Startseite
Icon Pfeil nach unten
Neu-Ulm
Icon Pfeil nach unten

Neu-Ulm: Warum eine Steinlöwe einmal für Ärger gesorgt hat

Neu-Ulm

Warum eine Steinlöwe einmal für Ärger gesorgt hat

    • |
    Der Löwe ist 345 Zentimeter lang und 165 Zentimeter hoch.
    Der Löwe ist 345 Zentimeter lang und 165 Zentimeter hoch. Foto: Gerrit-R. Ranft

    Zwischen April und September 2019 feiert Neu-Ulm sein Jubiläum „150 Jahre Stadterhebung“. Die Neu-Ulmer Zeitung, die heuer 70 wird, tut in diesen Monaten ein paar Blicke in die Vergangenheit der Kommune, in ihre Gegenwart und – so weit möglich – in die Zukunft. Heute: Der Geflügelte Löwe.

    Das muss ein ziemlicher Schreck gewesen sein für den Historischen Verein Neu-Ulm, „als man im Winter 1926/27 plötzlich als dekorative Plastik auf der Abschlussmauer vor der katholischen Stadtpfarrkirche einen geflügelten Löwen sah“. Der Verein brauchte allerdings fast zehn Jahre, um sein Entsetzen in den unter Schriftleitung des Heimatpflegers Arthur Benz herausgegebenen Mitteilungen „Aus dem Ulmer Winkel“ auch schriftlich in Worte zu fassen. Da aber war der als „Kunstkarikatur“ bezeichnete Löwe längst wieder abgeräumt. Seit 1958 nun steht die vom Frankfurter Bildhauer Fritz Müller-Kamphausen geschaffene Skulptur des „Geflügelten Löwen“ wieder vor der Johanneskirche – allerdings nicht am ursprünglichen Platz.

    Der Geflügelte Löwe auf dem Johannesplatz wurde von einem Studenten entworfen

    Der Scheppacher Kirchenbaumeister Dominikus Böhm hatte für die nach seinen Plänen errichtete und im Oktober 1927 geweihte Stadtpfarrkirche St. Johannes Baptist unter seinen Studenten einen Wettbewerb ausgeschrieben. Gesucht wurde eine geeignete Skulptur für den bereits mit einem Kriegerdenkmal besetzten Vorplatz des Gotteshauses. Wettbewerbssieger wurde der in Garmisch-Partenkirchen geborene Müller, der zuvor schon zwei monumentale Plastiken der Apostel Petrus und Paulus für eine ebenfalls von Böhm in Dettingen am Main errichtete Pfarrkirche geschaffen hatte. Müllers 345 Zentimeter langer und 165 Zentimeter hoher Löwe wurde noch vor der Weihe der Kirche im Frühjahr 1927 auf die Kirchhofsmauer gesetzt, die den Platz zur Ludwigstraße hin abschloss.

    Dort störte er eigentlich niemanden, bis 1933 die Nationalsozialisten auch im Neu-Ulmer Rathaus angekommen waren. Im Dezember 1934 stellte NS-Kreisleiter Hermann Boch im Stadtrat den Antrag, den Löwen von der Kirchhofsmauer zu holen. Die Skulptur entspreche nicht deutschem Kunstempfinden. Auch über die Stadtgrenzen hinweg errege sie in weitesten Volkskreisen Ärgernis. Boch stand mit seiner Kritik und seinem Antrag keineswegs allein: Selbst das bischöfliche Ordinariat in Augsburg wandte sich offen gegen das Kunstwerk, weil sich „das gesunde Volksempfinden gegen solchen, in der Nähe der Kirche fast blasphemisch wirkenden Kulturbolschewismus aufbäumte und auf Entfernung der Kunstkarikatur drängte“. In ähnlicher Weise registrierte der Historische Verein Neu-Ulm „in den weitesten Kreisen der hiesigen Bevölkerung Anstoß und Ärgernis, da dieses Werk der künstlerischen Auffassungsgabe der Umwelt nicht Rechnung getragen hat“.

    Zwischenzeitlich diente das steinerne Fabeltier als Klettergerüst für Kinder

    Der Stadtrat zögerte noch und holte erst mal Rat im Kultusministerium und im Landesdenkmalamt. Zugleich regte er durchaus nicht ungeschickt an, mit der Skulptur auch gleich die ganze Kirchhofsmauer aus „verkehrspolizeilichen Gründen“ abzutragen. Sie war auf Anraten des Stuttgarter Kirchenbauers und Städteplaners Theodor Fischer angelegt worden, um dem Kirchplatz einen Abschluss zu geben und zugleich Unruhe und Lärm fernzuhalten. Am 26. August 1936 wurde der Löwe von der Mauer geholt, worauf das bischöfliche Ordinariat „die endliche Entfernung des geflügelten Löwen“ ausdrücklich begrüßte. Zuvor schon habe es die Behörde nicht an mündlicher und auch schriftlicher Aufforderung fehlen lassen, die Aufstellung des „Fabeltiers“ zu unterlassen. Die Mauer aber sollte nach Ansicht der Kirchenvertreter stehen bleiben, weil mit ihr „die Platzgestaltung und städtebauliche Wirkung in hervorragender Weise gefördert wurde“.

    Der Löwe wurde im damals noch vorhandenen Augsburger Tor abgestellt. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem die Johanneskirche erheblichen Schaden genommen hatte, wurde das „Fabeltier“ in einen Hinterhof an der Uferstraße umgesetzt, wo er Hausfrauen zum Teppichklopfen diente und Kindern als Klettergerüst. Ein Stück des Flügels und die linke Pranke wurden dabei abgeschlagen. Das Schicksal des Löwen schien sich erfüllt zu haben, bis der Neu-Ulms Heimatpfleger Arthur Benz sich der Skulptur entsann. Das neue Rathaus war im Bau. Der Stadtrat dachte über die gemeinsame Gestaltung des Rathausplatzes und des benachbarten Kirchenvorplatzes nach. Da mischte sich Heimatpfleger Benz ein, der zur Zeit der Abnahme des Löwen Schriftleiter der Mitteilungen des Historischen Vereins war.

    1958 wurde die Löwen-Statur in Neu-Ulm wieder aufgestellt

    Nun bildete die „Wiederaufstellung des Geflügelten Löwen eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung“ für Benz. Schließlich handele es sich bei der Plastik um „ein hervorragendes Kunstwerk, das nicht zum alten Eisen gehört“. Der Stadtrat ließ sich Zeit. Erst am 21. April 1958 beschloss er mit 22 zu drei Stimmen, den Löwen wieder auf den Kirchenplatz zu stellen. Neu-Ulms Bildhauer Hans Bühler besserte die Schäden aus. Das Stadtbauamt stellte das 455 Zentimeter hohe Postament auf, das die Skulptur noch heute trägt. Und Benz weiß nun auch Genaueres zur Aussage des Kunstwerks: „Der Schöpfer dieses übrigens preisgekrönten Denkmals hat durch die apokalyptische Figur auf eine geheimnisvolle und rätselhafte Weise den Glauben an das geflügelte Wort Gottes sinnbildlich dargestellt und damit angedeutet, dass der geflügelte Löwe an seinem Glauben festhalte, selbst wenn sie ihn in Stücke zerreißen. Wenn die Vollplastik auch in expressionistischer Weise dargestellt ist, so ist es zweifelsohne als ein hervorragendes Kunstwerk zu bezeichnen“.

    Das könnte Sie auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden