Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Roggenburg: Diademus-Festival in Roggenburg endet mit einer Überraschung

Roggenburg

Diademus-Festival in Roggenburg endet mit einer Überraschung

    • |
    Florian Götz (links), Susanne Ellen Kirchesch und Benno Schachtner bei der Zugabe am letzten Diademus-Abend 2020.
    Florian Götz (links), Susanne Ellen Kirchesch und Benno Schachtner bei der Zugabe am letzten Diademus-Abend 2020. Foto: Dagmar Hub

    Händel zu Beginn und Händel zum Abschluss – aber aus zwei ganz verschiedenen Perspektiven: Das im Refektorium des Klosters Roggenburg zweifach aufgeführte Schlusskonzert des diesjährigen Diademus-Festivals ließ nicht den glanzvoll-höfischen Georg Friedrich Händel leuchten, sondern ging auf eine Opernrevolution in London ein, die Händel vermutlich nicht gefallen haben dürfte.

    1728 wurde in der englischen Hauptstadt die wohl erste Anti-Oper, John Gays und Johann Christoph Pepuschs „The Beggar´s Opera“, uraufgeführt – ganz ohne italienischsprachige Arien, mit Ganoven statt Königen auf der Bühne: eine Karikatur der von Georg Friedrich Händel zu jener Zeit dominierten großen Oper. In Roggenburg war das ein Genuss für die Ohren, liebevoll und auf hohem Niveau; das Publikum dankte in der Zeit der Corona-Pandemie das Engagement des Diademus-Intendanten Benno Schachtner und die Qualität des Abends gerührt und mit großem Applaus.

    Diademus-Festival in Roggenburg beginnt und endet mit Georg Friedrich Händel

    Briefe schreiben und zu erzählen, was in einem Menschen vorgeht, kann so schön sein. Gerade wenn draußen Weltuntergangswetter herrscht – wie im musikalischen Auftakt des Abends und wie draußen vor den Fenstern des Refektoriums. Und Briefe zu schreiben kann ziemlich gefährlich werden, wenn man in den Nachwirkungen eines alkoholseligen Abends den falschen Adressaten auf den Umschlag schreibt. Das erlebt Viscount Parzeval in dem Briefroman „Gefährliche Briefschaften“, den Babette Hesse eigens für die Berliner „Lautten Compagney“ schrieb – die unter Leitung von Wolfgang Katschner nach Roggenburg gekommen war. Parzeval begegnet in der Oper Lady Miranda und macht sich an sie heran. Man sieht sich nur wenig, spielt wechselseitig Katz’ und Maus – und Parzeval bittet Miranda, ihm während seiner Abwesenheit von London vom Operngeschehen in der Stadt zu berichten.

    Das tut Miranda auf hinreißende Weise: In ihrem Englisch des 18. Jahrhunderts berichtet sie vom Gassenfeger, der Aufführung von „The Beggar´s Opera“ – in der eine ganz andere, derbe englische Sprache vorherrscht. So wie Sopranistin Susanne Ellen Kirchesch abwechselt in ihrer Interpretation der Lady und der Straßengören Polly und Lucy, so verkörpert Florian Götz (Bariton) abwechselnd den Viscount, der so edel leider nicht ist und in Spelunken und im Bordell verkehrt, und den Wegelagerer und Frauenhelden Macheath. Der Unterschied zwischen beiden Männerfiguren? Ja, wo ist er außer in der Sprache der jeweiligen gesellschaftlichen Schicht und darin, dass sich Parzeval „galante Pillen“ leisten kann, wozu Macheath das Geld wohl eher nicht hat? Man(n) stellt Frauen hinterher, leidet etwas am Rollendruck – und gerät am Ende doch einer Frau ins Netz. Durchwoben ist die Aufführung von Einwürfen altenglischer Musik wie John Dowlands „Can she excuse my wrongs“.

    Hohe Qualität beim Diademus-Festival im Kloster Roggenburg

    Das Publikum in Roggenburg, im Refektorium präzise nach Hygieneregeln sitzend, scheint nach Qualität wie der dieses Festivals gedürstet zu haben. Und es ist der Ausdauer und dem Engagement Benno Schachtners zu danken, dass er nicht aufgab, sein Festival an die notwendigen Maßnahmen anpasste und hohe Qualität mit einem aufheiternden Schalk im Nacken nach Roggenburg brachte, gerade in dieser Zeit. Und Corona – natürlich spielte die Pandemie auch auf der Bühne mit. Lady Miranda wehrt sich gegen den etwas zudringlichen edlen Herren mit Desinfektionsspray, zum Beispiel.

    Freilich, die Abstände auf der Bühne waren einzuhalten, was dazu führte, dass Szenen des Streits und des Anschmachtens die physische Nähe nur durch Gestik und Mimik darzustellen waren – was aber erstaunlich wenig irritierte. Und Benno Schachtner wäre nicht er selbst, hätte er nicht eine Überraschung parat gehabt: Der Sänger und Intendant, scheinbar unbeteiligt im Publikum sitzend, mischt unvermittelt in den „Gefährlichen Briefschaften“ stimmlich mit.

    „Oh what pain is it to part“ gab es als Zugabe, den 13. Song aus der Bettleroper. Es wird hoffentlich nur ein Abschied auf Zeit, und Diademus möge zur Freude des Publikums auch 2021 stattfinden können.

    Lesen Sie auch:

    Wenn die Liebe das Festival-Programm trägt

    Diademus-Festival in Roggenburg startet mit einer Überraschung

    Ulmer Wilhelmsburg: Ein Zufluchtsort für Live-Kultur in Corona-Zeiten

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden