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Offenhausen: Offenhausen erkämpfte sich die Scheidung mit der Stadt

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Offenhausen erkämpfte sich die Scheidung mit der Stadt

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    Der Neu-Ulmer Stadtteil Offenhausen aus der Luft betrachtet.
    Der Neu-Ulmer Stadtteil Offenhausen aus der Luft betrachtet. Foto: Gerrit-R. Ranft

    Zwischen April und September 2019 feiert Neu-Ulm sein Jubiläum „150 Jahre Stadterhebung“. Die Neu-Ulmer Zeitung, die heuer 70 wird, tut in diesen Monaten ein paar Blicke in die Vergangenheit der Kommune, in ihre Gegenwart und – so weit möglich – in die Zukunft. Heute: Offenhausen.

    Der Stadtteil Offenhausen liegt nordöstlich des Neu-Ulmer Rathauses und grenzt unmittelbar an die Stadtmitte. In dem von der Bahnlinie Neu-Ulm – Augsburg, der Donau und der Kammerkrummenstraße umschlossenen Wohngebiet lebten zum Jahreswechsel 6922 Menschen, womit es den vierten Platz unter den vierzehn Stadtteilen Neu-Ulms einnimmt. Seine Grundfläche beträgt viereinhalb Quadratkilometer, die den Ort bei diesem Aspekt an die zehnte Stelle rücken.

    Die belegbare Geschichte des einstigen Bauerndorfs beginnt mit seiner ersten urkundlichen Erwähnung schon im frühen 14. Jahrhundert. So musste denn auch wohl die Zwangsgemeinschaft, zu der Neu-Ulms Stadtgründer Carl Ernst von Gravenreuth am 22. April 1811 die beiden ungleichen Partner „Ulm auf dem rechten Donauufer“ – das spätere Neu-Ulm – und die weit verstreute Ansammlung von 25 Gehöften namens Offenhausen zusammenführte, spätestens am Altersunterschied scheitern. Schon 1827 forderten Offenhausens Riedbauern denn auch von Bayerns König, sie aus der ungeliebten Ehe wieder zu entlassen. Sie fürchteten vor allem, Neu-Ulms Kaufleute und Handwerker möchten die „ungebildeten“ Bauern nicht recht ernst nehmen. Zudem würden sie weitgehend von der Gemeindeverwaltung ausgeschlossen, weil die 45 Neu-Ulmer Familien die ungeliebte Konkurrenz aus Offenhausen jederzeit überstimmen könnten.

    Neu-Ulms Stadtteil Offenhausen: Das Schlössle ist wohl das markanteste Gebäude

    Doch die Staatsregierung wies das Gesuch erst einmal zurück. Die Bauern zögerten nicht lange und sandten unter dem Datum 12. Oktober 1830 ein zweites Scheidungsgesuch nach München. Hauptargument: Das Konglomerat aus Einzelgehöften und winzigen Weilern, das von der Illerbrücke bei Wiblingen über den Harzer- und den Gurrenhof, über Freudenegg und den Striebelhof bis zum Steinhäule an der Donau reiche, lasse sich von Neu-Ulm aus überhaupt nicht zweckmäßig verwalten. In „Der Gemeindediener“, übernimmt der ehemalige Schulmeister und Heimatdichter Eduard Ohm in den „Erinnerungen an das Dorf Offenhausen“ die Argumentation des Landrichters Hummel, „hat einen ganzen Sommertag nötig, wenn er sämtliche Orte dieser zusammengesetzten Gemeinde begehen muss“.

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    Die bayerische Staatsregierung hatte ein Einsehen und schied die ungleichen Partner am 14. März 1832 – allerdings nur für 75 Jahre. Denn 1907 verabschiedete sich die Gemeinde endgültig von ihrer Eigenständigkeit und schloss sich freiwillig zum 1. Januar 1908 für alle Zeiten der Stadt Neu-Ulm an.

    Eine Chronik über die Geschichte des Schlössle in Offenhausen

    „Offenhausens wechselvolle Geschichte,“ schrieb vor Jahren schon Gerhard Thost als Vorsitzender des Historischen Vereins Neu-Ulm, „ist aufs Engste mit dem heute noch erhaltenen, markantesten Bauwerk des Orts verbunden – dem Schlössle am Schlössleweg.“ Die Anlage war jahrhundertelang im Besitz betuchter Ulmer Patrizierfamilien. Das heutige dreigeschossige Bauwerk mit dem hohen Satteldach und den vier Eckerkern im obersten Geschoss wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von Ulrich Ehinger von Balzheim errichtet.

    Zuvor hatte am 18. April 1552 Moritz von Sachsen im Markgrafenkrieg den Rittersitz und den umliegenden Ort niederbrennen lassen. Die Freie Reichsstadt Ulm erwarb das Schloss 1670 und richtete darin einen Brauereigasthof ein. Die Geschichte des Schlössle hat Wirtin Lina Zoller, geborene Häge, aufschreiben lassen und 1927 ihrem Ehemann zum 45. Geburtstag geschenkt – mit dem ausdrücklichen Vermerk, das Werk sei nicht für einen einzelnen Besitzer gedacht, sondern an das Haus gebunden, „bei dem es dauernd zu bleiben hat, damit es nicht zugrunde gehen kann“. Geschrieben hat das Werk der Ulmer Oberinspektor Konrad Molfenter, allerdings in der heute kaum mehr entzifferbaren Sütterlin-Handschrift.

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    Sechs Jahrzehnte ruhte die Chronik, wohlverwahrt von Kindern und Enkeln der Stifterin. Dann erfuhr Alfred H. Nagel, Nachfahre eines Offenhausener Bauern- und Handwerkergeschlechts, von dem Werk. Weil er noch beim Lehrer Karl Schmidt Sütterlin gelernt hatte, erbot er sich, das gesamte Werk „wort-, zeichen- und zeilensynchron in Maschinenschrift zu übertragen“. In der exklusiven Auflagenhöhe von vier Exemplaren erschien die „Übersetzung“ an Ostern 1992. Auf 318 Seiten im A4-Format ist nun nachlesbar, was sich in sechs Jahrhunderten im und rund ums Schlössle getan hat – vom ersten Besitzer Ritter Luidolph bis ins frühe 20. Jahrhundert.

    Auch Napoleon war einst im Offenhauser Schlössle zu Gast

    Wirt Jacob Schmidt wurde mehrfach „in Verhaft genommen und in Turm gebracht wegen Nichtbezahlung der Polizey Straf“. Er hatte 1777 verbotenerweise sonntags Spielleute engagiert und Tanzen erlaubt. Christian Unseld focht über Jahre hin einen Streit mit Offenhauser Bauern aus, die ihren Weg quer über des Schlösslewirts-Grundstück nahmen. Er musste es schließlich als Gewohnheitsrecht dulden. Doch die Stadt Ulm als Eigentümer mahnte zugleich die Bauern, stets denselben Weg zu nehmen und nicht „bald da bald dort aus- und einzufahren“. Im Spanischen Erbfolgekrieg richteten Chur-Bayerische Truppen Anfang des 18. Jahrhunderts erhebliche Schäden an Sachen, Tieren und Personen an. Natürlich war Napoleon 1805 im Schlössle, aus dessen Obergeschoss heraus er die Gefechte zur Einnahme Ulms beobachtete.

    Ein kostbares Stück Heimat-, Gesellschafts- und Sozialgeschichte im Ulmer Winkel hat Autor Molfenter vor mehr als neunzig Jahren zu Papier gebracht. „Übersetzer“ Nagel hat es wieder lesbar gemacht, und die Erbengemeinschaft Zoller, die das Schlössle samt weitläufigem Biergarten in vierter Generation betreibt, hütet ihre Chronik – in Sütterlin und in Maschinenschrift.

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