Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Roggenburg: Ein Bild lockte Tausende Wallfahrer nach Schießen

Roggenburg

Ein Bild lockte Tausende Wallfahrer nach Schießen

    • |
    Das „wundertätige Gnadenbild“ in der Kirche Schießen war vor 300 Jahren Ziel von Tausenden gläubigen Wallfahrern.
    Das „wundertätige Gnadenbild“ in der Kirche Schießen war vor 300 Jahren Ziel von Tausenden gläubigen Wallfahrern. Foto: Ralph Manhalter

    Wäre vor gut 300 Jahren schon ein wirksamer Kopierschutz erfunden worden, hätte der Roggenburger Pater Severin Ott unter Umständen unverrichteter Dinge wieder nach Hause ziehen müssen. So aber konnte der fromme Gottesmann zusammen mit den Pilgern, welche regelmäßig ins benachbarte Haupeltshofen im Kammeltal wallfahrteten, bei ihren Besuchen in der dortigen Kirche ganz unbefangen das dortige Gnadenbild der Muttergottes abmalen.

    Auch das abgemalte Bild war eine Kopie

    Wobei – so ganz ungefährlich war das dann doch nicht: Das begehrte Gemälde stand unter den argwöhnischen Blicken der Baron Freybergischen Aufseher, zu deren Herrschaftsgebiet das kleine Gotteshaus gehörte. Also galt es, raffiniert vorzugehen. Ein Künstler zur Ausführung war zwar bald gefunden, aber es bedurfte dennoch dreier Besuche, bis das Marienbildnis heimlich reproduziert werden konnte. Inwieweit diese schöne Geschichte der Realität entspricht, kann nicht mehr mit Sicherheit gesagt werden. Was der heutige Leser jedoch dazu wissen sollte, ist, dass auch die Haupeltshofener Madonna wiederum eine Kopie jener „Maria Maior“ aus der römischen Kirche Sta. Maria Maggiore darstellt, welche gemäß Glauben als vom heiligen Lukas – dem Evangelisten höchstpersönlich – mit dem Pinsel erschaffen wurde.

    Ungeachtet des jeweiligen künstlerischen Wertes stellte das Bild für die Roggenburger wohl ein „must have“ dar, versprach eine ordentliche Wallfahrt doch nicht unerhebliche Einkommen aus Bewirtschaftung, Devotionalienhandel und vielem mehr.

    Mehr als 80000 Wallfahrer wurden in den ersten sechs Jahren gezählt

    Doch man täte der damaligen Gesellschaft unrecht, beschränke man Zweck und Ziel eines Pilgerortes nur auf den schnöden Mammon. In einer Zeit, als der Glaube an den dreieinigen Gott alltagsbeherrschend, allem übergeordnet war und zudem noch als Erklärungsmuster für sämtliche unbekannte Phänomene zu gelten hatte, war einem Heiligenbildnis wie auch den allseits verehrten Reliquien eine Bedeutung zugeschrieben, welche heute nur noch schwer zu erfassen ist. Allerdings beabsichtigte der Roggenburger Abt Adalbert Rauscher zunächst, die Kopie der Kopie in Schleebuch auszustellen, worauf jedoch Pater Severin zugunsten Schießens massiv intervenierte. Wundersame Ereignisse sollen sich daraufhin im Osterbachtal ereignet haben, sodass knapp fünf Jahre später die neue Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Geburt geweiht werden konnte. Franz Tuscher schrieb in seiner Monografie über das Kloster Roggenburg, dass Schießen fast „zur zweiten Klosterkirche wurde, wo neben den Gemeinden auch Konvent und Abt häufig anzutreffen waren.“ Mehr als 80000 Wallfahrer habe man angeblich allein in den ersten sechs Jahren gezählt.

    Bis aus Augsburg und München kamen die Hilfesuchenden

    „Nicht wenige Wallfahrer hatten solch wunderbare Gesichtsveränderung festgestellt und öffentlich bekannt, nachdem sie der Gnadenblick geradezu ,durchstochen’ habe“, zitiert Tuscher weiter eine alte Festschrift. Bis aus Augsburg und München sollen damals die Hilfesuchenden angereist sein. Rauschers Nachfolger Georg Lienhardt war es dann auch, der zur Hundertjahrfeier der Wallfahrt die Kirche renovieren und ausmalen lies. Bedenken ob der hohen Kosten wurden ignoriert um – hier sei nochmals Tuscher zitiert – „unbeirrt durch tadelhafte Beschnarcher und verboßte Schmähmunde, die wie Judas das Geld unter die Armen verteilt haben wollten“, das Vorhaben zu vollenden.

    Heute hängt das Marienbildnis von Schießen in einem klassizistischen Schnitzrahmen

    Gleichzeitig zu den ambitionierten Bautätigkeiten Lienhardts erschien jedoch am Horizont ein neuer Geist, welcher die bisherige Volksfrömmigkeit infrage stellte. Wallfahrten galten nunmehr – zumal aus öffentlicher Perspektive – als Aberglauben und dienten nach verbreiteter Meinung alleine dem Zweck, sich mal so ordentlich betrinken zu können und nichts arbeiten zu müssen. Viele der regelmäßigen Pilgergänge wurden dann auch verboten, wobei das Volk mit der Entwicklung nicht mithalten konnte und gar nicht wollte. Gut 50 Jahre später revidierte zwar der bayerische König Ludwig I. die unbeliebten Entscheidungen, der Gedanke der Aufklärung hatte da allerdings schon über das mittelalterliche und frühneuzeitliche Gottesverständnis gesiegt. So gibt sich das Marienbildnis von Schießen heute am Hochaltar in einem klassizistischen Schnitzrahmen, einen großen Ansturm von Wallfahrern sucht man hingegen vergebens.

    Hier lesen Sie weitere Geschichten aus der Geschichte:

    Von aufständischen Bauern und französischen Kriegsgefangenen

    Was die Kirche in Obenhausen mit Karl dem Großen zu tun hat

    Ein Geheimnis trug zur Entstehung von Marienfried bei

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden