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Neu-Ulm: Ziemlich beste Freunde: August Macke und Hans Thuar im Edwin-Scharff-Museum

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Ziemlich beste Freunde: August Macke und Hans Thuar im Edwin-Scharff-Museum

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    Hans Thuar, im Porträt von August Macke, 1903. Auch dieses Werk ist im Edwin-Scharff-Museum zu sehen.
    Hans Thuar, im Porträt von August Macke, 1903. Auch dieses Werk ist im Edwin-Scharff-Museum zu sehen. Foto: Kunstmuseum Bonn, Reni Hansen

    Leinwandhelden - der Begriff klingt fast angestaubt in der digitalen Netflix-Ära. Aber heldenhaft und rührend war er allemal, der Kinohit „Ziemlich beste Freunde“ von 2011. Der Witz liegt im Gegensatz: Ein wohlsituierter, älterer Mann, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, trifft auf einen rabiat-herzlichen, jungen Pfleger mit Migrationshintergrund. Dass sich das Neu-Ulmer Edwin-Scharff-Museum nun genau diesen Filmtitel geschnappt hat als Überschrift für seine neue Kunstausstellung - passt wundervoll. Unter dem Motto „Ziemlich beste Freunde“ wartet im Museum jetzt eine Ausstellung auf ihre Eröffnung, die eine große Freundschaft beleuchtet. Zwei Künstler, die sich als Kinder kennenlernen, bleiben sich ein Leben lang treu, stützen sich - einer mit und einer ohne Behinderung. August Macke und Hans Thuar. Im Scharff-Museum glänzt ihre Kunst jetzt Seite an Seite, ob mit Öl gemalt oder in Skizzen. Hier kommt man zwei Expressionisten ganz nahe, zwei Leinwandhelden.

    August Macke und Hans Thuar - eine Geschichte, die berührt

    „Es ist eine sehr berührende, komplexe Geschichte“, sagt Museums-Chefin Helga Gutbrod, und einen alternativen Titel hätte sie auch noch parat gehabt: „Freunde fürs Leben und darüber hinaus.“ Als Nachbarskinder in Köln lernten sich die beiden Künstler 1897 kennen - und ein Sohn von August Macke würde viele Jahrzehnte später eine Tochter von August Thuar heiraten. Die Familien bleiben über Generationen verbunden, bis heute. Aber Schicksal, Freundschaft und Werk, wie lässt sich das in einer Ausstellung verbinden? Es ist ein schmaler Grat, auf dem diese Ausstellung aber mit viel Feingefühl balanciert. Die bewegten Biografien stehlen der reinen Strahlkraft der Werke kein Rampenlicht.

    Die Geschichte eröffnet das Museum mit einer „Graphic Novel“, einem kunstvollen, verspielten, aber ernsten Schwarz-Weiß-Comic. Die Illustratorin Yuka Masuko hat Zitate aus dem Briefwechsel gefischt, vielsagende Sätze aus Thuars Erinnerungen aufgelesen, an der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Ein Tag änderte alles: An einem 12. Mai, Hans Thuar war elf Jahre alt, geschah das Unglück. Der Junge geriet in einen Straßenbahnunfall, verlor beide Beine. „In mir war alles, aber auch alles zerbrochen“, erinnerte sich Thuar später. Und wer weiß, wie tief der sensible Junge noch verzweifelt wäre - wäre da nicht Macke. Sein Spielkamerad und Nachbar besuchte ihn jeden Tag. „Ohne August wäre ich nicht am Leben geblieben.“

    "Milchkrug und Äpfel auf Teller", August Mackes Werk von 1909.
    "Milchkrug und Äpfel auf Teller", August Mackes Werk von 1909. Foto: Museen Stade, Margot Schmidt

    Der Denker Hans Thuar und der Charismatiker August Macke

    Gemeinsam entdeckten sie die Faszination der Kunst für sich, begannen an der Düsseldorfer Kunstakademie. Der Weg, dem sie danach folgten, führte für beide zu einer Befreiung, hinein in den Expressionismus, in die Moderne - im Lebensweg wie in ihrer Kunst. Das macht die Ausstellung in Schlaglichtern sehr spürbar. Brav hält sich Thuar zuerst noch an den Muff des Akademie-Stils und malt düstere, exakte Todesmasken auf schwarzem Grund. Ein Stück dieser Lebensschwere wird ihn immer begleiten.

    Durch die Augen des Freundes zeigt sich der Charakter. Es ist eines der ersten Ölgemälde überhaupt, das August Macke mit 16 Jahren schuf, ein Porträt seines Freunds. Thuar, so wie Macke ihn sah: Also ein Grübler, der mit der Hand das Kinn stützt, mit Zweifel im Blick durch die Brillengläser schaut. Dicht daneben hängt im Museum August Macke im Selbstporträt. Macke, so wie Macke ihn sah. Fast wie ein Dandy wirkt die gezeichnete Figur, oder vielmehr wie ein Galan mit Hut, der sich lässig anlehnt. Eine luftige Skizze aus Studientagen. „Er muss ein unfassbares Charisma gehabt haben“, sagt die Exoertin Ina Ewers-Schultz vom Kunsthaus Stade, die die Ausstellung mit arrangiert hat.

    Hans Thuars "Rheinische Landschaft", im Kontrast von Natur und Industrie.
    Hans Thuars "Rheinische Landschaft", im Kontrast von Natur und Industrie. Foto: Kunstmuseum Bonn, Reni Hansen

    Edwin-Scharff-Museum erklärt eine besondere Künstler-Freundschaft

    Die Lust auf Neuland, im Stil wie in Motiven, blitzt bei beiden bald auf. Mackes Blick ist der eines Flaneurs, er malt Stadtszenen von Menschen in Sommerkleid und Frack. Bald weht ein Hauch Impressionismus durch sein Werk, locker, luftig. Diese Faszination muss auch Thuar gepackt haben. Am stärksten hallt Macke bei ihm in den 20er-Jahren nach. Es ist ein Genuss zu betrachten, wie bei ihm förmlich die Farben im Bild explodieren. Ein Künstler in Mackes Schatten war er vielleicht - aber auch ein Meister der Schatten. Mit expressionistischem Formwillen und Farbfreiheit lässt er Schatten kriechen, über Baumstämme, Alleen, Hausfassaden. Er malt in Splittern, langen Schwünge, Zerbrochenes und Gebogenes, es gewittert durch das Bild.

    Inspiration fanden sie überall: Volksnahe Kunst, auch Kunsthandwerk schon lange vor der Bauhaus-Bewegung, Eindrücke von Kinderkunst - Macke und Thuar schnappen alles auf. Überhaupt, die Familie. Macke und Thuar setzen ihren Willen durch und gründen jeweils Familien - der eine gegen Standesdünkel, der andere trotz seiner Einschränkungen im Leben. Lieblich ist Mackes Porträt seines erstgeborenen Sohns. Eine kleine Notiz, geritzt in die Farbe, kann er sich nicht verkneifen: „Diese Locke hat er von mir.“

    So liebevoll malte August Macke seinen Sohn Walter, 1910.
    So liebevoll malte August Macke seinen Sohn Walter, 1910. Foto: Museen Stade, Margot Schmidt

    Hans Thuar, rheinischer Expressionist, war August Mackes Vertrauter

    Die Wege der Künstler kreuzten sich nach der Kindheit nicht oft, aber die Bindung hielt stand. Zig Briefe belegen das. Daher traf Thuar die Nachricht bis ins Mark: 1914, kaum als Soldat im Dienst an die Front, fiel August Macke im Ersten Weltkrieg. Thuar stürzt das in eine Depression, die sich auch über seine Kunst legt. Die Zeiten bleiben schwer, selbst als er wieder zum Pinsel greift. Die rasende Inflation frisst seine lebenslange Unfallrente auf, um Unternehmungen wie ein Café oder auch eine Salbenproduktion bemüht er sich. Was er seiner Familie hinterlässt, ist sein Vermächtnis als Künstler - und eine Freundschaft zu Mackes Welt.

    Was die Schau im Edwin-Scharff-Museum so reizvoll macht? Hier lernt man einen Macke kennen, jenseits der berühmten Motive, wie seine Szenen aus Tunis - und dazu einen seiner wichtigsten, herausragenden Wegbegleiter. Mit den Räumen wandelt man durch die Jahrzehnte und fragt sich am Ende doch: Warum ist Macke um so vieles bekannter und geschätzter als dieser Thuar?

    Hans Thuars "Große Giebelhäuser", ein Gemälde von 1938. Da hatte er seinen Freund August Macke schon lange nicht mehr an seiner Seite.
    Hans Thuars "Große Giebelhäuser", ein Gemälde von 1938. Da hatte er seinen Freund August Macke schon lange nicht mehr an seiner Seite. Foto: Axel Hartmann Fotografie, Köln

    Wann das Edwin-Scharff-Museum wieder öffnet, bleibt unklar

    Wann die Ausstellung eröffnen kann, bleibt ungewiss, es hängt von der Entwicklung der Pandemie ab. Bis zur Kulturnacht im September soll die Schau auf jeden Fall zu erleben und bestaunen sein. Auch wenn die Türen verschlossen bleiben, soll die Ausstellung schon etwas ausstrahlen. Zum Beispiel mit Erklär-Filmen, Aktionen zum Internationalen Museumstag und kreativen Ideen aus der Museumspädagogik. Nicht zuletzt begleitet ein Katalog im Buchformat, mit vielen Hintergründen diese Schau. Dass Macke und Thuar beieinanderhängen, freut die Museums-Chefin, und trotzdem schmerzt es, nicht Besucher empfangen zu können. „Es gehört zur Kunst, darüber zu reden.“

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