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Neu-Ulm: Menschen mit Borderline: „Wenn jemand A sagt, verstehen wir B“

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Menschen mit Borderline: „Wenn jemand A sagt, verstehen wir B“

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    Das Gefühl der inneren Leere und Depressionen sind eines der Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. In Ulm gibt es eine neue Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige.
    Das Gefühl der inneren Leere und Depressionen sind eines der Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. In Ulm gibt es eine neue Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige. Foto: Alexander Kaya (Symbolfoto)

    Immer mehr E-Mails, Anrufe und SMS, neue Mitglieder bei den Treffen und großer Erfolg bei den Informationsabenden: Bei der Borderline-Selbsthilfegruppe Neu-Ulm/Ulm gab es viel Arbeit – und genau das wurde irgendwann kritisch: „Für mich alleine ist das zu viel geworden“, sagt Yvonne, die die Gruppe lange Zeit leitete und ihren vollständigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. Das Problem: Die damalige zweite Gruppenleiterin nahm sich bei der Arbeit zurück. „Also habe ich meine Fühler ausgestreckt, wer mir in der Gruppe stattdessen helfen könnte“, erzählt Yvonne. Sie stieß auf Sonja – doch die zweite Gruppenleiterin wollte von ihrem Posten dennoch nicht abrücken. „Also haben wir im März beschlossen: Wir gründen eine neue Gruppe“, sagt Yvonne. Und das taten die beiden – und zwar innerhalb nur weniger Tage. „Das hat mir wirklich auf den Nägeln gebrannt – weil sich die Leute ja auch auf mich verlassen“, sagt Yvonne.

    Die neuen Kontaktdaten ihrer Gruppe „L(i)ebenswert“ wollen die beiden so schnell wie möglich verbreiten: „Wir haben Angst, dass Menschen bei der alten Anlaufstelle mehr oder weniger ins Leere laufen“, sagt Sonja. Denn Borderliner täten sich mit Neuem schwer – und viele deshalb auch damit, eine bislang unbekannte Stelle anzurufen. „Wenn man das einmal getan hat, ist es wahrscheinlich, dass man dabei bleibt“, erklärt Sonja. Aber: „Wenn Sie zum Beispiel eine Mail schicken und keine Antwort bekommen, werden Sie nie wieder eine dorthin schicken.“ Alles sei diskret, anonym und kostenlos“, betont sie.

    Ein weiterer Vorteil, dass die beiden nun gemeinsam eine Gruppe leiten: Wer neu dazu kommt, kann sich den Ansprechpartner aussuchen, mit dem er sich persönlich besser versteht. „Trotz der gleichen Krankheit sind wir bunt gemischt“, betont Sonja.

    Während sie sich beispielsweise in Beziehungen öfter zurückziehe und Abstand suche, neigt Yvonne eher zum Klammern und Vereinnahmen. „Es ist sehr wichtig, dass sich der Partner mit Borderline auskennt und weiß, dass es nicht bedeutet, dass man ihm nicht vertraut oder ihn nicht liebt.“ In der Öffentlichkeit sei die Borderline-Persönlichkeitsstörung immer noch ein Tabuthema. „Selbst Depressionen sind mehr in den Köpfen der Leute“, sagt Sonja. Und eine Depression sei eben nur eines der vielen Symptome von Borderline.

    Borderliner durchleben oft eine Achterbahn der Gefühle

    Gemein ist Borderlinern eine Achterbahn der Gefühle. „Wir nehmen unsere Umwelt ganz anders war“, erklärt Sonja. Eine Situation auf der Arbeit, die für andere nach ein paar Minuten abgehakt wäre, nehme sie auch noch mit nach Hause. Yvonne ergänzt: „Wenn jemand A sagt, verstehen wir B. Wir zerlegen das alles in Einzelheiten.“ Eine eigentlich gut gemeinte Äußerung könnte dann am Ende negativ ausgelegt werden.

    Sonja findet den Vergleich mit einer Prüfungssituation ideal: Jeder könne sich den Druck in dieser Situation vorstellen, hat sie selbst schon mehrmals einmal erlebt. „Ich stehe jeden Tag auf und da ist immer so ein innerer Druck und eine Anspannung.“ Demgegenüber steht die innere Leere. „Man fühlt vielleicht manchmal einfach gar nichts“, sagt Yvonne. Und das dürfe auf keinen Fall mit Langeweile gleich gesetzt werden. Zudem: „Viele Jüngere müssen erst lernen, dass dieses Gefühl wieder weggeht.“

    Die Borderline-Selbsthilfegruppe trifft sich in Ulm

    Zweimal im Monat, am zweiten und vierten Mittwoch, trifft sich die Selbsthilfegruppe im Gemeindepsychiatrischen Zentrum (GPZ) in Ulm (Bleichstraße 1/2), von 18 bis 20 Uhr. Beim ersten Mal waren bereits 18 Leute da. „Mittlerweile haben wir auch einige Männer in der Gruppe“, erzählt Yvonne. Oft werde vergessen, dass auch diese an Borderline leiden, sie schätzt den Anteil relativ gleichwertig ein. Männer gingen aber nicht so oft zum Arzt, die Persönlichkeitsstörung werde bei ihnen seltener erkannt. Das kann ohne Therapie schlimme Folgen haben: „Der typische Borderliner landet irgendwann im Gefängnis, weil viel Aggression mit hineinspielt.“

    Die beiden Gruppenleiterinnen Yvonne und Sonja sind erreichbar über die Handynummer (telefonisch, per SMS und WhatsApp) unter 0178/69 66 066, per E-Mail an liebenswert@borderline-shg.de.

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