Die Sieben-Tage-Inzidenz sinkt auch im Landkreis Neu-Ulm kontinuierlich. Die Hoffnung ist daher groß, dass jetzt Stück für Stück Normalität in das Leben der Menschen zurückkehrt. Doch droht im Herbst möglicherweise eine vierte Corona-Welle? Die Fraktion der Freien Wähler (FWG) im Neu-Ulmer Stadtrat ist der Ansicht, dass die Stadt Neu-Ulm frühzeitig Vorkehrungen treffen müsste. Ein Baustein dafür: Das Abwassernetz des Klärwerks Steinhäule soll als Frühwarnsystem in der Region genutzt werden, um Trends bei Infektionen zu erkennen. Wie lässt sich das umsetzen? Wir haben bei den Experten in Pfuhl nachgefragt.
Am Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe läuft ein Forschungsprojekt
"Grundsätzlich ist das möglich", sagte Erwin Schäfer, der Betriebsleiter des Klärwerks Steinhäule, über ein Corona-Abwasser-Monitoring im Landkreis Neu-Ulm. Und es laufen auch bereits entsprechende Untersuchungen. Das Klärwerk nimmt an einem Forschungsprojekt des Technologiezentrums Wasser (TZW) in Karlsruhe teil. Dazu wird zweimal die Woche ein Abwassergemisch aus dem Zulauf der Kläranlage entnommen und ins TZW geschickt, wo es im Labor auf Coronaviren hin untersucht wird.
Ziel ist es, die Ausbreitung von Infektionen frühzeitig zu erkennen. Und das funktioniert: Ob die Virenlast ab- oder zunehme, könne man über das Abwasser etwa eine Woche früher als anhand der Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) erkennen, sagte Erwin Schäfer. Jede Untersuchung einer Probe im Labor kostet etwa 400 Euro. "Ziel ist es, dass es künftig Systeme gibt, die das online in Echtzeit erfassen", so Schäfer. "Aber da sind wir noch ein Stück weit entfernt." Etwa innerhalb eines Jahres ließe sich so ein System wohl umsetzen. Doch das müssten letztlich die Kommunen vorantreiben: "Man braucht eine politische Entscheidung."
Um ein flächendeckendes Netz einzurichten, müssten an möglichst vielen Stellen, beispielsweise an Schulen, Messgeräte installiert werden. Darauf zielt auch der Antrag der Freien Wähler in Neu-Ulm ab. "Das Messstellennetz ist so engmaschig anzuordnen, dass eine Infektion bis in Stadtteile oder Quartiere nachverfolgt werden kann, die dann gegebenenfalls auch durchgetestet werden können", heißt es in dem Schreiben an Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger (CSU). "Insbesondere sind auch Schulen und Kitas mit Messstellen zu versehen, da hier mit den meisten symptomlosen Infektionen zu rechnen ist."
Meitingen hat ein Pilotprojekt zum Abwasser-Monitoring gestartet
Ein ähnliches Frühwarnsystem hat beispielsweise die Marktgemeinde Meitingen im Landkreis Augsburg eingerichtet. Dort werden seit März Proben aus den Abwasserläufen von Schulen und Kindergärten entnommen. Es wurden auch bereits Corona-Infektionen nachgewiesen, die ohne die Untersuchung des Abwassers nicht entdeckt worden wären. Der Markt zahlt für den Versuch einen Eigenanteil von 10.000 Euro. Alle fünf Minuten werden an den Schulen und Kitas mit einem Schlauch 50 Milliliter eines Gemischs aus flüssigen und festen Stoffen durch einen Probennehmer herausgeholt. Die Mischprobe wird dann im Labor untersucht. Ein Beispiel, das nach dem Willen der Europäischen Union Schule machen soll: Die EU empfiehlt, das Abwasser-Monitoring auszubauen.
"Wichtig ist, dass man das System weiterentwickelt und im Idealfall in Echtzeit messen kann", sagte Erwin Schäfer, der Betriebsleiter des Klärwerks Steinhäule, über die bisherigen Ansätze. Sollten die Kommunen sich dazu entschließen, könnten die Fachleute in Pfuhl rasch loslegen: "Wir haben das Know-how."
Diese Kommunen gehören zum Zweckverband Klärwerk Steinhäule
Zum Zweckverband Klärwerk Steinhäule gehören die Städte Ulm, Neu-Ulm, Senden, Blaubeuren und Blaustein sowie die Gemeinden Berghülen, Dornstadt, Illerkirchberg, Illerrieden, Merklingen, Schnürpflingen und Staig. In der 25 Hektar großen Anlage in Pfuhl werden täglich 80.000 bis 225.000 Kubikmeter Wasser gereinigt. Etwa je die Hälfte stammt aus Haushalten sowie aus Industrie und Gewerbe. Tonnenweise Fett, Sand und Asche fallen dabei an. Die Ingenieure können aber auch winzige Stoffe wie Arzneimittelrückstände im Wasser nachweisen, etwa Diclofenac, Paracetamol, Betablocker oder Hormone.
Bestandteile von Coronaviren werden ebenso von Menschen ausgeschieden und können so im Abwasser über PCR-Tests bestimmt werden. Die Methode der Abwasserepidemiologie am TZW in Karlsruhe soll künftig auch auf andere Viren angewandt werden.
Zahlen und Fakten zum Welt-Toilettentag
Jedes Jahr sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 297.000 Kinder unter fünf Jahren (mehr als 800 pro Tag) an Magen-Darm-Erkrankungen, die sie sich aufgrund schlechter Hygiene, mangelnder Sanitäranlagen oder unsauberen Wassers zugezogen haben.
In fast der Hälfte aller Schulen weltweit haben die Kinder laut WHO und Unicef keine Möglichkeit, sich die Hände zu waschen.
4,2 Milliarden Menschen haben der WHO und Unicef zufolge keinen Zugang zu sauberen Toiletten - mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung. Zwei Milliarden Menschen weltweit benutzen eine Trinkwasserquelle, die von Fäkalien kontaminiert ist.
Die Vereinten Nationen haben das Ziel formuliert, bis 2030 jedem Menschen einen Zugang zu sauberen und sicheren Sanitäranlagen zu ermöglichen, sodass sie nicht mehr ihre Notdurft in der Öffentlichkeit erledigen müssen.
Mehr Infos: worldtoilet.org. (lea)
Die FWG-Fraktion sieht in dem Monitoring eine Möglichkeit, die Corona-Pandemie auch über den Sommer hinaus in den Griff zu bekommen und dabei vor allem Kinder und Jugendliche zu schützen: "Kinder und Familien haben bisher eine überdurchschnittlich hohe Belastung durch die Maßnahmen ertragen müssen, mit den bekannten Folgen", schreiben die Freien Wähler in ihrem Antrag. "Das darf sich im Herbst 2021 nicht wiederholen. Daher sind sämtliche Maßnahmen anzuwenden, um das Virus zu bekämpfen."
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