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Premiere: Premiere von "Alte Meister": Grandiose Schimpftiraden

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Premiere von "Alte Meister": Grandiose Schimpftiraden

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    Gunther Nickles (links) und Stephan Clemens zogen während des Stücks „Alte Meister“ durch die Alte Kunst des Museums Ulm und die Neue Kunst der Sammlung Weishaupt.
    Gunther Nickles (links) und Stephan Clemens zogen während des Stücks „Alte Meister“ durch die Alte Kunst des Museums Ulm und die Neue Kunst der Sammlung Weishaupt. Foto: Kerstin Schomburg

    Was für eine schauspielerische Leistung! Zwei Männer und ein Text, der vor allem aus Schimpf-Monologen auf das Nichtperfekte in der Kunst, in den Menschen und in der Welt ganz allgemein besteht – und das so unglaublich authentisch gesprochen und gespielt als geschehe die Situation zufällig gerade vor den Augen und Ohren des Zuschauers, der sich fast als zufälliger Beobachter der Szene empfindet: Gunther Nickles und Stephan Clemens ziehen in Deborah Krönungs und Christian Katzschmanns eigens für das Theater Ulm geschaffener und für Ulmer Verhältnisse adaptierter Bühnenfassung von Thomas Bernhards Roman „Alte Meister“ alle Register der Schauspielkunst.

    Gunther Nickles sitzt beim Publikum im Museum Ulm und betrachtet ein Kunstwerk. Hat die Inszenierung bereits begonnen, in der Nickles den Privatgelehrten und Einzelgänger Atzbacher spielt, oder wartet der Schauspieler mit den Zuschauern auf den Beginn des Stückes? Dann beginnt Atzbacher zu sprechen: von der Staatskunst und der Gefallsucht von deren Auftraggeber, davon, wie zutiefst widerwärtig ihm die Kunst ist. Ein Monolog, eine großartig gesprochene Tirade der Verachtung. Kein Werk, das fehlerlos wäre, kein Künstler, der perfekt wäre, betrachtet man seine Arbeiten nur lange genug. Der Kiechelsaal des Museums Ulm – ein „Renaissancepudding für die deutsche Durchschnittsseele“. Dieter Kriegs 1995 entstandenes Gemälde „Entenfuß“ ist dem Kritiker kein Wort wert, eine wegwerfende Handbewegung sagt mehr als ein Satz. Atzbachers Pendant, der Musikkritiker Reger, ist ein mindestens ebenso negativer und bitterer Mensch, dessen abgrundtiefer Abscheu sich gegen Schriftsteller, Komponisten und Philosophen richtet. Nichts ist perfekt.

    Premiere von "Alte Meister" in Ulm: Gunther Nickles und Stephan Clemens überzeugen

    Es ist ein Experiment, das diese Bühnenfassung des 1985 erschienenen Romans von Thomas Bernhard noch authentischer macht: Gunther Nickles und Stephan Clemens ziehen mit ihrem Publikum während des Stückes durch die Alte Kunst des Museums Ulm und die Neue Kunst der Sammlung Weishaupt. An mehreren Stationen auf dem Weg bleiben die Schauspieler stehen, kommt es zu radikal-apodiktischen Monologen über Gesellschaft und Politik, über Adalbert Stifter, Martin Heidegger oder Anton Bruckner, zu vehementen Suaden.

    Die Ulmer Museumsräume werden zum Kunsthistorischen Museum in Wien, wo Thomas Bernhards Roman lokalisiert ist, und eine Bank im zweiten Stock der Sammlung Weishaupt wird zur Bordone-Saal-Sitzbank, wo entscheidende Sätze des Romans gesprochen werden. Im Museum Ulm hängt sogar eine Kopie von Tintorettos „Weißbärtiger Mann“. Dieses Werk betrachtet der Portagonist des Romans, der Musik- und Kunstkritiker Reger, seit 36 Jahren jeden zweiten Tag. Vor diesem Bild hat er seine geliebte Frau kennengelernt, dieses Bild hilft ihm wie nichts auf dieser Welt, nachzudenken in der Schärfe des Kritikers und zu philosophieren.

    Schauspieler müssen sich auf neue Kunstausstellung einstellen

    Ein Roman unterscheidet sich von einem Schauspiel im Allgemeinen gerade durch die Struktur der Sätze: Geschriebene Sätze sind komplexer als gesprochene. Nickles und Clemens aber gelingt es, Thomas Bernhards verschlungene lange Sätze in einer so lebhaften und glaubwürdigen Weise zu sprechen, dass sie wie im Moment ausformuliert erscheinen – obwohl kaum Handlung geschieht.

    Bis zum Ende bleibt die Frage offen, die das Stück umtreibt: Warum hat Reger das alte Ritual des jeden zweiten Tag stattfindenden Museumsbesuchs durchbrochen und Atzbacher aufgefordert, bereits am nächsten Tag wiederzukommen? Die Lösung kommt überraschend, und das Stück endet an anderer Stelle als der Roman. Was aber als tiefer Eindruck bleibt: Zum Denken kann dem Menschen das Gegenüber eines Bildes genügen. Zum Überleben braucht er einen anderen Menschen.

    Eine Herausforderung kommt auf die beiden Schauspieler für die weiteren Vorstellungen zu: Die aktuelle Ausstellung „Ausgang offen“ endet an diesem Wochenende. Die Schauspieler müssen sich auf die neue, am 20. Oktober beginnende Ausstellung „Alexander Kluge – die Macht der Musik“ einstellen.

    Das sind die nächsten Aufführungstermine für "Alte Meister"

    Die kommenden Aufführungen finden statt am 23., 25. und 31. Oktober sowie am 2., 9. und 16. November.

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