation in der Klosterbibliothek

    Der zweite Bach-Spross des Abends: Johann Christian (1735-1782). „Unglaublich bestechend“ findet der Mann aus Basel dessen Sonaten und tatsächlich versprüht das Werk fast mozartsche Qualität, mit präziser Melodieführung und scheinbar simpler Brillanz. Carl Philipp Emmanuel (1714-1788) war zu Lebzeiten ein größerer Star als sein Vater und seine „Fantasia“ überschreitet schon den Rand des Notenpapiers: Improvisation ist gefragt, nicht regel- und stillos, aber doch frei. Spontan entscheidet sich Sprosse, wie das Stück in frühklassischer Manier enden soll.

    Der Pianist beweist Showtalent: Bachs „Air“ verknüpft er blitzschnell mit dem Wunsch eines Zuschauers, den Sound des Sturms, der gerade um das Kloster tost, auch durch die Improvisation pfeifen zu lassen. Ein kleines Donnerwetter.

    Jermaine Sprosse improvisiert akrobatisch am Fortepiano

    Neben dem Fortepiano steht auch ein schwarzer Flügel und so wird die Improvisation kurz zur Zirkusnummer: Sprosse nimmt einen Scherz aus dem Publikum wörtlich und spielt – auf beiden Instrumenten zugleich. Bei der Wunsch-Zugabe „Somewhere“ (West Side Story) leistet Schachtner Starthilfe und singt schnell die Melodie an. Sprosse kennt sie nicht, aber das stört keinen großen Geist. Der Rest ist brillante Improvisation.

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