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Neu-Ulm: Premiere im Theater Neu-Ulm: Eine Frau wehrt sich gegen den Herd

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Premiere im Theater Neu-Ulm: Eine Frau wehrt sich gegen den Herd

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    Mit dieser Frau ist nicht immer zu spaßen: Shirley Valentine parodiert ihre frühere Schulrektorin.
    Mit dieser Frau ist nicht immer zu spaßen: Shirley Valentine parodiert ihre frühere Schulrektorin. Foto: Jerome Wolff

    Der einzig richtige Bus nach Brighton fährt in Rhodos ab. Zumindest für Shirley Bradshaw, geborene Valentine. Wie die von ihrem Alltag und ihrer Ehe frustrierte Endvierzigerin Brighton in Griechenland findet? Das Rätsel löst sich für den, der Heinz Kochs Inszenierung von William Russells „Shirley Valentine oder Die heilige Johanna der Einbauküche“ im Theater Neu-Ulm sieht: Melanie Schmidt schlüpft im 1986 uraufgeführten Stück nicht nur in die Rolle der Titelheldin, sondern lässt neben ihr alle anderen Figuren des Stückes in der Fantasie des Zuschauers lebendig werden. Das ist brillant und manchmal ausgesprochen witzig, aber immer mit Tiefgang. Woran der Mensch am Ende stirbt? An der Last des ungenutzten und ungelebten Lebens, weiß Shirley.

    Ihre Freundin Jane erwischte den Mann mit dem Milchmann im Bett

    Sohn Brian hat sich in die Hausbesetzerszene verabschiedet, Tochter Milandra zog zu ihrer Freundin Louise und Ehemann Joe ist ein pedantischer Langweiler, der Shirley nicht verzeiht, dass sie das Hackfleisch für das Abendessen am Donnerstag aus puren Mitleid einem vegetarisch gehaltenen Hund gab und dass Joe stattdessen frittierte Kartoffeln mit Spiegelei essen sollte. Shirleys Gesprächspartner ist die Wand der Einbauküche – und die erfährt viel, was für Ehemann Joe unausgesprochen bliebt. Zum Beispiel, dass Freundin Jane zwei Flugtickets nach Rhodos buchte und eines davon Shirley schenkte. Seit Jane ihren Ehemann mit dem Milchmann im Bett erwischte, hasst sie Männer, sagt sie. Und sie hasst Milch, so sehr, dass sie sie nicht einmal mehr in den Kaffee gießen kann.

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    Der Clou am Stück sind die überraschenden Wendungen der Handlung. Wird das frustrierte Mauerblümchen Shirley, das der Küchenwand immer wieder so deftig-wahre Sätze sagt, dass dem Zuschauer die Puste wegbleibt, den Mut finden, Joe zu offenbaren, dass sie zwei Wochen mit Jane nach Griechenland reisen will? Es ist so eine Sache mit den Träumen, besonders mit denen, die wahr werden können. Vor allem, wenn frau weiß, dass der Ehemann sich ohne Frau wahrscheinlich Socken auf Toast zum Abendessen macht und dass seine Wut eine unendliche sein wird. In der Suppe ertränken – oder einfach den Sprung wagen? Shirley muss sich entscheiden, es gibt kein Zurück.

    Melanie Schmidt überrascht als Shirley Valentine das Publikum

    Nach der Pause mutiert Melanie Schmidts Shirley zu jener Shirley Valentine, die die Titelfigur einst gewesen sein mag, vor dem eintönigen Alltag, vor der Reduzierung auf Ehefrau und Mutter. Gefühlvoll, temperamentvoll und so schonungslos ehrlich zu sich selbst, wie man es nur sein kann, ist diese Shirley. Auf die Enttäuschung, dass Jane sich schon im Flugzeug in einen Typen verknallt und tagelang mit ihm ans andere Ende der Insel verschwindet, reagiert Shirley selbstbewusst und legt sich erst einmal mit dümmlich-arroganten Touristen im Hotel an. Ach ja, und da ist Touristinnentröster Costas, der sich stumm neben Shirley setzt, als sie nachts am Meer weint. Die beiden Wochen in Griechenland werden zu Ende gehen. Shirley und Jane fahren zum Rhodos International Airport. Und noch einmal trifft Shirley eine Entscheidung, die ihr keiner zugetraut hätte. Am wenigsten Joe und Costas.

    Melanie Schmidt bekommt vom Premierenpublikum viele Vorhänge. Das Ein-Frau-Stück, das niemals ins Genre „Frauenkomödie“ abgleitet, trifft mit seinem leidenschaftlichen Appell ans Leben – egal ob man 18, 40 oder 60 ist, wie Shirley sagt – den Nerv des Publikums. Denn auch in Joe und seinem verbiestert-kontrollierenden Verhalten steckt jede Menge Sehnsucht nach Leben, nach wirklichem, lebendigen Leben ohne Netz und doppelten Boden, das ahnt Shirley. Wie es ausgeht mit Shirley und Joe? Eigentlich schade, dass William Russell darüber kein Theaterstück schrieb.

    Wieder am 20., 27., und 28. September; das Stück läuft bis 8. Februar. Karten gibt es unter Telefon 0731/553412 und online auf theater-neu-ulm.de.

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